Hoffnungen, Streits und ein Wasserproblem - Wie aus einer Ankündigung eine E-Auto-Fabrik wurde

Gut zwei Jahre nach der ersten Ankündigung geht Deutschlands größte E-Autofabrik an den Start. Tesla-Chef Elon Musk hätte es gerne noch schneller gehabt, aber für Deutschland ist das ein Rekord. Wie kam es dazu? Eine Chronik. Von Philip Barnstorf
Das Saarland wollte Elon Musks Milliardeninvestition, Rheinland-Pfalz ebenso und auch ein Standort in Niedersachsen war lange im Rennen. Der Tesla-Chef selbst twitterte noch 2018, dass eine Fabrik im deutsch-französischen Grenzgebiet sinnvoll sei. Damals hätte wohl niemand auf das brandenburgische Grünheide als Sieger dieses Rennens getippt.
Aber Tesla sortierte einen Standort nach dem anderen aus, Grünheide blieb auf der Liste. Die Brandenburger Politiker und Wirtschaftsförderer legten sich ins Zeug, versprachen eine schnelle Genehmigung, günstige Steuern und ließen sich im September 2019 etwas Besonderes einfallen. In einem alten russischen Doppeldecker-Flugzeug, Spitzname Anuschka, zeigten sie den Tesla-Mitarbeitern das 300 Hektar große Grundstück aus der Luft. So viel Einsatz soll angeblich Eindruck hinterlassen haben bei Tesla.
Brandenburger Diskretion
Das dürfte aber nicht Grünheides einziger Vorzug gewesen sein: Gewerbegrundstücke dieser Größe, auf denen schon Baurecht liegt, sind nicht gerade häufig. Außerdem ist die Anbindung hervorragend, grenzen die 300 Hektar doch sowohl an Schiene und Autobahn. Berlin mit seinen vielen Bildungsinstitutionen ist keine fünf Kilometer weg und auch der Flughafen BER ist in etwas mehr als 20 Minuten im Auto zu erreichen.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schließlich nannte stolz die Brandenburger Zurückhaltung als Grund für Musks überraschende Entscheidung. Aus den geheimen Verhandlungen mit Brandenburg drang nichts nach draußen.
Tesla-Tempo auf eigenes Risiko
Die öffentliche Verkündung wollte sich nämlich Elon Musk nicht nehmen lassen. Am 12. November 2019 war es soweit: “Wir haben uns entschieden, die europäische Gigafactory im Berliner Raum zu bauen”, sagte Musk bei einer Preisverleihung in Berlin. Wenige Wochen später kaufte Tesla die 300 Hektar im Grünheider Ortsteil Freienbrink dem Land Brandenburg ab, für günstige 40 Millionen Euro. Aber während im Anschluss das Land noch Weltkriegsbomben auf dem Gelände aufsammeln lässt, formiert sich in Grünheide Widerstand. Anwohner finden Flugblätter in ihren Briefkästen. Die Verfasser sehen Pflanzen, Tiere und den Wasserhaushalt der Region in Gefahr durch Tesla.
Tesla verliert derweil keine Zeit und reicht noch im Dezember 2019 die Baupläne für die Fabrik beim Landesumweltamt ein, das die Unterlagen nun genehmigen soll. Aber damit nicht genug: Tesla beantragt auch gleich die ersten Vorab-Zulassungen. Mit denen kann das Unternehmen zu bauen beginnen, obwohl die endgültige Genehmigung noch aussteht. Allerdings geht Tesla damit ins Risiko, denn wenn das Projekt am Ende nicht genehmigt wird, muss Tesla alles auf eigene Kosten wieder abreißen.
Widerstand formiert sich
Während sich rund 250 Kritiker Anfang 2020 zu mehreren Demonstrationen gegen die Ansiedlung versammeln, schafft Tesla dank der Vorab-Zulassungen Fakten. 30 Harvester fällen innerhalb von Tagen dutzende Hektar Kiefernforst.
Aber dann ein Schreckmoment für die vielen Befürworter des Projekts: Umweltverbände klagen gegen die Rodung, weil so vollendete Tatsachen geschaffen würden, obwohl die endgültige Genehmigung noch nicht vorliegt. Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) unterbricht die Fällungen für einige Tage, weist den Eilantrag dann aber ab. Auch beim Oberverwaltungsgericht in Berlin haben die Umweltschützer keinen Erfolg.
Tesla reduziert Wasserverbrauch
Erste ernsthafte Verzögerung entsteht dann im Juli 2020, als Tesla neue Baupläne bei den Behörden zur Genehmigung einreicht. Die ersten Unterlagen waren nach Einschätzung von Experten hastig zusammengestellt und lückenhaft. Nun hat Tesla das Fabrikdesign überarbeitet und geht auch auf Kritik ein. So soll die Fabrik nicht mehr 3,3 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr verbrauchen, sondern nur noch 1,4 Millionen. Die neuen Baupläne werden wie schon im Januar öffentlich ausgelegt und mehr als 400 Menschen und Verbände reichen sogenannte Einwendungen - also etwa Fragen und Kritik - dazu bei den Behörden ein.
Während Tesla mit immer mehr Vorab-Zulassungen weiter baut und sich dabei ein Bußgeld für unerlaubte Pfahlgründungen einhandelt, werden diese Einwendungen von den Behörden katalogisiert. Am 23. September 2020 kommen dann Genehmigungsbeamte, Tesla-Vertreter und die Einwender aus der Bevölkerung zum sogenannten Erörterungstermin in der Stadthalle in Erkner zusammen. Dabei sollen alle 400 Einwendungen, die sich vor allem ums Thema Wasser drehen, besprochen werden. Die Debatte - ursprünglich über zwei Tage geplant - zieht sich am Ende etwas mehr als eine Woche. Im Anschluss müssen die Behörden die gesamte Diskussion Wort für Wort aufschreiben.
“Die größte Batteriefabrik der Welt”
Im Januar ist das mehr als 1.200 Seiten starke Protokoll schließlich fertig. Viele rechnen damit, dass die Genehmigung nun nur noch wenige Tage entfernt ist. Aber es entstehen neue Probleme: Tesla muss bei den Sicherheitsvorkehrungen so umfangreich nacharbeiten, dass die Baupläne im Juni 2021 sogar noch ein drittes Mal ausgelegt werden müssen. Aber Tesla nutzt die Gelegenheit und integriert nun noch eine zusätzliche Batteriefabrik. Elon Musk spricht von der “größten Batteriefabrik der Welt”. Mit 50 Gigawattstunden Leistung jährlich ist sie zumindest eine der größten.
Mahnungsgebühren und Schwarzbau
Die ganze Zeit über erhält Tesla weitere Vorab-Zulassungen und baut, baut, baut. Die Behörden verlangen deshalb 100 Millionen Euro von Tesla - sozusagen als Pfand, um den Rückbau abzusichern, falls die Genehmigung doch ausbleiben sollte. Tesla zahlt Anfang 2021 zunächst nicht. Nach zähen Verhandlungen einigen sich Land und Investor auf eine Patronatserklärung einer deutschen Tesla-Tochter.
Auch sonst gerät das Unternehmen 2021 einige Male in die Kritik. Immer wieder überweisen die Kalifornier Gebühren zu spät. Weil Tesla Rohre und Tanks ohne Genehmigung baut, durchkämmen die Beamten im Juli die Baustelle auf der Suche nach weiteren Schwarzbauten. Stutzig werden sie bei weiteren Tanks. Aber die können “nachgeprüft werden”, wie es vom Landesumweltamt heißt. Umweltverbände kritisieren immer wieder, der Schutz etwa von Eidechsen und Nattern komme beim Tesla-Tempo unter die Räder.
Tesla bildet aus
Inzwischen ist klar: Der ursprünglich von Musk angepeilte Produktionsstart im Sommer 2021 ist nicht zu schaffen. Tesla hält dennoch am Standort fest, will inzwischen mehr als fünf Milliarden Euro investieren, und stellt im September 2021 die ersten sieben Azubis ein. Bald sollen es mehr als 100 sein. Dann wäre Tesla der größte Ausbildungsbetrieb des Landes. Dazu sind auch duale Studiengänge mit Berliner Hochschulen geplant. Teslas Zuversicht zeigt sich auch im Oktober 2021. Da lädt das Unternehmen 9.000 Menschen zu einem Tag der offenen Tür ein. Die Besucher können sich die Produktionsstraßen ansehen, Riesenrad fahren, Würstchen essen und abends Elon Musks Rede auf der Bühne lauschen.
Die Autofabrik ist zu diesem Zeitpunkt weitgehend fertig gebaut und auch das Genehmigungsverfahren biegt auf die Zielgerade ein. Nach der dritten Auslage gehen insgesamt mehr als 800 Einwendungen ein. Die werden im Verlauf des Herbstes online diskutiert.
Wasserproblem weiter ungelöst
Aber gleichzeitig spitzt sich ein Problem zu, das zwischenzeitig schon gelöst schien: Wasser. Schon 2020 hatte das Land dem Wasserverband Strausberg-Erkner erlaubt, im Wasserwerk Eggersdorf nahe der Tesla-Fabrik mehr Wasser aus dem Boden zu pumpen, um damit die Tesla-Fabrik zu versorgen. Aber dann klagten Umweltverbände gegen diese Erlaubnis, wegen vermeintlicher Formfehler und Umweltschäden. Als im Winter 2021 klar wird, dass das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) den Umweltschützern Recht geben könnte, schrillen beim Wasserverband die Alarmglocken. Als das Gericht die Erlaubnis im März 2022 wegen eines Formfehlers für rechtswidrig erklärt, droht der Verband, den Vertrag mit Tesla zu kündigen. Erst eine Woche vor dem geplanten Produktionsstart lenkt das Land ein und ermöglicht per Duldung weitere Wasserförderung trotz des Urteils.
Damit ist die Wasserversorgung der Tesla-Fabrik zwar erstmal gesichert. Aber insgesamt ist das Wasserproblem in der Region nicht gelöst. So könnte die Wasserknappheit den Zuzug von Menschen und Tesla-Zuliefer-Unternehmen behindern. Und das könnte den durch Tesla erhofften ökonomischen Aufschwung in der Region bremsen.
Nach der Genehmigung ist vor der Genehmigung
Aber Teslas Risikobereitschaft, mit rund 20 Vorab-Zulassungen ohne Genehmigung eine ganze Fabrik zu bauen, hat sich erstmal ausgezahlt. Jetzt hat das Unternehmen die nächsten Herausforderungen vor der Brust. Nachdem am Dienstag die ersten Teslas made in Brandenburg an ihre Besitzer übergeben werden, kommt es im Anschluss darauf an, die Massenproduktion im Werk zu starten. Dafür müssen alle Produktionsschritte und Zulieferketten harmonieren. Auch muss Tesla dafür rund 10.000 Menschen einstellen. Bisher sind rund 3.000 an Bord. Elon Musk selbst hat das beim Tag der offenen Tür schon als große Herausforderung bezeichnet.
Wenn es gut läuft, könnten 2023 mehrere hunderttausend Autos im Brandenburger Werk vom Band rollen. Außerdem sollen mit der Zeit immer mehr Teile in Grünheide hergestellt werden, die zunächst noch zugeliefert werden. Wichtigstes Beispiel: Batterien. Die Fabrik dafür ist noch nicht fertig.
Tesla hat außerdem angekündigt, alle seine Standorte mit Recyclingfabriken auszustatten. Gerüchteweise plant Tesla in Grünheide außerdem die Produktion von Stromspeichern für Haushalte. Mit der Bautätigkeit dürfte es in Grünheide also so schnell noch nicht vorbei sein. In Behördenkreisen rechnet man damit, dass schon im Sommer die nächsten Anträge von Tesla eingehen.
Sendung: Brandenburg aktuell, 22.03.2022, 19:30 Uhr
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