BER-Aufsichtsratvorsitzender Rainer Bretschneider - Ein Lotse geht von Bord

Der BER hat viele Verantwortliche überdauert. Das Projekt schien mächtiger als etliche Manager, Ingenieure und Politiker. Den Aufsichtsratsvorsitzenden Rainer Bretschneider hat der Flughafen nicht abgeschüttelt. Nun macht er aber doch den Abflug – in den Ruhestand. Von Hanno Christ
Für gute Aussichten war der BER noch nie bekannt. Und selbst der Aufsichtsratsvorsitzende Rainer Bretschneider hat keine bekommen. Vor dem Fenster seines Büros in den alten Schönefelder Verwaltungsgebäuden stehen keine Flugzeuge, gibt es keinen weiten Blick auf den fertiggestellten Flughafen. Stattdessen nimmt eine schnöde Baumreihe jede Aussicht in die Weite. Darauf habe er ohnehin nie großen Wert gelegt, sagt der 72-Jährige. Sein Büro habe er nur für wenige Gespräche genutzt, stattdessen sei er meist unterwegs gewesen – ganz im Dienst der Flughafengesellschaft. Die Kargheit seines Büros passt da ins Bild.
Bretschneiders Utensilien finden in wenige Taschen Platz, darunter ein Foto, das ihn noch als Düsseldorfer Beamten zeigt, kurz bevor er 1992 als einer von vielen West-Staatsbediensteten zum Aufbau Ost rübermachte. Dass der gebürtige Hagener im Brandenburgischen an der Fertigstellung eines Flughafens mitwirken würde, hätte er sich damals nicht träumen lassen. Das Manifest des BER, der Planfeststellungsbeschluss, trägt auch seine Unterschrift. Auch davon hat er noch ein Exemplar im Büro. Der Flughafen habe ihn jünger gemacht, behauptet er. "Ich bin so jemand, der mit Stress lebt. Auch wenn ich geschimpft habe wie ein Rohrspatz. Ich bin gerne in Konfrontation gegangen. Ich bin da aufgeblüht drin." Mit dem BER dürfte er eine Menge Humus gehabt haben.
Der Flughafen-Spindoctor der Landesregierung
Dabei war Bretschneider zu Beginn der Flughafenplanungen ein klarer Gegner des Standortes Schönefeld. Sperenberg war damals aufgrund geringerer Lärmbelastungen für viele Menschen sein Favorit, wie auch der der Brandenburger Landesregierung. Es kam anders. Bretschneider fügte sich. Immer wieder kreuzte sich sein Lebensweg fortan mit den Planungen des Großprojektes. Er wurde Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, später im Infrastrukturministerium, das die Planungen maßgeblich von Brandenburger Seite aus koordinierte. Standortdebatten, Kosten, abknickende Flugrouten, Schallschutz, Nachtflugverbot: Bretschneider lernte das Projekt kennen wie wohl kein Anderer in der Landesverwaltung - mitsamt seiner Stärken, Schwächen, Gegner und Befürworter. Der gemütliche Nordrhein-Westfale mit einem guten Draht zu Journalisten wuchs zum Flughafen-Spindoctor der Landesregierung ohne dabei öffentlich zu viel Verantwortung zu übernehmen. Im Rampenlicht standen meist andere.
"Auch ich habe Fehler gemacht"
Das änderte sich mit den desolaten, kurzfristigen Eröffnungs-Verschiebung 2012. Bretschneider gibt zu, damals vorab kein gutes Gefühl gehabt zu haben. Dass es aber mit der Eröffnung nichts werden würde, schien auch ihm nicht klar zu sein. Noch einen Monat vor der Bekanntgabe sprach er vor Kameras von der "pünktlichen Fertigstellung“. Es sollte nicht der letzte Irrtum des Rainer Bretschneider bleiben.
Kurz nach der Verschiebung wurde Bretschneider offizieller Flughafenkoordinator der Landesregierung. Dessen Arbeitsverträge von Jahr zu Jahr verlängert wurden. Dass er so lange über den offiziellen Pensionstermin hinaus im Dienste der Regierung stehen würde, hätte auch er nicht für möglich gehalten. Wieder kam es bekanntlich anders. Die Verantwortlichen am BER kamen und gingen, ob an der Spitze des Flughafens oder des Aufsichtsrates: Amann, Mehdorn, Mühlenfeld, Wowereit, Platzeck. Bretschneider hat sie alle erlebt und überdauert. Die größten Fehler seien ständige Eingriffe der Politik und der Rausschmiss der Planer nach der Verschiebung 2012 gewesen, meint Bretschneider. Vor allem dadurch habe sich das Projekt in die Länge gezogen. "Es gab sicher auch Themen, wo ich im Nachhinein falsch gelegen habe. Das ist sicher so. Aber wer ist da perfekt?" verteidigt er sich. Irgendwann habe er sich selbst für den Posten des Aufsichtsrates aufgedrängt und ließ es sich nicht nehmen, solange zu bleiben, bis der BER an den Start ging. Heute freut sich Bretschneider über jeden Passagierstau in Terminal 1.
"Ich laufe nicht weg"
Der Flughafen funktioniert nun zwar, doch er läuft noch immer mit erheblichen Problemen. Noch immer haben viele Menschen rund um den Flughafen keinen Schallschutz. Die Pandemie und die Krise der Luftfahrtbranche habe die Lage der FBB noch einmal verschärft. Ohne Hilfen durch den Steuerzahler wäre die Flughafengesellschaft nicht überlebensfähig. Wie lange die Durststrecke noch anhält, könne derzeit keiner sicher vorhersagen, meint Bretschneider, gibt sich aber optimistisch. "Ich laufe ich vor den Finanzen nicht weg, aber ich werde dieses Jahr 73 Jahre und ich glaube, es ist richtig, wenn sich jetzt jemand anders den Problemen stellt. Die werden auch gelöst. Da bin ich sicher." Bretschneider will sich nun endlich Zeit nehmen, um zu reisen. Mit seiner Frau soll es nach Hawaii gehen. Es wäre sein erster Abflug vom neuen BER. Auf den hat er lange genug gewartet.
Sendung: Brandenburg aktuell, 30.06.2021, 19:30 Uhr