Urteil gegen Senat vor Kammergericht - Vattenfall erringt Etappensieg im Streit um Berliner Stromversorgung

Do 24.09.20 | 22:11 Uhr | Von Christoph Reinhardt
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Das Heizkraftwerk des Energieversorger Vattenfall im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf (Quelle: Picture Alliance/Rainer Keuenhof)
Bild: Picture Alliance/Rainer Keuenhof

Seit Jahren will der Senat das lukrative Berliner Stromnetz wieder selbst übernehmen, scheiterte jetzt aber erneut vor Gericht. Vattenfall behält die Oberhand. Ein Ende des Streits ist allerdings noch nicht ausgemacht. Von Christoph Reinhardt

Stundenlang hatte sich das Kammergericht geduldig die Argumente des Senats einerseits und des Energiekonzerns Vattenfall andererseits angehört. Und am späten Donnerstagnachmittag kurz und knapp seine Entscheidung mitgeteilt: Die Berufung des Senats werde zurückgewiesen. Bis auf Weiteres darf er die Konzession nicht an seinen landeseigenen Betrieb Berlin Energie vergeben.

Das Urteil des Landgerichts vom November bestätigte das Kammergericht insofern zwar - aber aus ganz anderen Gründen, wie die Richter schon während der Verhandlung deutlich machten. Einerseits habe der Senat nach der Vergabeentscheidung Vattenfall eine umfassende Akteneinsicht verweigert. Das Land Berlin sei "bei der Vergabeentscheidung zum einen verpflichtet gewesen [...], der Verfügungsklägerin als der unterlegenen Bieterin im gesetzlich vorgeschriebenen Umfang Akteneinsicht in das Angebot von BerlinEnergie als der obsiegenden Bieterin zu gewähren". Dies sei aber nicht erfolgt, der Senat hatte nur einen kleinen Teil der Akten zur Verfügung gestellt.

Während dieses Problem auch im Nachhinein verhältnismäßig leicht zu lösen wäre, birgt der zweite Punkt deutlich mehr Probleme: Das Gericht hatte sich selbst die Auswertung der beiden konkurrierenden Angebote vorgenommen und dabei "massive Auswertungsfehler" gefunden. Durchweg zugunsten des eigenen Landesunternehmens BerlinEnergie.

Senat hofft, Vergabeverfahren neu auswerten zu können

Diese Fehler hätten ein so hohes Gewicht bei der Gesamtentscheidung, so der Vorsitzende Richter Norbert Vossler, "dass man nicht mehr sagen kann, das hätte keinen Einfluss auf die Kausalität". Das Gericht billige dem Senat zwar insgesamt einen hohen Spielraum zu – gehe es aber um falsche Sachverhalte, offene Widersprüche oder die ungleiche Bewertung gleicher Sachverhalte, sei die Grenze erreicht.

Das Gericht hatte Dutzende Einzelbewertungen selbst überprüft und in Summe so viele Fehler gefunden, um eine Abwertung von BerlinEnergie rechtfertigen zu könnten. "Wenn dort bestimmte Fehler festgestellt werden, hat das Einfluss auf das Diskriminierungsverbot", so Gerichtssprecher Thomas Heymann. "Das ist einer der Gründe, warum auch die Berufung des Landes Berlin keinen Erfolg hatte und die Entscheidung der ersten Instanz im Ergebnis bestätigt wurde."

Das Urteil im Eilverfahren ist nicht mehr angreifbar, bezieht sich allerdings ausdrücklich nur auf die konkrete Entscheidung bei der Vergabe von 2019. Der Senat will jetzt die schriftliche Begründung abwarten und dann prüfen, ob das Vergabeverfahren doch noch zu kitten ist. Das Problem: Der Punktevorsprung von BerlinEnergie könnte bei einer Neubewertung dahinschmelzen. Vattenfall erwartet nun erst recht, dass der Senat zugunsten seiner Netztochter entscheidet und erneuerte ein Kooperationsangebot.

Finales Urteil, dass kein Ende des Rechtsstreits bedeutet

Die Berliner Grünen sprachen von einem schweren Schlag für die Energiewende. "Am Ziel, das Stromnetz zurück in Berliner Hand zu holen, halten wir Grüne aber dennoch fest", teilte ihr Sprecher für Energie, Stefan Taschner mit, "da es ein wichtiger Schlüssel zur Erreichung unserer Klimaschutzziele ist."

Senat: Bewerber und Entscheider zu gleich

Christoph Rinke von der Genossenschaft Bürgerenergie ist optimistischer. Die Genossenschaft hatte selbst ein Angebot abgegeben und hofft, nach einer Vergabe an BerlinEnergie auf eine Beteiligung. Im Vergleich zum drastischen Urteil des Landgerichts seien die Bedenken des Kammergerichts deutlich leichter zu beheben. "Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn der Berufung stattgegeben worden wäre. Aber im Lichte des erstinstanzlichen Urteils ist es schon eine deutliche Verbesserung."

Das Landgericht hatte nämlich die Neutralität des Vergabeverfahrens in der vom Senat gewählten Konstruktion grundsätzlich bezweifelt. Weil der Senat als Bewerber und zugleich als Entscheider beteiligt war, hätte es von vornherein eine besonders strikte Trennung der beiden Stellen geben müssen – diese sei auf mehreren Ebenen verletzt worden. Das Kammergericht sieht darin allerdings kein Problem.

Auch sei der zuletzt siebenköpfige Landesbetrieb nicht von vornherein ungeeignet, das Netz und das Personal von Vattenfall zu übernehmen. Nähere Ausführungen wollte das Gericht heute nicht machen und verwies auf die schriftliche Urteilbegründung. Man müsse sich etwas bedeckt halten, da man ja wahrscheinlich in Zukunft wieder mit der Sache befasst sei. Nach dem nunmehr abgeschlossenen Eilverfahren ist bereits das Hauptsacheverfahren wieder beim Landgericht anhängig. Sollte der Senat seine Vergabeentscheidung neu treffen, wären aber auch neue Eilverfahren denkbar.

Sendung: Abendschau, 24.09.2020, 19:30 Uhr

Beitrag von Christoph Reinhardt

8 Kommentare

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  1. 8.

    Ich kann die große Skepsis vieler Kommentatoren bezüglich der Verstaaatlichung bzw. Rekommunalisierung des Stromnetzes gut nachvollziehen. Es gab vor einigen Jahren zu diesem Thema einen Volksentscheid in Berlin. Dieser hatte nicht das notwendige Quorum für die Rekommunalisierung erhalten. Trotzdem versucht der Senat (Volkes Stimme ignorierend) seinen vermutlich ideologisch geprägten Weg fortzusetzen.
    Rein wirtschaftlich kostet die Stadt selbst im Erfolgsfall des Konzessionsverfahrens die Übernahme des Stromnetzes Berlin von Vattenfall nach Einblick in die HGB-Bilanz bestimmt 1,8- 2 Mrd. Euro. Und dies nur wenn das Sachzeitwertverfahren benutzt wird. Jeder der M&A-Projekte kennt und die dort üblichereise anzuwendenden Ertragswertverfahren, weiß der tatsächliche Wert dürfte darüber liegen. Ich bin gespannt, wie der Senat dieses mit Neuverschuldung finanzierte Geschäft über die immer strenger regulierten Netzentgelte (Bundesnetzagentur hält hier die Zügel in der Hand) finanzieren will?

  2. 7.

    Mhh, iss ja aber och schade, wieder nüscht mit der Gründung des "Volkeigenen Betriebes Energieversorgung Berlin" mit Parteisekretär und Wettbewerbswandzeitung zur Überplanerfüllung. Welche Tragik!

  3. 6.

    Nennen sie nur einen einzigen Fall, in dem der Staat, perspektivisch die Politik, der bessere Unternehmer war/ ist. Sie werden keinen finden. Das einzige was passiert, wenn der Staat ein Unternehmen leitet ist, dass die Kosten wegen Unwissenheit aus dem Ruder laufen und der Steuerzahler dafür gerade stehen soll.
    DAS ist die Realität, der sie sich stellen sollten.

  4. 5.

    Genau so ist es aber der Staat ist der schlechtere Unternehmer. Wenn man die Gesamtbetrachtung ist das Bild noch verheerender. Der Staat kassiert jetzt schon über 50% von den Stromkosten an Steuern und Sonderabgaben von den Anbietern. Sollte er das auch noch komplett übernehmen wollen zahlt dann auch noch der Steuerzahler für die zu erschliessenden Trassen oben drauf. Der Staat hat noch nie solide gewirtschaftet, braucht er anscheinend auch nicht, denn er hat ja den Steuerzahler im Rücken und ist es völlig egal ob die nachfolgenden Generationen belastet werden.

  5. 4.

    Die gesamten Berliner Senate scheitern ... jetzt mit Strom. Vor Jahren abgegeben , jetzt wiederhaben. 2008 wurde der Bodenverkehrsdienst auf den Berliner Flughäfen privatisiert , jetzt merken alle wie schlecht er geworden ist ,soll wieder zurück in Flughafengesellschaft !
    Es fehlt einfach an kompetente Politiker , die nicht auch noch in irgendwelchen Vorständen sitzen .

  6. 3.

    "Der Staat, hier der Berliner Senat, ist nicht der bessere und günstigere Unternehmer."

    das kommt ganz auf die Umstände an. So pauschal ist dieser Satz schlichtweg falsch. Und kommt letztendlich auch auf die Gesamtbetrachtung an. Kosten werden hier ja sehr gerne auf den Staat ausgelagert.

    Eigentlich sollte mittlerweile klar sein, dass Privatisierungen weder den Bürgern noch dem Staat einen nachhaltigen Nutzen bringen, sondern nur den Eigentümern.

    Schlechtes Personal findet sich sowohl beim Staat wie bei Unternehmen. Daran kann man diese Frage wirklich nicht festmachen.

  7. 2.

    Der Staat, hier der Berliner Senat, ist nicht der bessere und günstigere Unternehmer. Vielmehr zeigt sich, dass er sich renitent weigert die Realität/ Neutralität, auf Kosten der Steuerzahler, anzuerkennen. Auch Lernfähigkeit ist nicht zu erkennen, ideologische Blindheit schon eher.

  8. 1.

    Und wieder einmal scheitert der Berliner Senat vor einem Gericht.

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