Biotech-Investitionen - Deutschland scheut das Risiko – auf Kosten der Gesundheit
In Deutschland wird vergleichsweise wenig Risikokapital in Biotech-Firmen investiert. Das zeigen Zahlen, die dem ARD-Mittagsmagazin vorliegen. Doch solche Investitionen sind in der Pandemie wichtig für die Medikamentenforschung. Von Sven Dröge und Kaveh Kooroshy
Gerade zu Zeiten von Corona ist fehlendes Risikokapital für die hiesige Medikamentenforschung ein folgenschweres Hindernis. Kleine und mittelständische Unternehmen aus der Biotech-Branche können ohne finanzielle Hilfe keine Medikamentenentwicklung betreiben. Wie viele andere Unternehmer aus der Branche auch hat Wolfgang Brysch, Vorstandsvorsitzender der Metriopharm AG in Berlin, Schwierigkeiten, Geldgeber zu finden: "In Europa ist die Mentalität von Investoren eher zurückhaltend bei solchen Dingen. Wir wissen in den USA sieht das ganz anders aus. Da sind solche Summen eher Portokasse", sagt er.
Sechs Millionen Euro fehlen Brysch für den nächsten Forschungsschritt, der Erprobung seines Medikaments am Patienten. Seit knapp einem Jahr entwickeln der Mediziner Brysch und seine Kolleg:innen das Corona-Medikament mit dem Namen MP1032. In der nächsten Entwicklungsstufe soll gezeigt werden, wie gut MP1032 die Immun-Überreaktion von Covid-19 hemmen kann.
Risikokapital als Mangel
Ein vielversprechendes Produkt, aber womöglich gibt es kein Geld, um es weiter zu erforschen. Recherchen des rbb haben ergeben, dass Risikokapital für die Medikamentenentwicklung in Deutschland knapp ist. Das geht aus einer Sonderauswertung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) für das ARD-Mittagsmagazin hervor. Demnach holt Deutschland bei Investitionen von Risikokapital in die Biotech-Branche auf, doch im internationalen Vergleich ist das Investitionsvolumen noch immer gering.
Die Berliner Biotech-Firma ist kein Einzelfall. Zwar hat sich das in Deutschland investierte Risikokapital seit 2016 von 213 Millionen Euro auf 882 Millionen Euro mehr als vervierfacht. Die Summe ist im internationalen Vergleich dennoch gering. Die viel kleinere Schweiz investierte 2020 umgerechnet rund 820 Millionen Euro, Großbritannien sogar rund drei Milliarden Euro, wie aus einer Erhebung des Schweizer Gesundheitssektor-Fonds HBM hervorgeht. Im Vergleich zu den USA ist das aber noch immer wenig: Die US-Amerikaner investierten 2020 umgerechnet mehr als zwölf Milliarden Euro in Biotech-Firmen und damit viermal mehr als alle europäischen Staaten zusammen.
Flucht der Start-ups
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie teilt dazu mit, dass es "mit verschiedenen Förderprogrammen bereits jetzt eine maßgeschneiderte Unterstützung für Start-ups in den verschiedenen Wachstumsphasen" biete. Außerdem seien die bestehenden Programme mit einem Volumen von insgesamt rund neun Milliarden Euro ausgestattet. Aus diesem Investitionsvolumen würden derzeit noch rund 4,5 Milliarden für neue Investitionen in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen.
Wenn Deutschland nicht Anreize zur Risikofinanzierung schaffe, seien "die Folgen relativ klar", urteilt Thomas Sattelberger (FDP), Mitglied im Bundestagsforschungsausschuss. "Impfstoffentwicklung, Antibiotikaentwicklung, Medikamentenentwicklung finden außerhalb Deutschlands statt. Start-ups, die hier entstehen und sich damit beschäftigen, bekommen Wagniskapital, aber überwiegend dann, wenn sie nach Boston oder generell an die Ostküste gehen oder in die Schweiz. Das heißt, wir haben dann auch eine Flucht der Start-ups aus diesem Lande", sagt der Abgeordnete.
Investitionen sind dringend nötig
Aus Sicht von Branchenverbänden und Experten sind die Investitionen in Deutschland aber dringend nötig, wenn das Land im internationalen Wettbewerb eine Rolle spielen möchte. Alexander Nuyke von EY kritisiert das Fehlen eines in der Breite funktionierenden Kapitalökosystems: "Es braucht in Deutschland bessere Rahmenbedingungen zur Eigenkapitalmobilisierung, etwa über steuerliche Vorteile für Risikokapital."
Darüber hinaus wären dringend mehr Gründerzentren und Plattformen notwendig, die Wissenschaft und Unternehmen miteinander verbinden und für eine schnellere Umsetzung von Ideen aus der Forschung in marktfähige Produkte sorgen, so der Experte. Die Investitionen sind in der Medikamentenforschung ein wichtiger Faktor. Für die Zulassung von Medikamenten sind umfangreiche Tests notwendig, bis zur Marktreife kann die Entwicklung mehrere hundert Millionen Euro kosten. Ob das Medikament tatsächlich zugelassen wird und die Investition sich auszahlt, ist aber nicht sicher. Die Firmen aber brauchen Risikokapital.
Versäumnisse in verschiedenen Bereichen
In einer früheren Recherche des rbb konnte gezeigt werden, dass es eine Diskrepanz zwischen Medikamentenförderung und Impfstoffförderung seitens des Bundesforschungsministeriums gibt. Während für die Impfstoffe rund eine Milliarde Euro an Förderung bereitgestellt wurde, gab es für die Medikamentenentwicklung gerade mal 17,5 Millionen Euro.
Nun kommt hinzu, dass auch die Förderung und womöglich Bereitstellung von Risikokapital vernachlässigt wurde. Staaten wie die USA hingegen, versuchen, die Bedingungen für das Risikokapital günstig zu gestalten, etwa durch Steuererleichterungen. Und die Schweiz hatte kürzlich entschieden, dass Pensionskassen ein Promille der neu eingezahlten Beiträge als Risikokapital anlegen sollen. Dadurch könnten jedes Jahr bis zu 900 Millionen Euro zusammenkommen.
Hilfe aus der Politik
Wolfgang Brysch von MetrioPharm sagt, er wolle dass die Politik die Medikamentenentwicklung mehr in den Fokus rücke. "Wenn die Medikamente und die Therapeutika dort auch einen besseren Stellenwert einfach in den Aussagen bekommen", würde das seinen Worten zufolge schon extrem helfen. Hilfe, die er für die Suche nach Investoren für sein Corona-Medikament gerne annehmen würde, betont er.