Kohleausstieg Berlins - Auf dem Weg zur fossilfreien Stadt
Spätestens 2030 will Berlin aus der Kohle aussteigen. Bis dahin müssen drei Kraftwerke, die mitten in der Stadt noch Steinkohle verheizen, vom Netz. Franziska Ritter hat Energieversorger Vattenfall gefragt, was danach kommt.
Im Winter laufen in der Maschinenhalle von Reuter West - Berlins größtem Heizkraftwerk - die Turbinen auf vollen Touren. Sie werden vom Wasserdampf angetrieben, der in den mit Steinkohle beheizten Kesseln der Anlage entsteht. Die Technik hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Ein Block ging 1987 in Betrieb, der andere 1989. "Die Restlaufzeit der Anlage beträgt noch einige Jahre", betont Christian Müller, der sich bei Energieversorger Vattenfall um Betrieb und Logistik des Heizkraftwerks kümmert. "Aber wir werden beide Blöcke spätestens 2030 außer Betrieb nehmen, wenn Berlin aus der Kohle aussteigt."
Hunger auf Kohle
Der Großteil des Brennstoffs, den Reuter West verschlingt - rund 4.500 Tonnen sind es allein an einem Wintertag - kommt auf dem Wasserweg ins Werk. Um immer genug Kohle auf Halde zu haben, verfügt das Kraftwerk auch über einen Bahnanschluss. Kohlemühlen mahlen die schwarzen Brocken zu Staub, der in die Dampfkessel eingeblasen und verheizt wird.
Bevor dicke Dampfwolken aus dem Schornstein entweichen, reinigen die Kraftwerksbetreiber den Rauch. Sie zerlegen die enthaltenen Stickoxide mit Hilfe von Ammoniak in ihre Einzelbestandteile, so dass deren Konzentration auf unter 200 Milligramm pro Kubikmeter sinkt. Elektrofilter entstauben den Rauch. Schließlich wird eine Mischung aus Kalksteinmehl und Wasser ins Gas geblasen, das 85 Prozent des enthaltenen Schwefeldioxids bindet. Den dabei entstehenden Gips verkauft Vattenfall übrigens an die Bauindustrie, die daraus Gipskartonplatten fertigt.
Ein Cocktail aus Schadstoffen
Trotz all dieser Maßnahmen ist Reuter West der größte Luftverschmutzer der Stadt. Laut Zahlen des Umweltbundesamtes hat das Spandauer Heizkraftwerk im Jahr 2016 mehr als 2,5 Millionen Tonnen schädliches Kohlendioxid ausgestoßen. Dazu kommen 57 Tonnen Feinstaub und kiloweise giftige Schwermetalle wie Nickel, Arsen und Quecksilber.
Kohle zu verheizen ist ein Auslaufmodell, das weiß auch Kraftwerksbetreiber Vattenfall. Der schwedische Energiekonzern hat sich auf die Fahne geschrieben, der nächsten Generation ein Leben ohne fossile Brennstoffe zu ermöglichen. Doch woher soll die Fernwärme für Berlin kommen, wenn drei Kohlekraftwerke - Reuter, Reuter West und Moabit - vom Netz gehen, die 400.000 Wohnungen im Norden Berlins versorgen?
Wärmequelle der Zukunft
Um eine Antwort darauf zu finden, erarbeitet der schwedische Energiekonzern gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Verkehr, Umwelt und Klimaschutz derzeit eine Studie. Sie soll zeigen, welche technischen Lösungen machbar, wirtschaftlich sinnvoll und sozialverträglich sind. In den Szenarien, die Vattenfall für die kommenden 30 Jahre entwirft, geht es unter anderem um die Potenziale von Geothermie, Solarthermie und Wärmespeichern. Gesucht wird ein innovativer Mix verschiedener Wärmequellen, der Kohle und Erdgas ablöst.
Christoph Koch, der sich bei Vattenfall um die strategische Planung kümmert, sieht vor allem in der Nutzung industrieller Abwärme ein enormes Potenzial. In Spandau zweigt der Energieversorger zum Beispiel den Dampf, der im benachbarten Müllheizkraftwerk der Berliner Stadtreinigung entsteht, fürs Fernwärmenetz ab. In Zukunft will Vattenfall auch mit den Berliner Wasserbetrieben zusammenarbeiten, um die Restwärme des Berliner Abwassers zu nutzen.
Wärme durch Sonne und Wind
Auf dem Dach der Kesseltürme von Reuter West lässt sich erahnen, welches technologische Neuland der Energiekonzern betritt. Direkt nebenan liegt das Kraftwerk Reuter, dessen Steinkohleblock am 31.3.2020 planmäßig außer Betrieb gehen wird. Vattenfall ersetzt ihn durch die größte Power-to-Heat-Anlage Deutschlands, die vom Prinzip wie ein Wasserkocher funktioniert. Sie erzeugt Wärme aus erneuerbarem Strom, der an windigen und sonnigen Tagen durch Solaranlagen und Windräder gewonnen wird. Im Sommer wird die 120-Megawatt-Anlage getestet, die einmal bis zu 30.000 Haushalte mit Fernwärme versorgen soll. "Das ist ein großer Beitrag zu einer CO2-neutralen Fernwärmeerzeugung", jubelt Christian Müller von Vattenfall.
Power to Heat ist ein Baustein auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt. Wie die anderen Puzzleteile aussehen, muss sich zeigen. Stefan Taschner von der Fraktion der Grünen gehört zu einem Kreis von Fachleuten, Umweltschützern und Politikern, die Vattenfalls Machbarkeitsstudie zum Kohleausstieg begleiten. Er rechnet im Sommer dieses Jahres mit Ergebnissen: "Dann liegt es an Vattenfall, dass wir loslegen und es mit dem Kohleausstieg klappt."
Sendung: 09:03.2019, Inforadio, 09:45 Uhr