Getränkelieferant Durstexpress - Mitarbeiter gekündigt – und zu Neubewerbung aufgerufen

Der Konzern Dr. Oetker will Durstexpress und Flaschenpost verschmelzen. In Berlin verläuft der Zusammenschluss sehr verschieden: Während die Mitarbeiter eines Standorts übernommen wurden, gab es an einem anderen Hunderte Kündigungen. Von Oliver Noffke
Der Getränkelieferdienst Durstexpress hat Ende Januar Hunderten Mitarbeitern an seinem Standort in Berlin-Tempelhof gekündigt. Das Unternehmen legt den Fahrern und Lagerarbeitern nahe, sich bei Flaschenpost zu bewerben – einem ehemaligen Konkurrenten, der mittlerweile zum selben Konzern gehört, aber seine Angestellten zu deutlich ungünstigeren Arbeitsbedingungen beschäftigt. "Es ist ja okay, dass man das schwächere Unternehmen in das System von dem stärkeren integriert", sagt der Lieferfahrer Rene Rix. "Aber die Art und Weise wie das gerade abläuft."
Rix arbeitet für Durstexpress in Tempelhof. Wie seinen Kollegen wurde ihm zum 28. Februar gekündigt. In der vergangenen Woche hätten alle Mitarbeiter ein Kündigungsschreiben in der Post gehabt, sagt er. Alternative Angebote seien nicht gemacht worden. "Es wird einfach gesagt: 'Ihr seid raus, aber wenn ihr wollt, könnt ihr euch bei Flaschenpost wieder bewerben'."
Erst nach mehrmaligem Nachhaken antwortet das nun zuständige Unternehmen Flaschenpost auf Fragen von rbb|24. Wie vielen Mitarbeitern genau gekündigt wurde, bleibt allerdings offen.
Protest in Leipzig, Mahnwache in Bochum, Betriebsübergang in Charlottenburg
Durstexpress, das sich gern als junges Start-up präsentiert hatte, gehört tatsächlich schon seit Längerem zum Nahrungsmittelkonzern Dr. Oetker. Ende vergangenen Jahres schluckte die Oetker-Gruppe, die noch immer von der Familie des Gründers geführt wird, Flaschenpost - den Konkurrenten ihrer Hausmarke Durstexpress. Nach der Übernahme haben mehrere Wirtschaftsmedien berichtet, dass Flaschenpost für eine Milliarde Euro eingekauft worden sein soll. Dr. Oetker will diese Summe auf Anfrage nicht bestätigen. Künftig wird es nur noch Flaschenpost geben, heißt es auf den Unternehmensseiten.
Neben Tempelhof sind noch zwei weitere frühere Durstexpress-Standorte betroffen. Auch in Leipzig sollen sich Durstexpress-Mitarbeiter bei Flaschenpost bewerben, wogegen bereits protestiert wurde [mdr.de/sachsen]. In Bochum hielten vergangene Woche 100 gekündigte Mitarbeiter eine Mahnwache [wdr.de].
Bis vor wenigen Tagen hatte Durstexpress drei Standorte in Berlin betrieben. Einer davon liegt in Marzahn, ihn hält Flaschenpost genau wie Tempelhof für ungeeignet. Beide seien verbaut oder schlecht gelegen, so das Unternehmen, "was wiederum schlechtere Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter zur Folge hat". Unklar ist, was mit den Mitarbeitern der Marzahner Filiale passiert, wenn der bisherige Durstexpress-Standort durch ein neues Lager ersetzt wird. Aus einer Antwort-Mail von Flaschenpost auf Fragen der Redaktion geht nicht eindeutig hervor, ob die Mitarbeiter einen Betriebsübergang erwarten können. Der Standort wird aber auch nicht explizit zu denen gezählt, die geschlossen werden.
Anders ist die Lage in Charlottenburg, wo Durstexpress bis vor Kurzem seinen dritten Standort betrieben hatte. Dort wurde den Durstexpress-Mitarbeitern im Januar per E-Mail mitgeteilt, dass sie von nun an für Flaschenpost tätig sind. Durch den "Zusammenschluss" beider Unternehmen werde "eine neue gemeinsame flaschenpost Wirklichkeit", heißt es darin. Und weiter: "Die flaschenpost wird zum 20. Januar 2021 den gesamten Geschäftsbetrieb der Betriebsstätte Lise-Meitner-Straße […, in Charlottenburg, Anm. d. Red.] übernehmen und fortführen". Flaschenpost sei damit die neue Arbeitgeberin der Charlottenburger Belegschaft, heißt es, sämtliche Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverträgen mit Durstexpress würden übernommen.
Stundenlohn etwa drei Euro niedriger
Dass an einem Standort in der Stadt ein Betriebsübergang stattfindet, während andere dicht gemacht werden, hält die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für willkürlich und inakzeptabel. "Wir sind davon ausgegangen, dass in der Teilestraße auch ein Bertriebsübergang stattfinden kann, wo ja in der Nähe ein anderer Standort von Flaschenpost in Tempelhof schon besteht", sagt Sebastian Riesner, Geschäftsführer der NGG in Berlin und Brandenburg. "Und in der Gehrenseestraße wird ja auch ein neuer Standort von Flaschenpost, eigentlich direkt gegenüber von dem bisherigen Durstexpress-Standort, neu gebaut und eröffnet." Aus Sicht der Gewerkschaft spreche alles dafür, dass es sich in beiden Fällen um Betriebsübergänge handeln könnte.

Den Unterschied zwischen einem Betriebsübergang und einer Neubewerbung bei Flaschenpost nach der Kündigung bei Durstexpress lässt sich in Geld ausdrücken: Durstexpress zahlte seinen Fahrern pauschal 2.200 Euro brutto im Monat bei 40 Wochenstunden. Geht man von 20 Arbeitstagen mit insgesamt 160 Stunden im Monat aus, liegt der Stundenlohn bei Durstexpress bei 13,75 Euro brutto. In Wahrheit wird der Stundenlohn in vielen Monaten niedriger ausgefallen sein, weil es einfach mehr Arbeitstage gegeben hat. Für die Angestellten bedeutete die pauschale Entlohnung aber Planungssicherheit. Für die Charlottenburger Angestellten sollen diese Bedingungen weiterhin gelten.
Bei Flaschenpost ist die Entlohnung deutlich anders. Wie aus einem Aushang vom 19. Januar dieses Jahres hervorgeht, den rbb|24 einsehen konnte, starten Lageristen mit 10 Euro brutto pro Stunde, Auslieferfahrer mit 10,60 Euro, Staplerfahrer mit 11,50 Euro. Nach der Probezeit steigen die Löhne laut dem Aushang leicht. Nach zwei Jahren im Betrieb sollen Lageristen 10,50 Euro erhalten, Mitarbeiter im Lieferdienst 11,40 Euro, wer im Gabelstabler sitzt, 12,30 Euro.
Diese Löhne seien für die meisten Angestellten nicht nur ungünstiger als der Stundenlohn, den sie von Durstexpress gewöhnt waren; Sebastian Riesner von der NGG beschreibt sie außerdem als Augenwischerei: "Eine Betriebszugehörigkeit von zwei Jahren haben die Allerwenigsten." Flaschenpost verspreche auch Bonuszahlungen für Lieferungen, die besonders zügig ausgefahren werden, sagt Riesner. Allerdings sei völlig intransparent, wie diese Boni berechnet würden. "So dass die angeblich auf einen Stundenlohn von 13 Euro kommen sollen", sagt Riesner.
Flaschenpost behauptet hingegen, dass die Mehrheit der früheren Durstexpress-Mitarbeiter "nach einer Übernahme bessere Gehaltsbedingungen als bislang beim Durstexpress" erwarten könnten. Auslieferer könnten mit Zulagen von bis zu 2,50 Euro pro Stunde rechnen. Wie genau die Boni gestaffelt sind, geht aus der Antwort des Unternehmens nicht hervor.
Was heißt eigentlich Vollzeit?
Völlig unverändert bleiben die Arbeitsverhältnisse am ehemaligen Durstexpress-Standort in Charlottenburg aber nicht. "Bisher war es bei Durstexpress immer so, dass wir mindestens ein langes Wochenende im Monat gehabt haben, sprich drei Tage", sagt ein Mitarbeiter, der am Standort übernommen wurde und unter der Bitte um Anonymität bereit war, mit rbb|24 zu sprechen. "Jetzt habe ich einen neuen Schichtplan über Flaschenpost erstellen dürfen und habe gar keinen Samstag mehr frei auf unbestimmte Zeit."
Überhaupt stößt den Mitarbeitern von Durstexpress in Tempelhof übel auf, dass nicht so recht klar wird, was Flaschenpost unter "Vollzeit" versteht. Sie befürchten, dass sie es im neuen Unternehmen schwer haben werden, auf annähernd so viele Wochenstunden zu kommen, wie es bislang der Fall war.
Die Erfahrungen der NGG bekräftigen das. "Ich kenne ein Vorstellungstelefonat bei Flaschenpost, wo bei einem Vollzeitbeschäftigten von einer 39-Stunden-Woche ausgegangen wird, den man von Durstexpress abwerben will", sagt Sebastian Riesner. "Wir wissen aber gleichzeitig von Flaschenpost-Beschäftigten, die sagen: 'Eine 39-Stunden-Woche hat eigentlich hier niemand. Sondern eigentlich ist eine Vollzeitbeschäftigung irgendwas um die 26 Stunden.'"
Flaschenpost schreibt dazu, dass mit Vollzeitkräften direkt bei Einstellung "in der Regel" feste Schichten im Umfang von 40 Wochenstunden vereinbart würden. Schiebt aber nach: "grundsätzlich obliegt es aber dem Arbeitnehmer, wie viele Stunden er je nach individueller Kapazität arbeitet."
NGG will vor Gericht ziehen
"Das ist eine Firma, die derzeit wirklich von Corona lebt", sagt Durstexpress-Fahrer Rene Rix. In den vergangenen Monaten habe sich die Zahl der Aufträge spürbar erhöht. "Die Mitarbeiter haben bis zur Erschöpfung gearbeitet von morgens bis nachts, Massen an Kisten hochgeschleppt und immer wurde uns gesagt: 'Ihr braucht keine Angst haben, wir sind eine Familie'."
Die NGG stört sich besonders daran, dass in Tempelhof auch Mitarbeitern gekündigt wurde, denen die Belegschaft im Dezember den Auftrag gegeben hatte, die Wahl eines Betriebsrates zu organisieren. Die Gewerkschaft sieht darin einen klaren Verstoß gegen den Kündigungsschutz. Flaschenpost schreibt dazu, da das Durstexpress-Lager in Tempelhof stillgelegt werde, "haben alle Mitarbeiter einschließlich der Wahlinitiatoren eine betriebsbedingte Kündigung erhalten". Etwas anderes sei gar nicht möglich gewesen, heißt es, "da Arbeitnehmer wegen der Beteiligung an der Gründung eines Betriebsrats weder behindert noch benachteiligt werden dürfen".
"Wir werden auf jeden Fall da, wo NGG-Mitglieder eine Kündigung erhalten haben, die Frage des Betriebsübergangs gerichtlich klären lassen", sagt Gewerkschafter Riesner. "Aber wir wissen natürlich auch, dass sich diese Verfahren lange hinziehen können und eine hohe Unsicherheit da ist." Am Donnerstagnachmittag soll vor der Berliner Zentrale von Durstexpress in der Stralauer Allee eine Protestaktion stattfinden. Vor eben jener Adresse also, die auf den Arbeitsverträgen von Durstexpress-Mitarbeitern aus allen drei Standorten in der Stadt zu finden ist.
Update: Nach der Veröffentlichung dieses Artikel hat Flaschenpost mitgeteilt, dass unsere Angaben zu Stundenlöhnen veraltet seien. In einer E-Mail der Presseabteilung des Unternehmens heißt es: "Richtig ist jedoch, dass Mitarbeiter von nicht fortgeführten Durstexpress-Lagern in Berlin direkt mit einem erhöhten Grundlohn von 10,35 Euro / Std. als Lagerist, 11,40 Euro/ Std. als Auslieferungsfahrer und 12,20 Euro/ Std. als Staplerfahrer starten." Wie genau das Bonussystem funktioniert von dem die Lieferfahrer der Dr.-Oetker-Tochter profitieren sollen, bleibt nach wie vor unklar.