Jörg Steinbach - Brandenburger Wirtschaftsminister will Tesla-Turbo auch für Behörden

Dass Genehmigungsverfahren für Industrieansiedlungen Jahre dauern können, ärgert Investoren. Der Brandenburger Wirtschaftsminister würde das Genehmigungsrecht deshalb gern verschlanken. Seine Vorschläge sind aber umstritten. Von Phil Beng
Die deutsche Bürokratie ist berühmt-berüchtigt, das weiß man mittlerweile sogar in Kalifornien. Der US-amerikanische Elektroauto-Konzern Tesla will in seinem neuen Werk in Grünheide (Oder-Spree) eigentlich längst Autos "made in Germany“ fertigen. Doch der ursprünglich von Unternehmens-Chef Elon Musk angesetzte Produktionsbeginn im Juli 2021 ist schon lange Geschichte.
Dass es jetzt frühestens zum Jahresende so weit sein soll, liegt auch am langwierigen Genehmigungsverfahren. Für Musk ein Ärgernis, immerhin ist der visionäre Unternehmer nicht gerade bekannt für seine engelhafte Geduld.
Dritte Runde der Bürgerbeteiligung läuft
Aktuell stockt das Verfahren, weil noch bis Mitte August die Frist für Einwendungen gegen die Baupläne läuft. Es ist bereits die dritte Runde der Bürgerbeteiligung, weil Tesla erneut seine Pläne umfassend geändert hatte. Und mit jeder solchen Änderung beginnen die Amtsmühlen ihre Arbeit wieder von vorn.
Das zerrt an den Nerven der Investoren – und inzwischen auch denen der Brandenburger Landesregierung. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) will Lehren ziehen aus den Erfahrungen. “Was die Genehmigungsverfahren betrifft, muss man insgesamt so einen Prozess, wie wir ihn jetzt mit Tesla durchmachen, am Ende der ganzen Zeit mal auswerten”, sagt er. “Was ist an der Stelle gut gelaufen und was nicht und was ergeben sich daraus eigentlich für Änderungsbedürfnisse?”
Weniger Bürokratie, weniger Gerichte
Ganz konkret formuliert Steinbach zwei Ideen, mit denen er bei künftigen Projekten Zeit sparen will.
Erstens: Genaues Augenmaß der Behörden, wenn sich die Pläne der Investoren doch einmal ändern. “Wenn herauskommt, dass man eine Verfahrensänderung vornimmt, die zu weniger Umweltauswirkungen führt, dann ist die Frage, ob man alle Einzelschritte wieder von vorne beginnen muss - oder ob man das in ein laufendes Verfahren vernünftig integrieren kann.” Das würde bedeuten, dass Unternehmen, die sich etwa für weniger umweltschädigende Bau- oder Produktionsabläufe entscheiden, ihre laufenden Genehmigungsverfahren nicht wieder auf Null setzen müssten. “Hier ist, glaube ich, eine große Beschleunigung an der Stelle denkbar”, so Steinbach.
Sein zweiter Vorschlag beinhaltet weniger juristische Hürden. Verhandlungen vor Verwaltungsgerichten sind für Großinvestoren wie Tesla ein kaum vorhersehbarer Zeitfaktor. 2020 etwa hatten Umweltverbände die Rodungsarbeiten in Grünheide zumindest zeitweise gerichtlich stoppen können. Auch wenn die spätere Entscheidung zugunsten Teslas fiel: Dem Konzern entging durch den Prozess kostbare Zeit. Und erst vor wenigen Tagen endete ein zweites Verfahren, als Grüne Liga und Naturschutzbund Nabu vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit ihrem Eilantrag gegen vorzeitige Teilgenehmigungen für Tesla scheiterten.
Damit solche langatmigen Gerichtsentscheidungen Großprojekte nicht vollends ausbremsen, bringt Steinbach eine Überprüfung der Anzahl der juristischen Instanzen ins Spiel. Die Idee: Die Bescheide der zuständigen Genehmigungsbehörde – in diesem Fall das Landesumweltamt – könnten künftig nur noch von einer Gerichtsinstanz überprüft werden. Statt erst vors Verwaltungsgericht zu ziehen, müssten Klagende dann direkt vors Oberverwaltungsgericht zihen. Eine Station des Rechtsweges fiele damit weg. "Ich bin definitiv ein Fan unseres Rechtsstaates. Und deshalb bin ich auch definitiv ein Fan des Vier-Augen-Prinzips“, sagt Steinbach. "Aber wir brauchen nicht drei Instanzen, wir brauchen nicht ein Sechs-Augen-Prinzip.“
Klagende pochen auf Rechtssicherheit
Kritiker und solche, die selbst schon gegen die Vorabgenehmigungen für die Baustelle in Grünheide vor Gericht gezogen sind, halten nichts von diesen Plänen. Thorsten Deppner vertritt als Anwalt die Umweltverbände, die zuletzt mit ihrem Eilantrag gegen Teslas vorzeitige Produktionstests scheiterten. Er kennt Forderungen, wie Steinbach sie äußert, eher von konservativen Politikern. "Diese elende Beschleunigungs-Gesetzgebung und die Diskussion darüber, dass hier in Deutschland alles zu lang dauert und daran angeblich immer die Umweltverbände mit ihren Einwendungen und ihren Klagen schuld sein sollen – das ist ein alter Hut, der sich empirisch nicht belegen lässt“, sagt Deppner.
Der Umweltrechtler sieht in den vermeintlich umständlichen Genehmigungsprozessen in Deutschland viel mehr einen Standortvorteil: "Wir sind unter anderem dafür bekannt, dass wir sehr gute und fachlich hervorragende Genehmigungsverfahren mit entsprechenden gerichtlichen Überprüfungen haben. Und wenn man dann hier mal einen bestandskräftigen Bescheid hat, dann kann man sich da eben drauf verlassen.“ Wenn man anfange, das weiter auszuhöhlen, dann sorge das nur für einen Verlust an Rechtssicherheit. "Das kann eigentlich nicht im Interesse eines Wirtschaftsministers sein“, so der Anwalt weiter.
Experten sehen Zuständigkeit bei der EU
Grundsätzlich ist eine Reform der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren möglich. Viele Experten werben sogar für ein schnelleres, einfacheres Genehmigungsrecht. Ludger Gailing, Professor für Regionalplanung an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus, räumt ein: "Es ist denkbar, das Planungsrecht oder auch das Genehmigungsrecht umzugestalten. Die Politik hat die Regeln geschaffen und sie kann sie natürlich auch mit Mehrheiten wieder ändern in unserer Demokratie.“
Doch ganz einfach dürften solche Gesetzesänderungen nicht umzusetzen sein. Vieles könne man nur auf europäischer Ebene anfassen, so Gailing weiter: "Wenn es zum Beispiel um die Pflicht zur Umweltverträglichkeit geht oder den Schutz von europaweit geschützten seltenen Arten und Lebensräumen oder den Gewässerschutz – da gibt es überall Richtlinien der EU, zu denen sich alle Länder der EU bekannt haben."
Zeitfaktor könnte Investoren verschrecken
Dabei hat Steinbach gute Argumente, Bürokratie abzubauen. Wenn ambitionierte Großprojekte wie Teslas Gigafactory in Grünheide immer wieder ins Stocken gerieten, könnten Investoren es sich künftig zweimal überlegen, ob sie Deutschland – und Brandenburg – als neuen Standort wählten. "Wenn Investoren bei uns anfragen, dann spielen die Themen Genehmigungsverfahren und Planungszeiten eine ganz entscheidende Rolle“, mahnt Steinbach.
"Insbesondere wenn ein Gebiet noch durch ein Bebauungsplanverfahren erst noch in ein Gewerbegebiet überführt werden muss, dann sind das oftmals Prozesse, die deutlich länger sind als ein Jahr. Und das sind dann tatsächlich Zeitachsen, wo die Investoren an der Stelle sagen: So lange können wir nicht warten, bis wir mit unseren eigenen Aktivitäten anfangen." Solche Fälle habe er in seiner dreijährigen Amtszeit durchaus schon erlebt, sagt Steinbach.
Doch diese Befürchtungen kann der Regionalplaner Gailing nicht bestätigen. Ihm sind aus der jüngsten Vergangenheit keine Beispiele für Investitionen bekannt, die durch zu viel Bürokratie verhindern worden wären. "Solche großen Investitionen wie eine Autofabrik – wir haben es ja auch bei Großkraftwerken erlebt oder bei Infrastrukturmaßnahmen, Elbvertiefung, Autobahnbau und so weiter – das wird am Ende eigentlich alles realisiert“, sagt der Experte. "Da versucht die Politik auch alles möglich zu machen.“
Ungewisse Mehrheiten für Gesetzesreformen
Steinbachs Ideen treffen nach eigener Aussage beim Nationalen Normenkontrollrat auf fruchtbaren Boden. Das Beratergremium der Bundesregierung wirbt für einen zügigen Bürokratieabbau und mahnt – auch angesicht der drängenden Infrastrukturmaßnahmen für Energiewende und Klimaschutz – schnellere Genehmigungsverfahren an. Doch für ein Reformpaket noch vor der Bundestagswahl im September bleibt kaum noch Zeit. Und wie eine neue Bundesregierung dem Vorhaben gegenüberstehen wird, ist ganz offen.
Gailing, der Regionalplanungsexperte aus Cottbus, zweifelt derweil an einer umfangreichen Änderung des Genehmigungsrechts: "Der Hauptpunkt ist ja: Wie sinnvoll ist das Ganze? Kleine Verbesserungen – davon hat ja der Minister auch gesprochen – die kann man sich ja immer vorstellen, wenn ein Gesetz nicht so gut funktioniert. Aber so etwas zu versuchen, dass man sagt: Unser Planungs- und Genehmigungsrecht wird jetzt vollständig dereguliert, dafür würde ich gar keine Mehrheiten sehen."
Kleine Anpassungen auf Landesebene möglich
Währenddessen sieht der BTU-Professor durchaus Handlungsspielraum auf Landesebene, um Verfahren wie die Genehmigung des Tesla-Werks zu beschleunigen. Die zuständigen Behörden bräuchten etwa mehr Personal. Und durch gezielte Kommunikation könnte man auch Streit vorbeugen, der oft mit solchen Großprojekten einhergeht. "Ich denke da zum Beispiel an das Thema Einbindung der Bürgerinnen und Bürger“, sagt Gailing. "Denn häufig ist es ja so, dass sich Konflikte hochschaukeln, wenn es nicht frühzeitig gute Informationen, Verständnis und Verbesserungsmöglichkeiten der Planung gibt. Da kann man natürlich viel auch über frühzeitige Partizipation machen."
Perspektive für weitere Ausbaustufen
Tesla muss sich derweil wohl weiter gedulden. Für seine aktuellen Werkspläne dürften mögliche Änderungen der Genehmigungsgesetze unerheblich sein. Vorerst zumindest. Denn schon jetzt hat Tesla drei weitere Ausbaustufen angekündigt, die in den kommenden Jahren folgen sollen. Vielleicht geht es bei den dafür notwendigen amtlichen Bescheinigungen schon deutlich schneller.
Sendung: Antenne Brandenburg, Antenne - Der Nachmittag, 15:10 Uhr
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