Analyse | Gesetzentwurf von Enteignungsintiative - Auf zum nächsten Berliner Miet-Experiment

Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" hat einen Gesetzentwurf vorgestellt, um aufzuzeigen, wie Wohnungsgesellschaften vergesellschaftet werden sollen. Das Projekt könnte der nächste Mieten-Scherbenhaufen werden. Von Iris Sayram
Jetzt erst recht – diese Stimmung herrscht in etwa unter vielen Mietern in Berlin, seitdem das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel mit einer ziemlich deutlichen Entscheidung kassiert hat. Beim jüngsten Berlin-Trend im Auftrag von rbb und "Berliner Morgenpost" unterstützen die Volksinitiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" 47 Prozent der Berliner. Das ist ein Plus von 18 Punkten gegenüber der vorherigen Befragung zu dem Thema vom November 2019.
Initiative macht Vorhaben konkreter
Mit dem am Montag vorgelegten Gesetzesentwurf zeigt die Initiative nun etwas genauer auf, wie das Ganze funktionieren soll. Im Zentrum steht die alles entscheidende Frage der Kosten. Denn jede Enteignung wäre von vornherein verfassungswidrig, wenn die Frage der Entschädigung nicht hinreichend geregelt sein sollte. Eins vorab: Die Entschädigungssumme solle nicht auf einen Schlag gezahlt werden, sondern über 40 Jahre gestückelt, allein das schürt Bedenken.
In Paragraph 5 des Entwurfs schreiben die Initiatoren zur Höhe der Entschädigung, dass sie für die Wertberechnung die "leistbare Miete" ansetzen wollen. Also das, was sich armutsgefährdete Haushalte gerade noch leisten könnten, so Mit-Organisator Sebastian Schneider. Das sei eine Miete von 4,04 Euro pro Quadratmeter. Die durchschnittliche Miete bei der Deutschen Wohnen liegt pro Quadratmeter jedoch deutlich höher: nämlich bei 6,53 Euro laut Geschäftsbericht 2020.
Schätzungen zur Entschädigungssumme klaffen weit auseinander
Dieses sogenannte "Faire-Mieten-Modell" mag aus Sicht der Mieter ausgewogen sein. Jedoch könnte es mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen bereits hier schon Probleme geben. Denn das, was sich die Initiative vorstellt, liegt deutlich unterhalb des Verkehrswerts der Immobilien.
Richtig ist zwar, dass das Grundgesetz nicht zwingend eine Verkehrswertentschädigung vorsieht - also quasi einen finanziellen Ersatz, der den Marktwert widerspiegelt. Dennoch verlangt es einen Wert "unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten festzulegen", so entschied es einmal das Bundesverfassungsgericht. Was für armutsgefährdete Mieter als noch leistbar gilt, könnte somit nicht der alleinige Maßstab sein.
Der Gesetzentwurf geht von ungefähr 240.000 Wohnungen aus. Dafür rechnet die Initiative mit einer Entschädigungssumme von 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro. Die könne sich vollständig aus den Mieten refinanzieren, sodass der Berliner Landeshaushalt nicht belastet werde, so die Meinung der Initiatoren. Das setzt aber voraus, dass die von der Initiative eben angesetzte Entschädigung verfassungsrechtlich nicht beanstandet wird.
Die amtliche Schätzung liegt indes höher: "Für eine Vergesellschaftung von 243.000 Wohnungen werden Entschädigungskosten von 28,8 bis 36 Milliarden Euro sowie Erwerbsnebenkosten von weiteren bis zu 180 Millionen Euro geschätzt", heißt es auf der Seite der Landeswahlleiterin. Weitere Kosten für zum Beispiel der Bewirtschaftung kommen dazu.
Bereits 175.000 Unterschriften zusammen
Neben den noch unüberschaubaren Kosten wird hier auch wieder juristisches Neuland betreten. Das Vorhaben bezieht sich formal juristisch nicht auf eine Enteignung, die in Artikel 14 des Grundgesetzes geregelt ist; sondern auf eine Vergesellschaftung, die eine Hausnummer weiter in Artikel 15 Grundgesetz steht.
Der Unterschied: Artikel 14 zielt eher auf einzelne Vermögensteile ab, die Vergesellschaftung will das große Ganze - sprich das ganze Unternehmen - in die Gemeinwirtschaft überführen. "In der Praxis kam die Ermächtigung zur Vergesellschaftung bislang in keinem Fall zur Anwendung", schreibt dazu etwa der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Analyse. Vergleichbare Fälle gibt es nicht. Ob Wohnraum überhaupt "vergesellschaftungsfähig" ist, ist unklar.
Die Initiative lässt sich von all dem nicht abschrecken. "Wir haben mit dem Gesetzentwurf heute nur einen Vorschlag gemacht", sagt Initiator Schneider zu rbb|24. "Wenn wir im Laufe der Debatte feststellen, dass das so nicht haltbar ist, steuern wir nach." Man sei auf einem guten Weg bis zum 25. Juni die erforderlichen 175.000 Unterschriften zusammen zu bekommen, damit dann aus dem Volksbegehren der eigentliche Volksentscheid wird, über den die Berliner dann abstimmen sollen.
Neuer Wohnraum entsteht am Ende nicht
Das nun vorgestellte Gesetz steht dabei nicht zur Abstimmung, wenn es am 26. September zu einem Volksentscheid kommt. Es bleibt bei dem von vornherein angestrebten "Beschluss-Volksentscheid", mit dem der Senat lediglich zum Handeln und zum Erarbeiten eines eigenen Gesetzes aufgefordert wird, so die Initiatoren.
"So anerkennenswert die Bemühungen um eine eigene Gesetzesformulierung sind, sie könnten zur Verwirrung der Bevölkerung beitragen", finde der Verfassungsrechtsexperte Christian Pestalozza. Schließlich sei es der Initiative bisher ja darum gegangen, dass der Senat einen Gesetzentwurf vorlegt. Das sei sehr viel weniger ambitioniert gewesen, sagte er rbb|24.Pestalozza fragt deshalb: "Werden die Interessierten jetzt noch wissen, wofür sie eigentlich stimmen sollen?"
Sollte es aber zu einem erfolgreichen Volksentscheid am 26. September kommen, wäre das Abgeordnetenhaus an das am Montag vorgestellte Gesetz entsprechend nicht gebunden. Es dürfte spannend werden, wie der nächste Senat das Vorhaben dann umsetzt.
Eines dürfte aber klar sein: So lobenswert die Ziele der Initiative sind, mehr Wohnungen werden damit nicht entstehen.
Sendung: Inforadio, 10.05.2021, 14:20 Uhr
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