Modeindustrie und Corona - Am Ende der Lieferkette

So 17.05.20 | 17:35 Uhr | Von Franziska Ritter
Symbolbild: Arbeiterinnen in einer Textilfabrik (Quelle: dpa/Francisco Castillo)
Audio: Inforadio | 11.05.2020 | Franziska Ritter | Bild: dpa/Francisco Castillo

Textilfabriken rund um den Globus stehen still. Wegen der Corona-Krise haben viele Modemarken ihre Aufträge storniert. Das trifft vor allem die Arbeiter vor Ort – und so wird wieder einmal die Forderung nach fairen Lieferketten laut. Von Franziska Ritter

Nachdem alle Modefilialen im Land über Wochen geschlossen waren, dürfen sie wieder öffnen - allerdings nur unter strengen Auflagen. Und so verirren sich deutlich weniger Kunden in die Geschäfte als sonst. Angesichts der Corona-Krise haben internationale Einzelhandelsunternehmen ihre Aufträge in den Produktionsländern storniert und zum Teil sogar die Order für fertig produzierte Waren gestrichen, berichtet Berndt Hinzmann von der Entwicklungsorganisation Inkota: "Für die Zulieferbetriebe heißt das, dass sie zum großen Teil auf ihrer Produktion sitzen geblieben sind."

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sind allein in Asien hunderttausende Fabrikarbeiter existenziell bedroht. Besonders hart treffe es Näherinnen, die Kleidung für Modeketten wie C&A oder H&M fertigen. Mit dem Lohn, den sie für ihre Arbeit kriegen, kommen sie eh schon schwer über die Runden. Fällt dieses Geld weg, stehen sie vor dem finanziellen Nichts, so Human Rights Watch.

Krisenfonds für Textilarbeiter

"Verantwortungsvolles Handeln beinhaltet, dass man die globale Lieferkette im Blick hat und nicht einfach die Last auf seine Zulieferer abschiebt", kritisiert Berndt Hinzmann von Inkota und fordert die Textil- und Schuhbranche auf, von ihrem bisherigen Geschäftsmodell abzurücken. Gemeinsam mit anderen Nicht-Regierungsorganisationen plädiert Hinzmann dafür, einen Krisenfonds für Textilarbeiter rund um den Globus einzurichten, wie ihn die Internationale Arbeitsorganisation ILA vorschlägt. "Neben Unternehmen sind letztlich auch die Bundesregierung und andere europäische Regierungen aufgefordert strukturelle Veränderungen bis hin zu fairen Einkaufspraktiken voranzutreiben", sagt er.

Um die schwerwiegenden Folgen der Pandemie für Näherinnen - meist sind es Frauen - sofort zu lindern, hat die Frauenrechtsorganisation Femnet einen Nothilfefonds ins Leben gerufen. Sie lässt in Indien und Bangladesch Lebensmittel an bedürftige Textilarbeiterinnen und deren Familien verteilen. Auch Inkota ruft zu Spenden auf. Die Entwicklungsorganisation will nach eigenen Angaben von Schutzkleidung bis hin zu Lebensmittelhilfen all das finanzieren, was vor Ort am dringendsten gebraucht wird. Das entlässt die Modeindustrie natürlich nicht aus ihrer Verantwortung.

Georg Wolff (Quelle: rbb/Franziska Ritter)Georg Wolff von der Firma Buckle & Seam

Es geht auch anders

Unternehmen, die auf Zulieferbetriebe verzichten und selbst produzieren, sind die Ausnahme, doch es gibt sie. Die Firma Buckle & Seam aus Berlin etwa, die online Ledertaschen für Männer vertreibt, beschäftigt in Pakistan 55 Näher. Sie sind fest angestellt und haben zwei Monate Kündigungsschutz. Solche Standards sind in dem südasiatischen Land sehr ungewöhnlich. "Unsere Näher kriegen das Dreifache dessen, was sie sonst in Pakistan verdienen würden. Sie sind krankenversichert und können bezahlten Urlaub nehmen", betont Georg Wolff, der das Unternehmen gemeinsam mit seinem Geschäftspartner leitet.

Die hohen Standards, die Buckle & Seam in seiner Fabrik garantiert, kommen dem Unternehmen in der Corona-Krise zugute. Trotz Covid-19 darf das Taschenlabel als eines von wenigen Unternehmen im Land weiter produzieren. Um die Ansteckungsgefahr mit dem Virus zu minimieren, tragen die Näher bei der Arbeit Handschuhe und Mundschutz, erläutert Georg Wolff. Sie arbeiten in zwei Schichten, dazwischen werden die Fabrikräume gründlich desinfiziert. Doch jenseits der Fabrik sind solche Hygienestandards schwer einzuhalten, schließlich leben in Karatschi  - der größten Stadt des Landes, in der Buckle & Seam produziert - rund 15 Millionen Menschen auf engstem Raum.

Produktion verlagern?

Bei aller Liebe zu Pakistan denken die Firmenchefs inzwischen aber auch über alternative Produktionsstandorte nach. Georg Wolff spricht von Mexiko und Portugal – Länder, die ebenfalls eine lange Tradition in der Lederverarbeitung haben, in denen aber höhere Hygienestandards herrschen. Berndt Hinzmann von der Entwicklungsorganisation Inkota glaubt, dass die Coronakrise globale Lieferketten verändern wird und befürchtet massive Schließungen von Zulieferbetrieben. Wie viele Unternehmen aus der Textil-, Schuh- und Lederindustrie auf Produktionsstandorte in Europa ausweichen werden, ist seiner Meinung nach noch nicht absehbar.

Sendung: Inforadio, 11.05.2020, 08:50 Uhr

Beitrag von Franziska Ritter

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