rbb-Datenauswertung | Ärzte in Brandenburg - Ärztemangel in Brandenburg - Fakt oder nur ein Gefühl?

Fr 22.06.18 | 15:42 Uhr | Von Stefan Kunze, Daten: Götz Gringmuth
Brandenburg, Deutschland - Notaerztin und Rettungssanitaeter des DRK stehen nebeneinander (Quelle: Imago/Sorge)
Video: Brandenburg Aktuell | 22.06.2018 | Anke Blumenthal | Bild: Imago/Sorge

Fast die Hälfte der Brandenburger in ländlichen Gebieten findet: Die ärztliche Versorgung hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Tatsächlich ist die Zahl der Ärzte seit 2001 deutlich gestiegen. Wie passt das zusammen? Von Stefan Kunze & Götz Gringmuth

Mehrere Stunden Wartezeit in einer Arztpraxis - fast jeder Berliner oder Brandenburger dürfte so eine Erfahrung schon mal gemacht haben. In den ländlichen Regionen Brandenburgs kommt jedoch oft sogar noch ein langer Anfahrtsweg dazu. Idealerweise sollte der Weg zum Facharzt laut Kassenärztlicher Vereinigung Brandenburg nicht mehr als eine halbe Stunde dauern - in einigen Regionen Brandenburgs lässt sich das nicht einmal erreichen, wenn ein Auto zur Verfügung steht.

Ärzte nach Entfernungen

Laut einer aktuellen Umfrage von infratest dimap im Auftrag des rbb ist die ärztliche Versorgung für rund zwei Drittel der Brandenburger das wichtigste Kriterium, wenn es um die Zufriedenheit mit ihrer Region geht.

Innerhalb Brandenburgs beurteilen die Bürger die Entwicklung der Ärzteversorgung in den vergangenen zehn Jahren sehr unterschiedlich: Außerhalb des Berliner Umlandes hat die Hälfte das Gefühl, die Lage hätte sich verschlechtert. Innerhalb des Speckgürtels sieht das nur jeder Vierte so. Fast drei Viertel sagen die Lage habe sich verbessert oder sei unverändert.

Aber was sagen die Zahlen?

Nirgendwo in Deutschland ist die Arztdichte geringer

Im Ranking der Bundesländer hat sich tatsächlich zuletzt nichts getan: Brandenburg ist seit Jahren bundesweites Schlusslicht bei der Ärztedichte. Im Jahr 2017 kam hier ein berufstätiger Arzt auf 251 Einwohner, die er rein rechnerisch behandeln muss. An der Spitze lagen erwartungsgemäß Stadtstaaten wie Hamburg (139) und Berlin (159). Im Bundesschnitt kommen 214 Einwohner auf einen berufstätigen Arzt.

Die Gesamtzahl der berufstätigen Ärzte hat sich hingegen in Brandenburg stark verändert. Was meinen Sie?

Tatsächlich ist die Gesamtzahl der berufstätigen Ärzte seit 2001 um insgesamt 34,5 Prozent gestiegen - und damit so stark wie in keinem anderen Flächenland. Nur im Stadtstaat Hamburg war der Anstieg mit 43,4 Prozent größer.

Der hohe Zuwachs an Ärzten - auf inzwischen insgesamt 9.929 (Stand 2017) berufstätige Mediziner - geht vor allem auf das Konto von Krankenhausärzten sowie den sogenannten Praxisassistenten zurück, die angestellt in Praxen und ambulanten Einrichtungen arbeiten.

Landkreise in berlinfernen Regionen verlieren Ärzte

In vier Landkreisen am äußersten Rand Brandenburgs sank die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die niedergelassen oder angestellt tätig sind: Spree-Neiße und Uckermark verloren jeweils zehn Ärzte, die Prignitz fünf und Elbe-Elster zwei. Einen starken Zuwachs verzeichneten hingegen insbesondere Potsdam (+182 Ärzte) und Oberhavel (+74). Aber auch Barnim (+50) und Dahme-Spreewald (+36) scheinen davon zu profitieren, dass bevölkerungsreiche Gemeinden ihrer Kreise im Speckgürtel liegen.

Anstellung statt Niederlassung

Eine eigene Praxis in Brandenburg scheint für den Nachwuchs offenbar wenig attraktiv zu sein. Denn nur noch 52,4 Prozent der Ärztinnen und Ärzte arbeiten in einer Einzelpraxis. Vor zehn Jahren waren es noch fast zwei Drittel. Nahezu verdoppelt hat sich hingegen die Zahl in den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sowie in den Gesundheitszentren, den Nachfolgeeinrichtungen der ehemaligen Polikliniken in der DDR. 

Noch deutlicher stieg die Zahl der angestellten Ärztinnen und Ärzte: Waren es 2008 noch 198, sind es Ende 2017 schon 536, die in Praxen und ambulanten Einrichtungen arbeiten.

Mehr Ärzte bedeuten nicht unbedingt mehr Versorgung

Zunehmend arbeiten angestellte Ärztinnen und Ärzte aber mehr in Teilzeit. Zudem ist die tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit in Praxen gesunken, ermittelte das Forschungsinistitut Prognos in einer Studie. Von durchschnittlich 42,6 Wochenstunden im Jahr 2011 ging die Zahl bis 2014 auf durchschnittlich 40,2 Stunden zurück.  

Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg (KVBB) berechnet daher die ärztliche Versorgung mit sogenannten Anrechnungsfaktoren.

Brandenburgs Ärzte werden immer älter

Der Behandlungsbedarf steigt offenbar schneller als die Zahl der Ärzte: In einer alternden Gesellschaft suchen insbesondere ältere Patienten häufiger den Arzt auf. Dazu werden manche Erkrankungen heute intensiver behandelt - und es gibt mehr Behandlungsmethoden. Und ebenso wie die Bevölkerung altert auch die Ärzteschaft.

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg ist knapp ein Drittel der Hausärzte älter als 60 Jahre (30 Prozent). Der älteste praktizierende Hausarzt ist derzeit 87 Jahre, der Jüngste 33 Jahre alt. Im Durchschnitt sind sie 54,9 Jahre alt. Bei den Fachärzten sieht es wenig besser aus.

Praxisnachfolger dringend gesucht

Besonders gesucht werden Praxisnachfolger für HNO-, Kinder- sowie Frauenärzte. Derzeit sucht die KVBB auch dringend Nachfolger für Augenärzte - so in Storkow, Eisenhüttenstadt, Guben, Luckau und in der Region Senftenberg. Mittelbar könnte es in diesem Bereich Versorgungsengpässe unter anderem auch in den sogenannten Mittelbereichen Prenzlau, Zehdenick-Gransee und Kyritz geben. Aktuell gibt es nach KVBB-Angaben 160 Augenärzte, die sich in Brandenburg so verteilen:

Weniger niedergelassene Hautärzte

Einen Engpass gibt es auch bei Hautärzten: Betrachtet über den Zeitraum 2001 bis 2017 hat sich die Gesamtzahl der Hautärzte in Brandenburg zwar nur leicht verringert (von 98 auf 94), zwischen den Jahren 2008 und 2015 gab es deutlich allerdings weniger niedergelassene Hautärztinnen und -ärzte. Am wenigsten waren es 2012 (76). Heute sind es immerhin 85 niedergelassene und neun angestellte Hautärzte.

Auch hier haben Berlin-ferne Regionen verloren: Den deutlichsten Rückgang zu verzeichnen hat Frankfurt (Oder). In Märkisch-Oderland, Spree-Neiße und die Uckermark hat sich die Zahl halbiert. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl in Potsdam verdoppelt.

Aktuell sucht die KVBB besonders dringend Hautärzte für Frankfurt (Oder) und Templin. Mittelbar drohen Versorgungsengpässe in den sogenannten Mittelbereichen Beeskow und Pritzwalk-Wittstock/Dosse.

Hintergrund

  • Theorie und Praxis bei der Bedarfsplanung

Hausärzte fehlen überall

Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg (KVBB) führt zum 1. Mai dieses Jahres insgesamt 1.637 Hausärzte in Brandenburg. Diese füllen 1.569,5 Vollzeitstellen aus.  Berücksichtigt sind Allgemeinmediziner, Praktische Ärzte und ein Teil der Fachärzte für Inneres, die auch als Hausarzt tätig sind.

Im Gegensatz zur Gesamtzahl der Ärzte in Brandenburg gibt es bei den Hausärzten seit 2001 keinen kontinuierlichen Anstieg, sondern sogar zwischenzeitlich einen Rückgang. Nach Angaben der KVBB sank die Zahl zwischen 2001 und 2005 um 5,4 Prozent, von 1.608 auf 1.521 Ärztinnen und Ärzte. Erst seit 2010 steigt die Zahl wieder an: Seitdem sind es 97 Hausärzte mehr.

Für die Zukunft erwartet die KVBB, dass bis zum Jahr 2020 mindestens 119 Hausärzte fehlen werden, wenn der bisherige Status Quo aufrechterhalten werden soll. Ein Bedarf von 119 Hausärzten unter der Annahme, dass diese Vollzeit arbeiten. Sollten einige Teilzeit arbeiten wollen, würde es mehr Köpfe brauchen, um die 119 Versorgungsaufträge auszufüllen.

Gesucht werden aktuell Praxisnachfolger in Eisenhüttenstadt, Guben, Lauchhammer und Schwarzheide sowie perspektivisch in elf der 46 sogenannten Mittelbereiche.

Hintergrund

  • Bundesweite Vorgabe für die Hausärztliche Versorgung

  • Planungsbereiche der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg

Bedarf an Hausärzten gibt es aber auch im Speckgürtel

Aktuell gibt es bei Hausärzten den geringsten Versorgungsgrad im Mittelbereich Neuenhagen (81,9 Prozent) und Werder(Havel)-Beelitz (83,5 Prozent). Deutlich unter einem Versorgungsgrad von 100 Prozent liegen aktuell auch die Berlin-fernen Mittelbereiche wie Schwedt (87,1 Prozent) und Spremberg (85,9 Prozent).

Regionen im Berliner Speckgürtel mit starkem Zuzug wie Neuenhagen, Werder-Beelitz, aber auch z.B. Schönefeld-Wildau oder Königs-Wusterhausen haben weniger ein Problem, sagt KVBB-Sprecher Christian Wehry, weil dort viele jüngere Familien hinziehen, die zum einen noch weniger Bedarf an ärztlicher Versorgung haben und zum anderen nach Berlin ausweichen können.

In Potsdam waren wegen der Bevölkerungszunahme bis Ende 2017 noch Zulassungen möglich, der Versorgungsbereich liegt laut KVBB bei über 110 Prozent liegt. Auch der Mittelbereich Elsterwerda-Bad Liebenwerda liegt über dieser Schwelle und gilt mit 120,7 Prozent als überversorgt; ebenso der Mittelbereich Herzberg (Elster), für den zwar derzeit keine Zulassung möglich ist, der dennoch von der KVBB schon als Förderregion ausgewiesen ist. Weil eine Unterversorgung droht, stellt die KVBB schon jetzt eine Förderung von 55.000 Euro für die Niederlassung in Aussicht,  damit sich ein Hausarzt in die Berlin-ferne Region bewegt.    

Hintergrund

  • Kurz erklärt: Hausarztdichte in Brandenburg

Fazit: Der Ärztemangel betrifft je nach Fachrichtung sowohl Berlin-ferne, als auch Berlin-nahe Regionen. Die rbb-Recherchen zeigen, dass sich für einige Regionen außerhalb des Berliner Umlandes die ärztliche Versorgung in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert beziehungsweise sich in den Speckgürtel verschoben hat. Dazu hat die Zahl der Einzelpraxen abgenommen.  

Die Zahl der ambulant und praktisch tätigen Ärzte sollte eigentlich deutlicher über dem Stand der Versorgung von 2001 liegen, auch weil die Einwohnerzahl in Brandenburg steigt und Bevölkerung wie Ärzteschaft altern. Der Bedarf an ärztlicher Versorgung dürfte in der Zukunft steigen. Aber das gilt auch für Berlin. Deshalb ist nicht sicher, ob Berlin-ferne Regionen als Arbeitsort überhaupt noch in Frage kommen.

Junge Ärztinnen und Ärzte würden bei besserem Nahverkehr vielleicht häufiger den Weg in Brandenburgs Ferne finden, Patienten müssten vielleicht keine Tagesreise zum Facharzt einplanen. Bliebe nur noch die Wartezeit in der Praxis…

Sendung: Inforadio, 22.06.2018, 06:10 Uhr

Korrektur: In einer ersten Fassung dieses Beitrags hatten wir geschrieben, Potsdam gelte für die KVBB statistisch als unterversorgt mit Hausärzten. Das ist nicht korrekt. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

Beitrag von Stefan Kunze, Daten: Götz Gringmuth

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