Kohleausstieg Berlins - Auf dem Weg zur fossilfreien Stadt

Sa 09.03.19 | 08:43 Uhr | Von Franziska Ritter
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Archivbild: Blick auf das Kraftwerk Reuter bei Sonnenuntergang am 18.03.2008 (Bild: imago)
Audio: Inforadio | 09.03.2019 | 09:45 Uhr | Bild: imago

Spätestens 2030 will Berlin aus der Kohle aussteigen. Bis dahin müssen drei Kraftwerke, die mitten in der Stadt noch Steinkohle verheizen, vom Netz. Franziska Ritter hat Energieversorger Vattenfall gefragt, was danach kommt.

Im Winter laufen in der Maschinenhalle von Reuter West - Berlins größtem Heizkraftwerk - die Turbinen auf vollen Touren. Sie werden vom Wasserdampf angetrieben, der in den mit Steinkohle beheizten Kesseln der Anlage entsteht. Die Technik hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Ein Block ging 1987 in Betrieb, der andere 1989. "Die Restlaufzeit der Anlage beträgt noch einige Jahre", betont Christian Müller, der sich bei Energieversorger Vattenfall um Betrieb und Logistik des Heizkraftwerks kümmert. "Aber wir werden beide Blöcke spätestens 2030 außer Betrieb nehmen, wenn Berlin aus der Kohle aussteigt."

Innerhalb des Heizkraftwerkes Reuter West in Berlin, Spandau befindet sich eine Halle in der der bei dem Betrieb entstehende Gips gelagert wird (Bild: rbb/Franziska Ritter)
Ein großer Haufen Gips in der sog. 'Gipshalle' des Heizkraftwerkes Reuter West. | Bild: rbb/Franziska Ritter

Hunger auf Kohle

Der Großteil des Brennstoffs, den Reuter West verschlingt - rund 4.500 Tonnen sind es allein an einem Wintertag - kommt auf dem Wasserweg ins Werk. Um immer genug Kohle auf Halde zu haben, verfügt das Kraftwerk auch über einen Bahnanschluss. Kohlemühlen mahlen die schwarzen Brocken zu Staub, der in die Dampfkessel eingeblasen und verheizt wird.

Bevor dicke Dampfwolken aus dem Schornstein entweichen, reinigen die Kraftwerksbetreiber den Rauch. Sie zerlegen die enthaltenen Stickoxide mit Hilfe von Ammoniak in ihre Einzelbestandteile, so dass deren Konzentration auf unter 200 Milligramm pro Kubikmeter sinkt. Elektrofilter entstauben den Rauch. Schließlich wird eine Mischung aus Kalksteinmehl und Wasser ins Gas geblasen, das 85 Prozent des enthaltenen Schwefeldioxids bindet. Den dabei entstehenden Gips verkauft Vattenfall übrigens an die Bauindustrie, die daraus Gipskartonplatten fertigt.

Ein Cocktail aus Schadstoffen

Trotz all dieser Maßnahmen ist Reuter West der größte Luftverschmutzer der Stadt. Laut Zahlen des Umweltbundesamtes hat das Spandauer Heizkraftwerk im Jahr 2016 mehr als 2,5 Millionen Tonnen schädliches Kohlendioxid ausgestoßen. Dazu kommen 57 Tonnen Feinstaub und kiloweise giftige Schwermetalle wie Nickel, Arsen und Quecksilber.

Kohle zu verheizen ist ein Auslaufmodell, das weiß auch Kraftwerksbetreiber Vattenfall. Der schwedische Energiekonzern hat sich auf die Fahne geschrieben, der nächsten Generation ein Leben ohne fossile Brennstoffe zu ermöglichen. Doch woher soll die Fernwärme für Berlin kommen, wenn drei Kohlekraftwerke - Reuter, Reuter West und Moabit - vom Netz gehen, die 400.000 Wohnungen im Norden Berlins versorgen?

Wärmequelle der Zukunft

Um eine Antwort darauf zu finden, erarbeitet der schwedische Energiekonzern gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Verkehr, Umwelt und Klimaschutz derzeit eine Studie. Sie soll zeigen, welche technischen Lösungen machbar, wirtschaftlich sinnvoll und sozialverträglich sind. In den Szenarien, die Vattenfall für die kommenden 30 Jahre entwirft, geht es unter anderem um die Potenziale von Geothermie, Solarthermie und Wärmespeichern. Gesucht wird ein innovativer Mix verschiedener Wärmequellen, der Kohle und Erdgas ablöst.

Christoph Koch, der sich bei Vattenfall um die strategische Planung kümmert, sieht vor allem in der Nutzung industrieller Abwärme ein enormes Potenzial. In Spandau zweigt der Energieversorger zum Beispiel den Dampf, der im benachbarten Müllheizkraftwerk der Berliner Stadtreinigung entsteht, fürs Fernwärmenetz ab. In Zukunft will Vattenfall auch mit den Berliner Wasserbetrieben zusammenarbeiten, um die Restwärme des Berliner Abwassers zu nutzen.

Wärme durch Sonne und Wind

Auf dem Dach der Kesseltürme von Reuter West lässt sich erahnen, welches technologische Neuland der Energiekonzern betritt. Direkt nebenan liegt das Kraftwerk Reuter, dessen Steinkohleblock am 31.3.2020 planmäßig außer Betrieb gehen wird. Vattenfall ersetzt ihn durch die größte Power-to-Heat-Anlage Deutschlands, die vom Prinzip wie ein Wasserkocher funktioniert. Sie erzeugt Wärme aus erneuerbarem Strom, der an windigen und sonnigen Tagen durch Solaranlagen und Windräder gewonnen wird. Im Sommer wird die 120-Megawatt-Anlage getestet, die einmal bis zu 30.000 Haushalte mit Fernwärme versorgen soll. "Das ist ein großer Beitrag zu einer CO2-neutralen Fernwärmeerzeugung", jubelt Christian Müller von Vattenfall.

Der Ausblick vom Dach der Kesseltürme des Heizkraftwerkes Reuter West in Spandau (Bild: rbb/Franziska Ritter)
Der Ausblick vom Dach des Heizkraftwerkes auf die Stadt Berlin. | Bild: rbb/Franziska Ritter

Power to Heat ist ein Baustein auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt. Wie die anderen Puzzleteile aussehen, muss sich zeigen. Stefan Taschner von der Fraktion der Grünen gehört zu einem Kreis von Fachleuten, Umweltschützern und Politikern, die Vattenfalls Machbarkeitsstudie zum Kohleausstieg begleiten. Er rechnet im Sommer dieses Jahres mit Ergebnissen: "Dann liegt es an Vattenfall, dass wir loslegen und es mit dem Kohleausstieg klappt."

Sendung: 09:03.2019, Inforadio, 09:45 Uhr

Beitrag von Franziska Ritter

25 Kommentare

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  1. 25.

    Die Winter sind mild und werden noch milder durch Klimawandel. Fernwärme Heizungen abschaffen ... Menschen ausstatten mit hoch-technologischer-funktionaler Bekleidung (wie eine zweite Haut unter normaler Bekleidung), die eigene Körperwärme effizient speichert. So kann jeder was tun für Umwelt!!!

  2. 24.

    Power-to-Haet. Also ein riesengroßer Elektrotauchsieder soll es richten. Um den Strom zu erzeugen werden dann hektarweise Waldgebiete im Land Brandenburg gerodet. Dann lieber Kohle und Verpressung von CO2 in der Erde.

  3. 23.

    Lieber Anorak2, in den von uns beschriebenen Mengen wirkt Kohlendioxid durchaus schädlich auf die Umwelt.

  4. 22.

    @rbb Unter der Überschrift "Ein Cocktail aus Schadstoffen" schreiben Sie

    "hat das Spandauer Heizkraftwerk im Jahr 2016 mehr als 2,5 Millionen Tonnen schädliches Kohlendioxid ausgestoßen"

    CO2 wird also gleich zwei mal als Schadstoff bezeichnet. Das ist unerhört, bitte korrigieren Sie das. CO2 ist eine natürliche, lebensnotwendige, ungiftige Substanz wie Wasser. Ihre Begriffsverwirrung unterscheidet sich kaum noch von offener Propaganda.

  5. 21.

    Was wäre Ihnen lieber?
    Sich auf das Wetter zu verlassen?
    Umweltschädlich erzeugten Strom aus dem Ausland zu kaufen?
    Die momentane Energiepolitik ist (ebenso wie die Verkehrspolitik) ideologiegetrieben und nicht vernunftorientiert.
    Zuerst überlegt man sich, wie man die Welt gerne hätte. Dann legt man fest, dass zumindest Deutschland so zu ein hat. Und erst danach, was möglich und vernünftig wäre.
    Die falsche Reihenfolge.
    Wie auch immer die Regierung derzeit zusammengesetzt ist:
    Es sind die Grünen, die den Ton angeben.
    Gott helfe uns.

  6. 20.

    Strom wird vom Amt bezahlt? Schön wärs. Stromkosten sind im Regelsatz enthalten.

  7. 19.

    Geothermie wie in Island finde ich gut. Wo gibt es denn hier irgendwelche Voraussetzungen dafür?

  8. 18.

    Das mit der hochgepriesenen, angeblich "fossilfreien" Stadt ist Augenwischerei, da wir den hier nicht mehr produzierten Strom einfach teurer im Asuland einkaufen. Es gibt also ökologisch nur eine Verlagerung und keine bessere Umweltbilanz. Das mit der Verlagerung gehört explizit zur erwünschten dt. "grünen" Klientelpolitik, in dem Nebeneffekte bei den gestellten Forderungen einfach ausgeklammert werden. (Wie die Stromerzeugung beim Elektroauto oder beim Massentod von Vögeln plus Versiegeln von Waldflächen wegen Windkrafträdern etc.).
    Das jährliche Feinstaubaufkommen wird in Berlin zu 1/5 vom Silvesterfeuerwerk produziert. Wir haben bundesweit ca. 4500 Tonnen. Bei der hohen Einwohnerdichte hier dürfte das Kraftwerk der Silvesterbelastung ähneln, nur dass Strom für den Alltag wichtig ist und die Böllerei nicht.
    Es geht eher um eine Feinbildpolitik als um Ökologie.
    Was sind denn nun endlich mal Konzepte der Grünen für eine ganzheitliche Ökologie? Vermisse ich bis heute.

  9. 17.

    Also soll alles so bleiben wie es ist? Dann weiß ich gar nicht, warum alle so auf die Merkel-Regierung schimpfen. Stillstand scheint ja doch, dass zu sein, was der Großteil der Bevölkerung will.

  10. 16.

    Einige Kommentatoren haben nur ein Fazit....weiter Kohle verbrennen. Vollkommen egal was die Folgen betrifft.
    Was sagte schon Einstein..."Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher".



  11. 15.

    Wo steht, dass ich den HartzIV Bezieher auffordere weniger Strom zu verbrauchen? Ich habe geschrieben, dass der HartzIV Bezieher den Strom durch das Amt bezahlt bekommt. D.h. der Arbeiter und Steuerzahler bezahlt ihm den Strom.

  12. 14.

    Die Polen bauen und betreiben etliche Kohlekraftwerke unweit der deutschen Grenze. Der "fossilfreie" Betrieb in Berlin erfolgt dann ggfs. über Realisierung des Stromverbundes mit Polen und Frankreich. In Frankreich mit Atomkraft und in Polen über Kohlekraft.

  13. 13.

    Während der Regierung zwei Flugzeuge zur Verfügung gestellt werden, falls bei Auslandsreisen eines ausfällt, der Bundespräsident nach Münster (!) mit den Flugzeug fliegt, der Außenminister, die 300.000 EUR für seine Rückholung einfach ab tut (wichtige Termine in Berlin - der Geburtstag seines Sohns)kann der Bürger seinen CO2-Fußabdruck gefälligst und servil hinterlassen.
    Wenn dann noch Menschen, wie @Tobias, Sozialhilfeempfänger und HartzIV-Bezieher auffordert, weniger Strom zu verbrauchen, um somit die steigenden Strompreise zu kompensieren, ist ein Kohleausstieg völlig okay.

  14. 12.

    Unmengen CO2, saurer Regen, Arsen und Quecksilber. Komplett unverantwortlich, dass sowas jemals genehmigt wurde! Gut, dass Berlin bis 2030 aus der Kohle aussteigt.

  15. 11.

    " Doch woher soll die Fernwärme für Berlin kommen,? " aber der Aussteg ist beschlossen ohne eine alternative zuverlässige Versorgung, das wird interessant oder unangenehm

  16. 10.

    Ich stimme Ihnen teilweise zu, aber klimabilanztechnisch ist es tatsächlich energiesparender und -effektiver, wenn die Menschen in Städten statt im ländlichen Raum leben. Auch der Flächenverbrauch kann so eingedämmt werden und Natur erhalten werden.

    Dass das Leben auf dem Lande viel unbeschwerter ist, steht auf einem anderen Blatt Papier.

  17. 9.

    " Gesucht wird ein innovativer Mix verschiedener Wärmequellen, der Kohle und Erdgas ablöst."
    diese Suche läuft ja schon seit dem Ausstieg aus den AKW´s . Geothermie ist wohl in Island eher möglich als in Brandenburg. Die Fachleute werden evtl eine Lösung finden , wenn nicht wird´s kalt

  18. 8.

    " Power to Heat ist ein Baustein auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt. Wie die anderen Puzzleteile aussehen, muss sich zeigen. "

    elegante Formulierung,klingt so kompetent leider gibt es bisher aber keine anderen Puzzleteile. Was ab 2030 kommt werden wir ja sehen , hoffentlich nicht wieder Torf wie in der vor-Kohle-Ära

  19. 7.

    Stromkosten sind bei Hartz VI im Regelsatz enthalten, man bekommt laut hartz4.org etwa 414 Euro im Jahr. Jetzt liegt es natürlich an der Person, ob sie mit Strom sparsam oder verschwenderisch umgeht.

    Und rein wirtschaftlich ist es nur fair, dass Stromkonzerne auch für die Abfallentsorgung und Umweltschäden aufkommen müssten. Für andere Unternehmen in anderen Branchen trifft dies ja auch zu.

  20. 6.

    CO2 ist nicht schädlich. Im Gegenteil: Die Erde ist nur deshalb so grün, weil es CO2 gibt. Auswirkungen auf das Klima sind unbewiesen und gehören in die Abteilung Klimareligion.
    Wärme durch Sonne und Wind: Das wird insbesondere im Winter, also dann wenn die Wärme gebraucht wird, ein ganz großes Erfolgsmodell sein, weil dann die Sonne den ganzen Tag ununterbrochen scheint und der Wind ununterbrochen weht. ;-) Aber freilich: Niemand hat ein Recht auf eine warme Wohnung, außer die linksgrünen „Wohlmeinenden“ in der Politik selbst natürlich.
    Zu Herrn Taschner von den Grünen: Das er hier mit „zu einem Kreis von Fachleuten“ vorgestellt wird, ist Irreführung. Sein Lebenslauf gibt keinerlei Hinweise darauf, dass er eine besondere Kompetenz in Sachen Energiewende und Energieversorgung hat. Und allein das ist der Anknüpfungspunkt dieses Artikels.

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