Sinkende Steuereinnahmen - Corona-Krise und Mitgliederschwund zwingen Kirchen zum Sparen
Es klang wie ein Rechenfehler: Trotz sinkender Mitgliedszahlen hatten die beiden großen Kirchen zuletzt Rekordeinnahmen bei der Kirchensteuer – wegen der günstigen Konjunktur. Die Corona-Krise hat dieser Entwicklung einen Dämpfer verpasst. Von Vera Kröning-Menzel
Nicht nur die Staatskassen leiden unter Steuerverlusten durch die Corona-Pandemie, auch die Kirchen beobachten Schwankungen bei der Kirchensteuer. Jörg Antoine von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) beziffert die Verluste auf rund sechs Prozent. Für das laufende Jahr habe die Landeskirche einen Etat von rund 300 Millionen Euro zur Verfügung, sagt er. Davon machen die Kirchensteuern rund 250 Millionen aus; Antoine rechnet mit einem Rückgang von etwa zwölf Millionen Euro.
Im katholischen Erzbistum stehen für das laufende Jahr rund 118,2 Millionen Euro aus Kirchensteuereinnahmen zur Finanzierung kirchlicher Aufgaben zur Verfügung. Am Anfang des Corona-Jahres 2020 habe es Einbußen gegeben, die sich dann aber relativiert hätten, sagt Finanzchef Bernd Jünemann und spricht von einer "Seitwärtsbewegung". Trotzdem erklärte Generalvikar Manfred Kollig, man werde bei der Haushaltsplanung 2022 "noch genauer hinschauen" und Ausgaben, für die es keine vertraglichen Verpflichtungen gebe, "pauschal um 20 Prozent reduzieren". Eine Vorsichtsmaßnahme, mit der man einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag einsparen könne, erläutert Jünemann.
Studie: Im Jahr 2060 nur noch jeder neunte im Osten Kirchenmitglied
Wenn sich die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte erholt, so eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft, sind die Kirchensteuer-Einnahmen schon im kommenden Jahr wieder so hoch wie vor der Krise. Doch der Mitgliederschwund zwingt die Kirchen schon seit Jahren zum Handeln: In den vergangenen 20 Jahren ist ihre Zahl um rund ein Fünftel zurückgegangen. Die sogenannte "Freiburger Studie" geht für die weitere Entwicklung von starken regionalen Unterschieden aus: Während den Prognosen nach im Jahr 2060 im Süden und Westen immer noch mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung einer der beiden Kirchen angehört, werde das im Osten nur noch auf jeden Neunten zutreffen.
Fusionen, weniger Pfarrstellen, schlankere Verwaltung
Die evangelische Landeskirche reagiert darauf mit Gemeindefusionen. Es würden weniger Pfarrstellen besetzt, sagt Jörg Antoine, und: "Wir reduzieren auch im Bereich der Fortbildung und der Verwaltung." Dabei habe er wenig Spielraum, sagt Antoine, denn zwei Drittel des Haushalts gingen an die Kirchengemeinden, die dann über diese Gelder entscheiden. Außerdem seien die Ausgaben der Kirchen in weiten Teilen gebunden: an den Religionsunterricht, die Trägerschaft von Schulen oder an die Altersversorgung ehemaliger Mitarbeitender. Im Erzbistum Berlin gehen von 100 Euro Kirchensteuern rund 20 Euro an die Altersversorgung von Geistlichen und Kirchenbeamten, in der evangelischen Kirche verhält es sich ähnlich.
Eine Pfarrei erstreckt sich von Berlin-Buch bis zur polnischen Grenze
Um Ressourcen zu sparen, gibt es auch ökumenische Überlegungen: Generalvikar Kollig und Konsistorialpräsident Antoine haben bereits erste Gespräche geführt, um darüber nachzudenken, wie Landeskirche und Erzbistum in den Verwaltungsstrukturen enger zusammenarbeiten können. Denn die katholische Kirche hat aus der Vergangenheit gelernt: Das Erzbistum Berlin geriet im Jahr 2003 in so starke finanzielle Probleme, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte.
Andere deutsche Bistümer mussten bei der Entschuldung einspringen; Kirchen wurden abgerissen, geschlossen oder verkauft. Seitdem hat sich das Erzbistum einen strengen Sparkurs auferlegt: Kirchengemeinden wurden wieder und wieder zu größeren Seelsorge-Einheiten fusioniert. Von einst über 200 Gemeinden werden bei Abschluss des Reformprozesses nur noch etwa 30 Groß-Pfarreien übrig sein, die sich zum Teil über weite Distanzen erstrecken, etwa die Pfarrei "Heiliger Christopherus" von Berlin-Buch bis zur polnischen Grenze.
Die Suche nach Berührungspunkten
Mit Blick auf Austritte und unterbliebene Taufen fragen sich die Verantwortlichen in den Kirchen auch, wie sie die Menschen anders als bisher erreichen können. Vor allem sucht man mehr Berührungspunkte mit jungen und distanzierten Kirchenmitgliedern und überlegt, wie zum Beispiel der Religionsunterricht und christliche Familienfeiern wie Taufen, Konfirmationen oder Trauungen einladender gestaltet werden können. "Wenn es den Kirchen gelingt, tragfähige Antworten auf diese Fragen zu entwickeln", schreiben die Autoren der Freiburger Studie David Gutmann und Fabian Peters, "könnte die weitere Entwicklung besser als projiziert ausfallen".