App "Patzo" - Jetzt tindern in Berlin auch die Hunde

Hundesitter zum Gassigehen gesucht: Die App "Patzo" verspricht eine schnelle Vermittlung - durch einen Wisch nach links oder rechts. In der Pandemie sind viele auf den Hund gekommen - und das Geschäft der Welpenmafia boomt. Von Hasan Gökkaya
Das Prinzip ist so einfach wie Flirten auf Tinder und Bumble. Er wischt nach rechts, sie wischt nach rechts – und mit etwas Glück ist es ein Treffer, also ein Match. In der App öffnet sich ein Chat-Fenster, das erste Kennenlernen kann beginnen. Anders als auf den Dating-Plattformen dreht sich auf "Patzo" jedoch fast alles um Fotos von Hunden, soll es doch wirklich nur um das eine gehen: das Zusammenbringen von Vier- und Zweibeinern.
Die App, die im Mai in Berlin gestartet ist, bezeichnet sich als das "Hunde-Tinder", die über eine Wischfunktion Menschen ohne Vierbeiner mit Hundehaltern in Kontakt bringt. "Das Matching in der App ist nur der erste Schritt, um vermittelt zu werden und einen Treffpunkt auszumachen. Der Rest ist Chemie zwischen Mensch und Hund“, sagt "Patzo"-Mitgründer Marcel Wittstadt.
Hundehalter sucht Hundesitter
Der 25-jährige Jungunternehmer betreibt die App gemeinsam mit zwei Freunden – aus einer WG in Berlin-Wedding. Die Idee dazu kam, als sie während des Studiums feststellten, dass sie gerne einen Hund hätten, ihnen aber der Platz fehlte. "Dann war der Einfall da: Warum nicht eine Patenschaft für einen anderen Hund übernehmen?", sagt Wittstatd.
Die App sei für Hundehalter gedacht, die mal eben schnell in den Baumarkt müssten und keine 20 bis 30 Euro pro Stunde für einen Hundesitter zahlen wollten. "Genauso aber auch für Hundeliebhaber, die sich keinen Hund anschaffen, weil sie nicht die Zeit oder das Geld haben", sagt Wittstadt. Aktuell sind mehr als 2.000 Menschen in der App aktiv, die zuerst in Würzburg startete. Der Umzug in die Hauptstadt sei aber nur eine Frage der Zeit gewesen: "Wir mögen es hier und in Berlin gibt es sehr viele Hunde."
Wer die App nutzt, kann kostenlos als Hundehalter nach einem Hundepaten suchen. Andersherum können Menschen die bereit sind, einen fremden Hund Gassi zu führen, nach passenden Vierbeinern Ausschau halten. Ähnliche Möglichkeiten bieten bereits Webseiten wie "leinentausch.de" (kostenpflichtig), "dogsharing.de" und "nebenan.de" an – allerdings ohne das durch Tinder berühmt gewordene Wischprinzip.
Zu einem Match kommt es auf "Patzo" nur, wenn Hundehalter und Hundepaten sich gegenseitig durch einen Swipe mit dem Daumen, also einem Wisch nach rechts, bestätigen. Aktuell sind 500 Schnüffler auf der Suche nach Teilzeit-Ersatz für ihr Frauchen oder Herrchen.
Hunde stellen sich vor
Da ist zum Beispiel Mogli mit braunem Fell, der auf seinem Profil gleich zur Sache kommt: "Ich kuschele gerne und brauche viel Zuneigung." Und da ist Peppa, ein japanischer Shiba Inu, unter dessen Foto steht: "Ich lebe seit Ende 2020 in Berlin. Ich bin ziemlich aktiv, chill aber auch ganz gerne einfach mal rum und schlafe viel."
Eine Hundeversicherung bietet "Patzo" nicht, da das Unternehmen nach eigenen Angaben nicht kommerziell orientiert ist. Im Schadensfall, sollte also ein Hund beim Gassi führen zubeißen, hafte der Hundehalter über seine Haftpflichtversicherung, merkt Wittstadt an. Hundepaten seien bei Treffen mit den Hunden und ihren Haltern dazu angehalten, dies vorab zu klären.
Doch der Ruf nach Erfolg und Expansion scheint auch die "Patzo"-Gründer nicht kalt zu lassen. Bei der nächsten Crowdfunding-Kampagne wollen die Gründer bis Ende 2021 82.000 Euro einholen. Die App soll wachsen, ein Abo-System für Hundehalter dies finanzieren.
App-Gründer profitieren von Corona-Krise
Wittstadt - auch das ist ein Teil der Unternehmensgeschichte - gehört zu den Profiteuren der Corona-Krise. Er selbst sagt, dass sich viele Berlinerinnen und Berliner in der Pandemie einen Hund angeschafft hätten. "Jetzt wird der Lockdown runtergefahren, die Hundehalter merken plötzlich, dass sie wieder ins Büro müssen oder in den Sommerurlaub wollen. Die fragen sich jetzt: Wo soll der Hund hin?"
Tatsächlich setzen sich nicht nur Halter von Vierbeinern, sondern auch zunehmend Tierschützer mit dieser Frage auseinander. Ob dem Home-Office oder der Einsamkeit geschuldet: Die Pandemie hat zu einem Anschaffungs-Boom bei Hunden geführt – und das nicht immer zum Vorteil der Tiere.
Hunde-Boom: 6.000 Hunde mehr als sonst in Berlin
Dem Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) zufolge nahm die Anzahl der Hunde im Corona-Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr insgesamt um zehn bis 20 Prozent zu. Das Tierheim Berlin schätzt, dass aktuell 6.000 Hunde mehr als sonst in Berlin leben.
Dass nun bei Hundehaltern vermehrt die Einsicht hochkommt, dass der Kauf des Tieres während der Corona-Pandemie möglicherweise zu früh oder unüberlegt war, macht sich im Tierheim Berlin bemerkbar. Allein dieses Jahr hat es bereits 60 Welpen aufgenommen – an so viele Jungtiere in nur sechs Monaten könne sie sich in den vergangenen zehn Jahren nicht erinnern, sagt Sprecherin Beate Kaminski. "Und ich habe Angst, dass es noch mehr werden."
Welpen-Mafia putscht kranke Tiere mit Adrenalin auf
Vorschnelle Entscheidungen sich einen Hund anzuschaffen, sei durch die osteuropäische Welpen-Mafia begünstigt worden, sagt Kaminski weiter. "Die Menschen wollen sich schnell und unkompliziert Hunde anschaffen – statt sie sich die Mühe zu machen, zu professionellen Züchtern oder ins Tierheim zu fahren." Sie verweist darauf, dass im Berliner Tierheim geprüft werde, ob das Tier und der Abholer zusammenpassten. "Wenn ein 80-Jähriger bei uns anruft und nach Welpen fragt, ist das einfach nicht die richtige Mischung."
Der Hunde-Boom hät längst auch die Berliner Justiz erreicht. Im vergangenen Sommer wurde gegen eine 24-jährige Berlinerin in Hohenschönhausen Haftbefehl erlassen. Sie soll kranke junge Hunde mit gefälschten Papieren über ein Internetportal für durchschnittlich 300 bis 500 Euro verkauft haben. Die Tiere starben demnach nach kurzer Zeit oder die Käufer konnten die Hunde nur mit hohen Kosten am Leben halten.
Auch Kaminski sind solche Fälle bekannt. "Vor zwei Monaten kaufte ein Mann einen Welpen aus Polen für 1.000 oder 1.500 Euro. Am nächsten Tag lag das Tier bereits auf der Seite und war am Sterben. In der Klinik musste der Halter noch einmal 1.000 Euro ausgeben. Am Ende wurde ihm das Tier zu teuer und er brachte es zu uns ins Tierheim." Das wahre Leid würden dann die Tierpfleger abkriegen.
Der Tierschutzverein Berlin warnte vergangenes Jahr bereits davor, illegale Hundehändler würden kranken Welpen vor der Übergabe an die neuen Besitzer Aufputschmittel wie Adrenalin spritzen: "Wenn die Wirkung nachlässt und das eben noch so muntere Tierchen auf einmal teilnahmslos wird und Krankheitsanzeichen zeigt, sind die Betrüger längst mit dem Geld der Kunden verschwunden."
Gegen Apps wie "Patzo", die Mensch und Hund unkompliziert zusammenbringen, habe sie im Allgemeinen nichts, sagt Sprecherin Kaminski. Sie empfiehlt jedoch, sich im Zweifel lieber erst einmal in einem Tierheim oder bei einem Züchter beraten zu lassen. "Es geht am Ende um Charaktere. Man darf nicht denken: leicht verfügbar, einfache App, süßes Bild, niedlich, passt, habe heute Nachmittag Zeit. Ein Hund ist kein Gegenstand, den man zum Üben ständig wechseln sollte", sagte sie.
Ob der erste Kontakt über eine App entsteht oder durch einen Besuch im Berliner Tierheim: Ein Lichtblick für die Stärkung von Hunderechten flackerte unlängst zumindest auf: Der Bundesrat beschloss den Online-Verkauf von Hundewelpen zu beschränken. Durch einen Antrag zur Änderung der Tierschutz-Hundeverordnung ist der Bund nun aufgefordert, dafür zu sorgen, dass künftig nur noch eingetragene Züchter ihre Tiere über Kleinanzeigen im Internet verkaufen dürfen.