Biotech-Investitionen - Deutschland scheut das Risiko – auf Kosten der Gesundheit

Sa 27.02.21 | 08:17 Uhr | Von Sven Dröge und Kaveh Kooroshy, ARD-Mittagsmagazin
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Symbolbild: Mitarbeiter arbeiten in Schutzanzügen in dem Labor eines Biotech-Unternehmens. (Quelle: dpa/F. Strauch)
Bild: dpa/F. Strauch

In Deutschland wird vergleichsweise wenig Risikokapital in Biotech-Firmen investiert. Das zeigen Zahlen, die dem ARD-Mittagsmagazin vorliegen. Doch solche Investitionen sind in der Pandemie wichtig für die Medikamentenforschung. Von Sven Dröge und Kaveh Kooroshy

Gerade zu Zeiten von Corona ist fehlendes Risikokapital für die hiesige Medikamentenforschung ein folgenschweres Hindernis. Kleine und mittelständische Unternehmen aus der Biotech-Branche können ohne finanzielle Hilfe keine Medikamentenentwicklung betreiben. Wie viele andere Unternehmer aus der Branche auch hat Wolfgang Brysch, Vorstandsvorsitzender der Metriopharm AG in Berlin, Schwierigkeiten, Geldgeber zu finden: "In Europa ist die Mentalität von Investoren eher zurückhaltend bei solchen Dingen. Wir wissen in den USA sieht das ganz anders aus. Da sind solche Summen eher Portokasse", sagt er.

Sechs Millionen Euro fehlen Brysch für den nächsten Forschungsschritt, der Erprobung seines Medikaments am Patienten. Seit knapp einem Jahr entwickeln der Mediziner Brysch und seine Kolleg:innen das Corona-Medikament mit dem Namen MP1032. In der nächsten Entwicklungsstufe soll gezeigt werden, wie gut MP1032 die Immun-Überreaktion von Covid-19 hemmen kann.

Risikokapital als Mangel

Ein vielversprechendes Produkt, aber womöglich gibt es kein Geld, um es weiter zu erforschen. Recherchen des rbb haben ergeben, dass Risikokapital für die Medikamentenentwicklung in Deutschland knapp ist. Das geht aus einer Sonderauswertung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) für das ARD-Mittagsmagazin hervor. Demnach holt Deutschland bei Investitionen von Risikokapital in die Biotech-Branche auf, doch im internationalen Vergleich ist das Investitionsvolumen noch immer gering.

Die Berliner Biotech-Firma ist kein Einzelfall. Zwar hat sich das in Deutschland investierte Risikokapital seit 2016 von 213 Millionen Euro auf 882 Millionen Euro mehr als vervierfacht. Die Summe ist im internationalen Vergleich dennoch gering. Die viel kleinere Schweiz investierte 2020 umgerechnet rund 820 Millionen Euro, Großbritannien sogar rund drei Milliarden Euro, wie aus einer Erhebung des Schweizer Gesundheitssektor-Fonds HBM hervorgeht. Im Vergleich zu den USA ist das aber noch immer wenig: Die US-Amerikaner investierten 2020 umgerechnet mehr als zwölf Milliarden Euro in Biotech-Firmen und damit viermal mehr als alle europäischen Staaten zusammen.

Flucht der Start-ups

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie teilt dazu mit, dass es "mit verschiedenen Förderprogrammen bereits jetzt eine maßgeschneiderte Unterstützung für Start-ups in den verschiedenen Wachstumsphasen" biete. Außerdem seien die bestehenden Programme mit einem Volumen von insgesamt rund neun Milliarden Euro ausgestattet. Aus diesem Investitionsvolumen würden derzeit noch rund 4,5 Milliarden für neue Investitionen in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen.

Wenn Deutschland nicht Anreize zur Risikofinanzierung schaffe, seien "die Folgen relativ klar", urteilt Thomas Sattelberger (FDP), Mitglied im Bundestagsforschungsausschuss. "Impfstoffentwicklung, Antibiotikaentwicklung, Medikamentenentwicklung finden außerhalb Deutschlands statt. Start-ups, die hier entstehen und sich damit beschäftigen, bekommen Wagniskapital, aber überwiegend dann, wenn sie nach Boston oder generell an die Ostküste gehen oder in die Schweiz. Das heißt, wir haben dann auch eine Flucht der Start-ups aus diesem Lande", sagt der Abgeordnete.

Investitionen sind dringend nötig

Aus Sicht von Branchenverbänden und Experten sind die Investitionen in Deutschland aber dringend nötig, wenn das Land im internationalen Wettbewerb eine Rolle spielen möchte. Alexander Nuyke von EY kritisiert das Fehlen eines in der Breite funktionierenden Kapitalökosystems: "Es braucht in Deutschland bessere Rahmenbedingungen zur Eigenkapitalmobilisierung, etwa über steuerliche Vorteile für Risikokapital."

Darüber hinaus wären dringend mehr Gründerzentren und Plattformen notwendig, die Wissenschaft und Unternehmen miteinander verbinden und für eine schnellere Umsetzung von Ideen aus der Forschung in marktfähige Produkte sorgen, so der Experte. Die Investitionen sind in der Medikamentenforschung ein wichtiger Faktor. Für die Zulassung von Medikamenten sind umfangreiche Tests notwendig, bis zur Marktreife kann die Entwicklung mehrere hundert Millionen Euro kosten. Ob das Medikament tatsächlich zugelassen wird und die Investition sich auszahlt, ist aber nicht sicher. Die Firmen aber brauchen Risikokapital.

Versäumnisse in verschiedenen Bereichen

In einer früheren Recherche des rbb konnte gezeigt werden, dass es eine Diskrepanz zwischen Medikamentenförderung und Impfstoffförderung seitens des Bundesforschungsministeriums gibt. Während für die Impfstoffe rund eine Milliarde Euro an Förderung bereitgestellt wurde, gab es für die Medikamentenentwicklung gerade mal 17,5 Millionen Euro.

Nun kommt hinzu, dass auch die Förderung und womöglich Bereitstellung von Risikokapital vernachlässigt wurde. Staaten wie die USA hingegen, versuchen, die Bedingungen für das Risikokapital günstig zu gestalten, etwa durch Steuererleichterungen. Und die Schweiz hatte kürzlich entschieden, dass Pensionskassen ein Promille der neu eingezahlten Beiträge als Risikokapital anlegen sollen. Dadurch könnten jedes Jahr bis zu 900 Millionen Euro zusammenkommen.

Hilfe aus der Politik

Wolfgang Brysch von MetrioPharm sagt, er wolle dass die Politik die Medikamentenentwicklung mehr in den Fokus rücke. "Wenn die Medikamente und die Therapeutika dort auch einen besseren Stellenwert einfach in den Aussagen bekommen", würde das seinen Worten zufolge schon extrem helfen. Hilfe, die er für die Suche nach Investoren für sein Corona-Medikament gerne annehmen würde, betont er.

Beitrag von Sven Dröge und Kaveh Kooroshy, ARD-Mittagsmagazin

19 Kommentare

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  1. 19.

    Der Abstieg lässt sich nicht mehr aufhalten. Der Westen pumpt China immer weiter auf, nur um alles so billig wie möglich zu bekommen, und es dauert nicht mehr lange, dann haben die Chinesen die Weltmacht. Und der Westen die A-Karte.

  2. 18.

    Auch in Baden-Württemberg sieht es mit dem Impfen, bzw. mit den Impfquoten ganz schlecht aus.

  3. 17.

    #TRAM88, irgendwann ist schon heute. China investiert nicht nur in u.a. Afrika sondern auch in Deutschland. Neben Immobilien wird auch gerne in Firmen investiert. So intensiv, dass bereits seitens der Regierung darauf geachtet wird das keine "sensiblen" Firmen angegangen werden.

  4. 16.

    Aber Herr Hauptmann; habe nur zack-zack ihren Gedanken ausgeweitet. Mit zarter Opposition kommen wir nicht weit. Ansonsten habe ich nur bekannte Fakten verwertet und von mir aus; nennen wir es so- satirisch überzeichnet.

  5. 15.

    Haben sich andere EU-Länder an diesen Zahlungen an Biontech auch irgendwie oder anteilig beteiligt ? Hat jedes EU-Land seine Impfstoffe selbst bezahlt oder ist das Geld aus dem EU-Topf genommen worden ? Wie sieht es da überhaupt mit den Durchimpfungen aus ? Noch schlechter als das Bundesland Brandenburg ? Wie viele US-Bürger wurden schon mit dem Biontech-Impfstoff geimpft ? Was hat Pfizer überhaupt geleistet ? Es gibt so viele Geheimnisse. Warum ? Oder dürfen wir nicht mal mehr Fragen stellen ?

  6. 14.

    Haben Sie meinen Kommentar überhaupt gelesen? Ihrer ging wohl ein bischen daran vorbei.

  7. 13.

    Aber nicht, dass man im Kanzleramt jetzt auf die Idee kommt ein INLANDENTWICKLUNGSHILFEMINISTERIUM mit einige Tausend Mitarbeiter zu benötigen. Macht mal weiter so ihr klugen Regierungsleute; es werden immer mehr gut ausgebildete Hochschulkräfte das Land verlassen. Wohin das führt hat man auch in der verstorbenen DDR gesehen. Damals; vor 1961-es wirkte wie ein Aderlass.

  8. 12.

    Ich habe diesen Bericht im Fernsehen gesehen. Bei uns ist es nicht so üblich wie in den USA mit dem Risikokapital!
    Aber das unsere Bundesregierung nicht stärker dahinter steht, besonders bei Medikamenten gegen Corona u. nur sich auf das Impfen sich kapriziert, ist mir total unverständlich. Merkel verteilt eben lieber wieder Geld, 1,5 Milliarden EURO für andere Länder außerhalb der EU aus u. zwar unser hart erarbeitetes Steuergeld. In diesem Fall wären es nur 6 Millionen Euro, also nur ein Minibruchteil von den 1,5 Milliarden.
    Jedenfalls hat mich dieser Bericht sehr beeindruckt und es ist mir unverständlich, daß man Unmengen an Euro auch z.B. der Lufthansa und einem Reisekonzern zur Verfügung stellt, aber nicht für jüngere Wissenschaftler in der Medikamentenforschung gegen Corona, das uns wirklich was bringen könnte.
    Außerdem könnte ja unsere Regierung einen dementsprechenden Vertrag auch mit den Wissenschaftlern abschließen, je nachdem wie die Forschungsergebnisse aussehen !

  9. 11.

    Irgendwann alsbald bekommen wir dann hoffentlich Entwicklungshilfe aus CHINA. Früher hätte ich das für einen Witz gehalten. Sind in China nun grundsätzlich die Menschen klüger? Oder nur die Regierung ? Oder alle ? Mit Fleiß hat das aber wohl auch zu tun. Wo fangen wir an den Abstieg zu bremsen; wenn das gehen sollte ?

  10. 10.

    D hat bei so einigen innovativen Entwicklungen den Zug verpasst. Das betrifft die Digitalisierung, die E Mobilität, die Biotechnologie und wird sich auch bei erneuerbaren Energien so zeigen. Tendenziell geht in den USA und in China mehr als in D. Wir haben immer noch viel konventionelle Technologien. Ja, Ideen und Start Up‘s gibt es, aber die große Entwicklung wird dann eben wo anders übernommen.

  11. 8.

    Wie wäre es, wenn all die Konzerne und Unternehmen, die in dieser Pandemie mit Hilfsgeldern über Wasser gehalten wurden, in Zukunft einen gewissen %-Satz jährlich in die Förderung bzw. Forschung zu Medikamenten und Impfstoffen einzahlen. Ich denke, sie sollten während der Pandemie „gelernt“ haben, was sie damit Nützliches für ihr eigenes Unternehmen tun.

  12. 7.

    Dies ist doch nichts anderes als die verquaste Forderung nach noch mehr Geld aus den öffentlichen Kassen um die privaten Profite zu maximieren.
    Es reicht nicht, daß die Gesellschaft die Ausbildung dieser Herrschaften finanziert, das sie auf die Ergebnisse der universitären Grundlagenforschung Zugriff haben, das Fördermillionen für konkrete Projekte gefordert und gezahlt werden und das sie als Quasimonopolisten Vertragsbedingungen, Preise und Lieferzeiten freihändig diktieren nö, jetzt soll den Konzernen auch noch das sog. Haftungskapital aus öffentlichen Kassen gezahlt werden.
    Andererseits-das ist wohl die Kehrseite der Kreativität, die diese Herrschaften an den Tag legen, wenn es darum geht, das sie ja nicht aus Versehen Steuern zahlen.

  13. 6.

    Das sehe ich ähnlich. Hier wird die pauschale Förderung von Risikokapital für Private gefordert, aber dabei auch in der Pandemie übersehen, wie wenig die Pharma-Riesen selbst bei der Impfstoffentwicklung riskiert haben - staatliche Steuermillionen und kleinere private Unternehmen trugen das Rsisiko zum allergrößten Teil allein - und just als es um Produktion und bereits (nahezu) fertige Produkte ging, schalteten sich die Riesen ein. Getoppt wird dieses Ungleichgewicht von Forderungen eben jener FDP, die Belohnungen für solche Pharma-Unternehmen einforderte, die sich an rechtlich verbindliche(!) Verträge halten. Es wird im Artikel überhaupt nicht zwischen Allgemeinwohl und dem Wohl von Privaten unterschieden. Auch werden die bestehenden zahlreichen finanziellen Fehlanreize, unter denen unser Gesundheitssystem in Deutschland leidet, nicht erkannt oder benannt. Sie bilden den Rahmen und die Bedingungen, in denen solche Färderungen fielen.

  14. 5.

    Ich glaube, das Problem ist doch seit Jahren, dass man sich in der Politik nicht mehr fragt, was Deutschland eig. strukturell gut tut und uns Vorteile verschafft, sondern man fördert lieber Ideologie-Projekte und ist mit einem Sammelsurium an Randthemen völlig ausgelastet.
    Und das Schlimme ist doch: Es ändert sich doch nichts. Sobald die Pandemie vorbei ist, wird man wieder die Lieblings-Themen beackern.
    Ein weiteres Problem ist auch, dass sich Deutschland als führende Wirtschaftsnation auch oftmals nur noch mit dem Schlechtesten vergleicht (Niemand müsse hier hungern usw.)
    Man ist zufrieden.

  15. 4.

    Ähm, sorry aber die Biotech Brance ist nicht BioNtec.
    Infos zu HBM (Die HBM Healthcare Investments AG (vormals HBM BioVentures AG) ist eine Beteiligungsgesellschaft mit Fokus auf den Gesundheitssektor.) findet man hier:
    https://www.finanzen.net/aktien/hbm_healthcare_investments_1-aktie
    Dort ist auch die MetrioPharm AG, MetrioPharm Deutschland GmbH gelistet.

    In meinen Augen handelt es sich schlicht um Aktienkaufbettelei. Da hat der Staat eher nix von, der kleine Anleger aber das Risiko. Ich frage mich, war da nicht schonmal was mit einer Aktienblase und wie ging die Sache aus?
    https://www.focus.de/finanzen/boerse/experten/immer-mehr-kleinanleger-investieren-gefaehrliche-parallele-zur-dotcom-blase-wiederholt-sich-die-geschichte-folgen-3-jahre-crash_id_12192006.html

    Ein nicht ganz ungefährlicher Artikel, der auch Missverständnisse hervorrufen kann, werter RBB.

  16. 3.

    Deutschland spart sich kaputt. Leider. Alles was nicht Autoindustrie und Fluggesellschaften sind geht leer aus. Und gibt man mal doch Geld an ein Unternehmen für die Entwicklung von Impfstoff, lässt man noch zu, das der dann den Meistbietenden verkauft wird und geht selbst leer aus, weil ja auf einen billigeren Impfstoff gewartet wird. Der ist zwar nicht so gut aber dafür billiger. Die gesparten Gelder gibt man dann lieber für die Folgen weiterer Lockdowns aus. Das verstehe wer will. Ich jedenfalls nicht.

  17. 2.

    In D will man möglichst 100% Sicherheit haben. Bloß kein Geld verschwenden, der Bürger könnte das übelnehmen und einen bei der nächsten Wahl abstrafen. Moment mal, bei den Mautverträgen war das doch anders, oder? Dabei ging es aber wohl auch eher um die Profilierung eines Ministers als um so etwas Nebensächliches wie die Gesundheit aller Bürger. Man fragt sich schon, wo unsere Volksvertreter die Prioritäten sehen.

  18. 1.

    Hatt man irgentwas als "normal Bürger" verpasst liebe RBB Redaktion?? Haben wir nicht fast 3 milliarden euro reingepumpt aus deutschland und es wird nachschlag von biontech verlangt? Zahlungsziel war bei biontech 5 tage nach bestellung vor Lieferung, sorry wenn ich da verkehrt liege jeder der überbrückungshilfe braucht hätt sich das gewünscht.

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