Rührei aus Tofu, Speisekarten aus Graspapier - Größtes rein veganes Hotel in Deutschland eröffnet in der Prignitz

Immer mehr Menschen bevorzugen einen nachhaltigen Lebensstil. Auch Hotels und Restaurants folgen dieser Entwicklung. In Lenzen in der Prignitz öffnet jetzt Deutschlands größtes rein veganes Hotel. Von Britta Streiter
Das Storchenpaar mit den drei Jungen im Nest am Eingang der Lenzener Burg bekommt nur wenig vom Trubel um sie herum mit. Hier und da pinselt der Maler noch an den Wänden, Terrasse und Park werden auf Vordermann gebracht, und in der Küche testet Chefkoch Jonathan Gebhardt Gerichte, die auf die Speisekarte kommen sollen: "Ich koche gerade ein Geschnetzeltes aus Seitan mit Kräuterseitlingen und Zwiebeln, und das löschen wir gleich mit Weißwein ab."
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass das Burghotel wieder durchstartet – mit einem innovativen, nachhaltigen Konzept. Seit 2007 war es schon als Biohotel zertifiziert. Der neue Betreiber Jonas Mog, gebürtiger Schwabe, ist erst 27 Jahre alt. Er hat bereits für Hotels in Berlin und Dresden, aber auch in Österreich und auf den Seychellen gearbeitet. Auch zwei Hotel-Neueröffnungen hat er begleitet. Für Lenzen hat er eine neue Marke gegründet: Ahead- Hotel ist auf einem Schild am Eingang zu lesen.
Lange Tage für den Hotelchef
"Ahead, auf Deutsch voraus, heißt, dass wir in bestimmten Dingen, zum Beispiel bei der Nachhaltigkeit und Ernährung, Vorreiter für andere Hoteliers und Gastronomen sein und dafür werben wollen, einen pflanzlichen und achtsameren Weg einzuschlagen", so Jonas Mog. Das soll überall zu spüren sein. Auf jedem der rund 40 Zimmer gibt es eine Yogamatte. Das Teehaus im Park steht offen für Yoga- und Mediation, es werden auch Kurse angeboten.
Über wenig Nachfrage kann sich der junge Hotelchef nicht beklagen: "Die Leute riefen schon vor zwei Wochen an und wollten Tische bestellen, auch die Zimmer sind schon ganz gut gebucht. Heute hat das Telefon den ganzen Tag geklingelt." Lenzen und Umgebung konnte Jonas Mog allerdings noch nicht wirklich erkunden, denn sein Arbeitstag beginnt zur Zeit um 9 Uhr und endet meist gegen Mitternacht.
Speisekarten aus Graspapier
Einen besseren Standort hätte der 27-Jährige nicht finden können: "Wir haben uns nach einem Ort umgeschaut, wo die Natur schön und der gut gelegen ist. Wir sind hier genau in der Mitte zwischen Hamburg und Berlin. Das ist für unsere Zielgruppe, also die Gäste aus der Stadt, ein enormer Vorteil. Die können gut mit Auto oder Zug anreisen", so Mog. "Ich glaube, dass der Urlaub in Deutschland inzwischen an Bedeutung gewonnen hat, und viele, die vorher vielleicht nach Mallorca geflogen sind, überlegen jetzt vielleicht, ob sie mal in die Prignitz fahren."
Wie ein roter Faden soll sich der nachhaltige Gedanke durch alle Bereiche ziehen, vom Keller bis zum Dach. Das geht beim Essen und den Getränken los, über die Ausstattung in den immern bis hin zu Freizeitangeboten. So sind zum Beispiel Shampoo und Duschbad rein pflanzlich, Speise- und Visitenkarten sind aus Graspapier, die Bluetooth-Boxen auf den Zimmern bestehen aus Kork und die Leihfahrräder aus Bambus. Wer das Toilettenpapier nutzt, fördert Projekte für Menschen, die bisher keinen Zugang zu Toiletten haben. Und wer das hoteleigene Wasser trinkt, unterstützt den Brunnenbau in Ländern, wo es kein sauberes Trinkwasser gibt.

"Bei unserem veganen Konzept achten wir auf jedes kleine Detail. Das geht los beim nachhaltigen Holzleim, den wir für unsere Möbel nutzen bis hin zu Kissen und Decken, die natürlich mit Biobaumwolle und nicht mit Daunen gefüllt sind", ergänzt der Hotelbetreiber. "Wir versuchen aber, unsere Philosophie ohne erhobenen Zeigefinger zu vermitteln, sondern sehen das eher als Inspiration für die Gäste." So haben hier strenge Veganer nicht das Problem, dass sie jedes Mal nachfragen müssen, ob alles rein pflanzlich ist. Sie können hier unbeschwert Urlaub machen.
Der Chefkoch kocht Tofu-Rührei
Im gut fünf Hektar großen Burgpark findet man vor allem eins: Ruhe! Ab und zu flötet der Pirol oder es schwirrt ein bunter Eisvogel vorbei. Im Garten finden Besucher neben Kräutern auch historische Rosensorten. Aus Äpfeln, Birnen und Pflaumen von der Streuobstwiese werden Marmeladen fürs Frühstück hergestellt. Es ist ein Ort zum Entschleunigen. Überall stehen Liegen, und mit Hilfe von Hörtrichtern können die Gäste den Geräuschen aus der Natur lauschen. Durch den Park fließt die Löcknitz. Wer einen Ausflug auf dem Wasser unternehmen will, kann gleich vom Park aus ins Kanu steigen oder sich beim Standup-Paddling ausprobieren.
Chefkoch Jonathan Gebhard, der vorher in Schweden gearbeitet hat, freut sich auf neugierige Gäste, die vielleicht auch mal was anderes probieren wollen: "Hier wird niemand sein Frühstücksei vermissen, bei uns gibt es Tofu-Rührei, was dem normalen Ei schon sehr nahekommt". Der 29-Jährige nutzt zum Kochen Salbei, Rosmarin und Thymian, aber auch essbare Blumen aus dem Burgpark, und er arbeitet auch mit Gemüsebauern aus der Region zusammen.

Küche mit "gehobener Hausmannskost"
Der Küchenchef selbst isst Fleisch. Persönliche Vorlieben waren kein Einstellungskriterium, schmunzelt der langjährige Veganer Jonas Mog: "Das ist ein Vorteil. Denn wer Fleischesser von der veganen Küche überzeugen will, sollte den Geschmack von richtigem Fleisch schon kennen." Und Gebhardt fügt hinzu: "Auf der kleinen Speisekarte ist eine gehobene Hausmannskost zu finden, angepasst an die Lenzener, und das zu verträglichen Preisen. Zum Beispiel wird es Linsen- und Pilzgerichte geben, aber auch mal eine vegane Wurst aus Erbsenprotein." Die Küche soll weniger von Ersatzprodukten, sondern von innovativen Kreationen leben, einem Mix aus Bio- und regionaler Kost. "Zum Dessert kommen dann Sachen wie veganes Tiramisu, Cheesecake oder Eis auf den Tisch", so Gebhardt.
Lockeres Ambiente mit ätherischen Düften und Chillout-Musik
Das Burg-Team mit rund 20 Mitarbeitern setzt auf ein lockeres Ambiente. Dazu sollen auch Düfte aus ätherischen Ölen und Chillout-Musik beitragen, der Gast wird sogar geduzt: "Wir wollen keine steife Atmosphäre und keinen Luxus, der Besucher soll sich hier rundum wohlfühlen", betont Hotelchef Jonas Mog.
Der Prignitzer Tourismusverband unterstützt das Konzept und hofft, dass die Gäste es gut annehmen: "Wenn man in die Geschichte schaut, sind wir schon sehr fleischlastig. Unser 'Nationalgericht', der Knieperkohl, wird mit Kassler und Bauchfleisch angerichtet", erzählt Chef Mike Laskewitz. Aber auch die Prignitz wandelt sich, regionale Produkte sind auch hier auf dem Vormarsch. "Ich finde es super, dass es sowas jetzt bei uns im ländlichen Raum gibt", sagt der Tourismus-Chef.
Lenzener blicken unterschiedlich auf das Konzept
Touristen aus Hamburg und Berlin werden sicher kommen, die Frage ist, ob auch die Lenzener für die vegane Küche zu begeistern sind – in dem kleinen Städtchen gibt es zwei Fleischer, einen großen Rinderzuchtbetrieb, und um die 500 Schafe grasen hier auf den Weiden.
"Fleisch ist mein Gemüse, ich werde da sicher nicht hingehen", lacht ein älterer Lenzener. "Ob es die Lenzener einbinden wird, weiß ich nicht, aber wir müssen uns alle verändern, wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen", sinniert eine Frau auf dem Burgvorplatz, und eine Spaziergängerin mit Hund macht den neuen Hotelbetreibern Mut: "Die Lenzener essen natürlich gerne Fleisch, ich selbst auch, aber ich werde es auf jeden Fall probieren. Man muss den Leuten doch auch eine Chance geben."
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