Hütchenspieler, Enkeltricks und falsche Polizisten - Warum funktionieren diese Betrugsmaschen immer wieder?

Mo 14.12.20 | 07:07 Uhr
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Symbolbild: Betrug (Quelle: dpa/Fleig)
Bild: dpa/Fleig

In Berlin und Brandenburg passieren alljährlich tausende Betrugsfälle, ein großer Teil davon werden nicht angezeigt, viele nicht aufgeklärt. Nach Einschätzung des Soziologen Christian Thiel nutzen Betrüger immer die gleichen Täuschungsbausteine.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist sehr klar: In Berlin wurden 2019 knapp 90.000 Betrugsfälle polizeilich erfasst, aufgeklärt wurden davon nicht einmal 40.000. In Brandenburg waren es gut 17.000 erfasste Fälle, davon aufgeklärt: 12.000 und die Dunkelziffer an Betrugsfällen dürfte um einiges höher sein. Viele Opfer melden sich nicht bei der Polizei und bringen den Betrug nicht zur Anzeige. Der Grund dafür: Die Opfer schämen sich. Denn anders als bei einem Diebstahl haben sie Geld, Daten oder Wertsachen freiwillig hergegeben, weil sie dem Täter Vertrauen schenkten.

Dass dies passiert, ist einleuchtend, schließlich ist das allererste Bemühen des Betrügers, Vertrauen zu erschleichen. Und der Mensch ist nun mal nicht dafür gemacht, ständig misstrauisch allem und jedem zu begegnen, "sonst würden wir in die totale Paranoia reinrutschen" sagt der Soziologe Christian Thiel im Interview mit dem rbb-Verbrauchermagazin Super.Markt.

rbb: Herr Thiel, was sind die wiederkehrenden Punkte, die eine erfolgreiche Betrugsmasche ausweisen?

Christian Thiel: Bei professionellen Betrügern sind es vier Elemente, die bei diesem Irreführungsprozess eine Rolle spielen. Das Ziel des Prozesses ist, dass die Opfer am Ende freiwillig ihr Geld geben. Die Elemente, die dahin führen, sind zum ersten: das Vortäuschen einer Identität, quasi das Aufsetzen einer Maske. Das zweite Element ist, dass der Betrüger die Situation definieren muss. Das heißt: Er muss eine glaubwürdige Geschichte erzählen. Das dritte: Er muss bestimmte Handlungsoptionen nahelegen, also einen Weg aufzeigen. Das vierte ist, dass er das Erleben steuert, indem er gewissermaßen Dramatik reinbringt.

Das kann man bei allen Betrugsmaschen durchexerzieren. Schauen Sie sich den Enkeltrick an, da ruft jemand an: "Rat mal, wer hier ist...?" - Schon ist eine neue Identität da, nämlich die des vermeintlichen Enkels und so geht es weiter.

Welche Maschen funktionieren immer und immer wieder?

Betrugsmaschen sind langlebig. Das Hütchenspiel ist zum Beispiel schon in der Antike dokumentiert worden. Der Enkeltrick hingegen ist erst in den 1990erJahren in Berlin entstanden. Der Urheber, Arkadiusz Lakatosz, hat ursprünglich Teppichschwindel betrieben, also auch eine uralte Masche. Lakatosz wurde dann von einem seiner Opfer zufällig für dessen Enkel gehalten. Er hat schnell geschaltet und daraus ein florierendes Familiengeschäft gemacht.

Wie kann so eine Masche über Jahrzehnte oder Jahrhunderte funktionieren?

Das Grundproblem ist, dass Betrug meist ganz harmlos anfängt. Da ist erst mal nichts Gefährliches. Nehmen wir noch einmal den Enkeltrick: Da ruft einfach nur ein Verwandter bei Ihnen an. Oder bei den Romantikbetrügern: Da lernen Sie einen netten Menschen kennen. Oder bei den falschen Polizisten: Da ruft die Polizei bei Ihnen an. Alle Situationen eint: Es geht erstmal um nichts. Die Betrüger sagen ja nicht sofort: "Ich möchte Dein Geld haben." In solchen Alltagssituationen dann eine Haltung des ständigen Misstrauens zu entwickeln, das ist illusorisch.

Und das ist das Gemeine: Der Betrüger richtet sich an die allgemeine Vertrautheit, die wir anderen Menschen und Situationen gegenüber haben. Das nutzen Sie aus und bauen langsam ihre Täuschung auf. Da ist erstmal niemand von uns vor gefeit, es sei denn, wir würden uns eine paranoide Lebenseinstellung zulegen. Aber das will ja auch keiner.

Wie entwickeln sich diese Maschen weiter?

Der Grundablauf vieler Maschen bleibt immer gleich - aber sie werden natürlich optimiert. Wenn wir den Romantikbetrug etwa nehmen, sieht man das. Der ist nämlich interessanterweise nicht aus dem klassischen Heiratsschwindel hervorgegangen, sondern aus dem sogenannten 419-Scam, einem Vorschussbetrug. Auch dieser Betrug hat eine ganz lange Geschichte, das ging schon um 1900 herum los und hat sich in ab den 1980er Jahren zum sogenannten 419-Scam, also den allseits bekannten, meist nigerianischen Betrugsmails weiterentwickelt, bei denen Opfern Beteiligungen an gigantischen Vermögen in Aussicht gestellt werden – natürlich müssen ‚vorab‘ einige Gebühren entrichtet werden. Diese Masche hat sich dann zunehmend für die Täter erschwert und daher wurde sie in verschiedener Weise optimiert, unter anderem in Form des Romantikbetrugs (auch Romance Scam genannt). Denn die Täter hatten herausgefunden: Mit dem Versprechen auf Liebe kann man tatsächlich noch mehr Geld machen als mit dem Versprechen auf Geld.

Die Maschen werden also ständig optimiert, weiterentwickelt und neuen Gegebenheiten angepasst - und teils entstehen so natürlich auch wieder neue.

Welche Betrugsmaschen sind derzeit besonders erfolgreich?

Momentan ist der Enkeltrick etwas rückläufig. Besonders gut funktioniert dafür derzeit der falsche Polizist, bei dem die Täter sich als Polizeibeamte ausgeben: Man sei einer Einbrecherbande auf der Spur, und der Angerufene stünde als nächstes auf einer Einbruchsliste, die man gefunden habe. Es wird also eine Gefahr suggeriert, und der falsche Polizist bietet die Lösung an: Geben sie uns ihr Geld zur Verwahrung. Das klappt leider sehr gut.

Was auch gut funktioniert ist eine ganz perfide Masche, der Romantikbetrug. Hier geben sich die Täter auf Onlineplattformen als Traumpartner aus und bauen dort wirklich über Wochen und Monate eine Beziehung auf. Da ist also wieder das Thema der Vertrautheit. Und dann plötzlich passiert angeblich dem Traumpartner etwas, ein Unfall oder etwas anderes. Aus Liebe zahlen die Opfer dann mitunter hunderttausende Euro, sie geben ihre ganzen Vermögenswerte, verschulden sich teilweise sogar - das ist also in dieser Hinsicht für die Betrüger extrem erfolgreich, weil die Opfer sozusagen komplett ausgesaugt werden.

Im Grunde sind es immer die gleichen Täuschungsbausteine, die aber in unterschiedliche Geschichten verpackt werden. Und diese Verpackungen sind es, die sie so effektiv machen. Und dann kommt es natürlich auch darauf an, wie gut der jeweilige Betrüger das macht.

Betrügen Frauen anders als Männer?

Wenn man auf der einen Seite die klassischen Maschen sieht - also Enkeltrick, Romantikbetrug oder Lotterieversprechen - dann sind das oft organisierte Banden. Das sind knallharte Verbrecher, meistens auch männlich - soweit man bisher weiß. Wenn man dann aber andere Betrüger nimmt, diejenigen, die kreativer sind - da gibt es auch eine ganze Reihe von Frauen, die das höchst erfolgreich machen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Gleich zwei: Meine beiden "Lieblingsfälle" der vergangenen Jahre wurden nämlich von Frauen begangen. Gigantische Betrugsfälle. Zum einen Elizabeth Holmes, die mit "Theranos" eine Art Bluttestgerät erfunden haben wollte - und dafür Gelder in Milliardenhöhe eingesammelt hat. Das Ding hat aber nie funktioniert. Bei dem anderen hat die Betrügerin Dr. Ruja Ignatova scheinbar ein Kryptowährungssystem aufgebaut, den OneCoin. Diese Währung gab es natürlich nie, es war nur ein Schneeballsystem. Sie hat das aber so unglaublich gut gemacht, dass sie eine schon fast sektenartige Anhängerschaft um sich herum versammelt hat. Sie hat damit schätzungsweise vier Milliarden Dollar eingesammelt - und ist dann verschwunden.

Welche Charakterzüge zeichnen einen erfolgreichen Betrüger aus?

Ich glaube, man kann sagen, dass diese kreativen Betrüger einen bestimmten Blick auf die Wirklichkeit haben. Damit meine ich nicht Moral oder Persönlichkeitsmerkmale. Sondern eher, dass sie eine gewisse Formbarkeit des Sozialen erkennen. Die meisten von uns nehmen das Leben als sehr feststehend wahr - vieles "ist halt einfach so". Und dieses "Es ist halt so", das stellen diese Betrüger meiner Ansicht nach in Frage: "Warum? Ich muss doch einfach nur entsprechend auftreten!" Das ist also ein anderer Blick auf das Soziale, es erscheint diesen Menschen weniger starr. Und ein gewisses "Um die Ecke denken" spielt auch eine Rolle.

Da gibt es eine schöne Anekdote über die "Mona Lisa": Die wurde 1911 aus dem Louvre gestohlen. Ein Handwerker hatte das Bild aus dem Museum geschmuggelt. Den Auftrag dazu hatte er von einem Argentinier bekommen, der das Bild aber nie bei dem Handwerker abholte. Der Handwerker hatte die "Mona Lisa" jahrelang unterm Bett liegen und wusste nichts damit anzufangen. Aber warum hatte der Argentinier das Bild nie abgeholt? Weil es nie sein Plan war. Er hatte nämlich vorab, vor dem Diebstahl, fünf Kopien der "Mona Lisa" anfertigen lassen, und die hat er nach dem Raub an halbseidene Kunstsammlerverkauft. Es ging ihm also nie um das Kunstwerk selbst, sondern um die Headline in der Presse. Diese Meldung damals hatte sozusagen seine Fälschungen als echt geadelt.

Haben Sie einen Geheimtipp für uns, wie wir uns vor Betrug schützen können?

Das ist schwer zu sagen, denn im Grunde hat jeder von uns so seine Schwachstellen, und die Betrüger sind gut darin, diese zu entdecken. Man merkt es nicht - und alles fängt wie gesagt ganz harmlos an.

Der Tipp wäre, immer hellhörig zu werden, wenn es ums Geld geht. Und: Mit vertrauten Menschen darüber sprechen - oder auch mit der Polizei. Das mag erstmal eine Hürde sein, aber dafür ist die Polizei tatsächlich auch da. Die sind überhaupt nicht böse, wenn man da anruft. Und die kennen vor allem die ganzen Tricks.

Sendung: Super.Markt, 14. 12. 2020, 20:30 Uhr

4 Kommentare

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  1. 4.

    Was kann man denn verbessern, um die Aufklärungsquote abschreckender wirken zu lassen? Personal für die digitale Verfolgung? Denn Einfältigkeit und Gutgläubigkeit sind nichts Schlechtes. Gier und Missgunst schon eher. Angst ist ein ungewollter mächtiger Zustand.

  2. 3.

    Der Schlüssel gegen die "vermeintliche Selbstsicherheit" der Betrüger ist wohl eine "wirkliche Selbstsicherheit". Bei mir hat sich jeder auszuweisen, der etwas von mir will - Ausnahme nur für SEKs. ;-)

    Genauso habe ich mir abgewöhnt, einen Telefonanruf mit "Ja, bitte?" zu beantworten. Das hat nichts mit fehlender Höflichkeit, sondern nur mit fehlender Sicherheit zu tun: jeder untrainierte Schimpanse kann inzwischen Gespräche aufnehmen und das "Ja" aus "Ja, bitte?" ausschneiden und danach beliebige Bestätigungen konstruieren. Und "ja", die ungefragte Aufnahme ist dabei das erste Vergehen.

    "Kenne Deine Enkel!" und
    Wenn Dir ein Fremder sagt "Rate, wo es ist.", dann gibt "es" zumind. für "Dich" zumeist gar nicht.

  3. 2.

    Dass es sich bei vielen Betrogenen um eklatante Dummköpfe handelt, bezweifle ich.
    Ich füge dennoch meine gesellschaftliche Voraussetzung hinzu: Verlust von Familiennähe bzw. auch Einsamkeit.

  4. 1.

    Die Betrugsmaschen funktionieren aus einem einzigen Grund: weil viele Menschen blau- und gutgläubig sind. Zusätzlich kommt eklatante Dummheit hinzu, z.B. wenn es um das Hütchenspiel geht.

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