Alternativen zu tierischen Produkten - Wenn Milch und Käse nicht mehr von der Kuh kommen
Rund um den Globus suchen Forschende nach Nahrungsmitteln, die Produkte tierischen Ursprungs ersetzen. Berlin ist ganz vorne dabei. Einige Ideen haben es schon in die Supermärkte geschafft – andere sollen folgen. Von Franziska Ritter
Der Markt für Lebensmittel, die Milch, Eier, Käse, Fleisch und Fisch ersetzen, wächst rasant. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting könnte er bis zum Jahr 2035 rund 290 Milliarden US-Dollar schwer sein. Das wäre mehr als das Siebenfache dessen, was die Branche heute erwirtschaftet. Doch was kommt dann anstelle von Schnitzel und Frikadelle auf unsere Teller?
Lebensmittelhersteller suchen nach pflanzlichen Alternativen. Auch die Technische Universität Berlin forscht in diesem Bereich. Wissenschaftler*innen des Fachgebiets für Lebensmitteltechnologie und Materialwissenschaften experimentieren zum Beispiel damit, ob Haferprotein den Job von Joghurtbakterien übernehmen kann und was sich mit den Resten, die beim Pressen von Johannisbeersaft übrigbleiben, anstellen lässt.
Schmeckt nach Milch, besteht aus Erbsen
Ein Forschungsobjekt hat es sogar in die Supermärkte geschafft: Milchersatz aus Erbsenprotein. Nicolas Hartmann und Moritz Braunwarth beschäftigten sich zwei Jahre lang intensiv an der TU Berlin mit der Hülsenfrucht, bis sie das passende Herstellungsverfahren für ihren Pflanzendrink fanden. Jetzt steht er bundesweit in den Regalen von Händlern wie Edeka, Rewe und Rossmann.
Das Besondere daran: Der Drink – Vly – schmeckt nicht nach Erbse. "Das ist aus unserer Sicht ein fundamentaler Unterschied, weil wir etwas kreieren können, was Kuhmilchtrinkern schmeckt und nicht einen eigenartigen Geschmack mit sich bringt", betont Nicolas Hartmann. Das Getränk ist frei von Soja, Nüssen und Gluten. Außerdem lassen sich Erbsen gut in unseren Breiten anbauen und binden Stickstoff – das freut den Acker.
Wenn Mikroben echte Milchproteine herstellen
Ein anderer Ansatz, den Wirtschaft und Wissenschaft verfolgen, geht noch weiter. "Wir arbeiten an einer Zukunft, in der wir tierische Produkte ohne Tiere herstellen können", erläutert Raffael Wohlgensinger. Der gebürtige Schweizer hat in Berlin ein Start-up gegründet, das mit der TU und anderen Forschungseinrichtungen kooperiert, um Milchproteine ohne Kuhmilch herzustellen.
Die Wissenschaftler identifizierten, welche Gene bei den Tieren für die Produktion von Casein und Molkenprotein zuständig sind und bauten sie auf Mikroorganismen nach. Füttert man beispielsweise Hefezellen mit einem Nährstoff, wandeln sie ihn in Proteine um, die denen von Milch identisch sind. Zusammen mit pflanzlichem Fett und Kohlehydraten lässt sich daraus eine Masse herstellen, die zu Käse heranreift.
Investoren wittern ein Milliardengeschäft
Im kommenden Jahr will Legendairy Foods, das Unternehmen von Raffael Wohlgensinger, seinen Käse präsentieren. "Auf der Geschmacksseite braucht es noch ein bisschen Arbeit", so der Gründer. Für den Anfang versuchen er und sein Team sich an Mozzarella und Ricotta. Später sollen länger gereifte Käse, Joghurt und andere Milchprodukte – auch aus Schafs- und Ziegenmilch – folgen.
Noch ist die Herstellung alternativer Proteine teuer, doch Investoren aus aller Welt pumpen Geld in den Markt. "Wir denken, dass dieser Bereich mit das Spannendste ist, was die nächsten Jahre auf uns zukommt, weil wir hier eine grundlegende Transformation sehen", sagt Björn Witte, Geschäftsführer der Blue Horizon AG aus Zürich, die mehr als 500 Millionen Euro in die junge Branche investiert hat. Seiner Einschätzung nach wird es aus Mikroorganismen erzeugter Käse spätestens in vier Jahren preislich und geschmacklich mit den tierischen Originalen aufnehmen können.
Sendung: Inforadio, 03.04.2021, 6:30 Uhr
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