40 Milliarden Euro für die Kohleregionen - Kommission schlägt Kohleausstieg bis 2038 vor

Nach einer Marathonsitzung hat sich die Kohlekommission auf einen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 geeinigt. Kohleregionen wie die Lausitz sollen mit Milliardensummen unterstützt werden. Den Stromkunden wird Entlastung zugesichert.
Das Wichtigste in Kürze:
Die Kohlekommission der Bundesregierung empfiehlt den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038.
Stromkunden sollen nicht zusätzlich belastet werden durch steigende Preise.
Bundesländer mit Kohleregionen sollen 40 Milliarden Euro vom Bund für den Strukturwandel bekommen.
Energieunternehmen sollen für die Abschaltung ihrer Kraftwerke entschädigt werden.
Vattenfall will seine Kohleverstromung in Berlin schon bis 2030 beenden.
In weniger als 20 Jahren soll in Deutschland kein Strom mehr aus Kohlekraftwerken gewonnen werden. Am frühen Samstagmorgen verständigte sich die 28-köpfige Kohlekommission auf einen Zeitplan bis Ende 2038 - bei nur einer Gegenstimme.
Vorausgegangen war eine Marathonsitzung von fast 21 Stunden. Die Verhandlungen im Bundeswirtschaftsministerium hatten am Freitagmorgen um 08.00 Uhr begonnen. Sie standen nach Angaben von Umweltverbänden mehrmals vor dem Scheitern. Bis zum Schluss rangen die Teilnehmer um eine Einigung. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission soll für den Klimaschutz ein Szenario für den Ausstieg aus der Braun- und Steinkohle erarbeiten. Strittig war vor allem der Zeitrahmen. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge könnte der Ausstieg sogar schon 2035 abgeschlossen sein. Dies soll aber erst im Jahr 2032 entschieden werden.
Strompreise sollen stabil bleiben
Bis 2022 sollen nun insgesamt 12,5 Gigawatt Leistung aus dem Netz genommen werden, davon drei Gigawatt Braunkohle mehr als bisher ohnehin vorgesehen. 2030 sollen noch höchstens 9 Gigawatt Braunkohle und 8 Gigawatt Steinkohle am Netz sein - Einzelschritte, die Umweltverbände gefordert hatten, stehen nicht im Konzept. Zusammen haben die Kohlekraftwerke derzeit eine Leistung von rund 45 Gigawatt. Rund ein Drittel des Stroms kommt heute aus Kohlekraftwerken.
Privathaushalte und die Wirtschaft sollen von steigenden Strompreisen entlastet werden. Die Kommission hält dafür unter anderem einen Zuschuss von mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr für erforderlich, wie es nun im Abschlussbericht heißt, etwa um die Netzentgelte zu senken. Eine zusätzliche Abgabe oder Umlage für Stromkunden soll es nicht geben.
40 Milliarden Euro für die Kohleländer
Die Kommission hat auch den Umfang der finanziellen Hilfen des Bundes für die deutschen Kohleregionen empfohlen. Laut Kommissionsbericht sollen die vier vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt insgesamt 40 Milliarden Euro bekommen: jeweils 1,3 Milliarden Euro für die Kohleregionen und weitere 700 Millionen Euro für die Landeskassen. Beides über einen Zeitraum von 20 Jahren. Die Kohleländer hatten verbindliche Zusagen gefordert, damit sie den Strukturwandel finanzieren können.
Die EU hat zur Finanzierung des Kohleausstiegs bereits den rechtlichen Rahmen geschaffen: Als Deutschland vor drei Jahren für die Stillegung von Braunkohlekraftwerken über 1 Milliarde Euro Unterstützung bereitstellte, gab Brüssel grünes Licht. Im Dezember hatte die EU zudem beschlossen, ihre eigene Subvention der Kohlekraftwerke ab 2025 zu beenden. Die Stillegung der Meiler dürfen die EU-Mitgliedsländer allerdings weiterhin fördern - aus eigener Tasche. Das steht im Einklang mit den EU-Beihilferichtlinien. Zudem können die Länder in Brüssel zusätzliche Gelder für den Strukturwandel in den Kohleregionen beantragen.
"Zähe Verhandlungen mit den ostdeutschen Bundesländern"
Von den Umweltverbänden hieß es, die Kommission habe mehrmals vor dem Scheitern gestanden. Die Verhandlungen insbesondere mit den ostdeutschen Bundesländern seien "zäh" gewesen.
Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen, Katherina Reiche, sprach von einer "guten Grundlage", um die Kohleverstromung zu gestalten.
Einzige Gegenstimme kommt aus Welzow
Die Teilnehmer der Kohlekommission wollen das Ergebnis ihrer Beratungen bei einer Pressekonferenz am Samstagvormittag vorstellen. Am 1. Februar soll der Abschlussbericht präsentiert werden. Die Kohlekommission ist mit Vertretern aus Politik, Industrie, Wissenschaft, Gewerkschaften und Umweltverbänden besetzt. Sie macht Vorschläge, entscheiden muss nun die Politik. Nach dpa-Informationen stimmten alle Mitglieder dem Kompromiss zu - bis auf Hannelore
Wodtke, die sich für den Ort Welzow am Tagebaurand in der Lausitz einsetzt.
Brandenburgs Wirtschaftsminister drückt aufs Tempo
Die Empfehlungen der Kohlekommission an die Bundesregierung sollen in ein Maßnahmegesetz fließen. Brandenburgs Wirtschafts- und Energieminister Jörg Steinbach (SPD) hatte den Bund aufgefordert, schnell zu handeln. Noch vor der Sommerpause müsse das Gesetz auf den Weg gebracht werden. Laut Steinbach sind 45 Prozent der Bundesmittel für den Braunkohleausstieg für die brandenburgische Lausitz vorgesehen. Bereits ab April soll es ein Sofortprogramm von 150 Millionen Euro geben.
Erste Informationen zum Abschlussbericht der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" waren schon vorab durchgesickert, wie die Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber. Zudem soll der Fahrplan zum Kohleausstieg in den Jahren 2023, 2026 und 2029 überprüft werden. Energiearbeiter sollen sozial abgesichert werden, wenn sie ihren Job verlieren. Der Bund wird verpflichtet, eine aktive Strukturpolitik zu betreiben, neue Bahntrassen, neue Autobahnen und neue Forschungseinrichtungen in den betroffenen Gebieten schaffen. Zudem sollen in den drei deutschen Kohlerevieren 5.000 Behördenjobs angesiedelt werden.
Greenpeace unzufrieden mit Ausstiegsdatum
Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser bedauerte, dass für die Zeit zwischen 2022 und 2030 Zwischenschritte für den Kohleausstieg fehlen. Auch das Enddatum sei "nicht so klar beschrieben" - die Umweltverbände sehen 2035 als Ausstiegsdatum an, nicht 2038. "Trotzdem wird die Klimabewegung und wird der Markt das regeln, dass wir sehr viel schneller aussteigen", zeigte er sich überzeugt.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bewertete die Einigung hingegen als den erhofften Durchbruch. Nun bestehe die Chance, dringend notwendige Fortschritte beim Klimaschutz zu erzielen. Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer, Mitglied der Kommission, sagte der Nachrichtenagentur AFP, vereinbart worden sei die Möglichkeit, im Jahr 2032 noch einmal zu überprüfen, ob ein Ausstieg bereits bis 2035 gelingen könne. Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen, Katherina Reiche, sprach von einer "guten Grundlage", um die Kohleverstromung zu gestalten. "Wir richten die Erwartung an die Bundesregierung, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen."
Vattenfall plant Kohleausstieg in Berlin schon bis 2030
Beim Ausstieg aus der Kohleverstromung in Berlin verfolgt der schwedische Energiekonzern Vattenfall "einen klaren Zeitplan". Das sagte Vorstandschef Magnus Hall der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Wir haben im vergangenen Jahr die Braunkohlenutzung in Klingenberg beendet und stellen auf Gas um. Das Kraftwerk Reuter C soll 2020 folgen, danach die Kraftwerke Moabit und Reuter West", skizzierte er die nächsten Jahre. "Bis spätestens 2030 werden wir in Berlin aus der Steinkohle heraus sein." Vattenfall sehe sich nach anderen Energiequellen um, etwa Restwärme und Abwärme von Industrieanlagen oder Datenverarbeitungszentren.
Laut einem Bericht von MDR Aktuell hält Vattenfall zudem den Aufbau industrieller Photovoltaik- und Windparks in der Lausitz für sinnvoll und machbar. Auf den Flächen der Braunkohletagebaue könne man in eine neue Größenordnung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen vorstoßen. So könnten die Braunkohlereviere als Energie-Regionen erhalten und entwickelt werden, zitierte der Sender am Freitag einen Sprecher des Unternehmens.
Es könnten Solaranlagen und Windräder mit einer Leistung von gut 20 Gigawatt (GW) installiert werden, berichtete der Sender unter Berufung auf eine im Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Das entspräche rund 20 großen Braunkohlekraftwerksblöcken. Das käme dem Wunsch entgegen, die Energieregion im Osten zu erhalten und Tausende neue Arbeitsplätze zu schaffen. Vattenfall sei mit verschiedenen Akteuren im Gespräch und könne sich entsprechende Investitionen vorstellen.
Sendung: Zukunft ohne Kohle, 25.01.2019, 22 Uhr