Pflegekräfte fordern Entlastung - Arbeitsgericht untersagt Streik bei Vivantes-Kliniken

Drei Tage lang wollten die Pflegekräfte an den landeseigenen Kliniken von Charité und Vivantes streiken. Nun hat ein Gericht das vorerst für die Vivantes-Krankenhäuser untersagt. Am Dienstag soll darüber aber nochmal verhandelt werden.
Das Berliner Arbeitsgericht hat den am Montagmorgen begonnenen Warnstreik von Vivantes-Mitarbeitern vorläufig untersagt. Zur Begründung hieß es, in Krankenhausbetrieben könne ein Streik nur durchgeführt werden, wenn die medizinische Versorgung der Patienten in Notfällen gesichert sei. Dies sei bislang nicht gewährleistet, hieß es vom Gericht. Es gab damit einem Eilantrag der Vivantes-Geschäftsführung statt.
Die Entscheidung gelte zunächst bis zu der mündlichen Verhandlung am Dienstagmittag, sagte ein Gerichtssprecher am Montag der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Dorothea Schmidt, Geschäftsführerin Personalmanagement bei Vivantes, teilte anschließend mit: "Für Vivantes bedeutet die Entscheidung, dass wir ab sofort mit unseren Kliniken für die Berlinerinnen und Berliner wieder in vollem Umfang zur Verfügung stehen."
Verdi stoppt Streik nach wenigen Stunden
Die Gewerkschaft Verdi folgte der Entscheidung des Gerichts und stoppte den Warnstreik der Vivantes-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach wenigen Stunden. "Wir setzen den Streik aus bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts morgen Mittag", sagte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger am Montag der DPA.
Vor der Vivantes-Zentrale sei ein Camp errichtet worden, allerdings nur für Mitarbeiter, die dort in ihrer Freizeit demonstrieren wollen. An der Charité werde weiter gestreikt, sagte Jäger. Demnach befanden sich dort am Montagvormittag etwa 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausstand.
Kliniken verschieben teilweise Operationen
Die einstweilige Verfügung sei ein Schlag ins Gesicht für alle Berliner Pflegekräfte, sagte Pflegerin Stella Merendino. "Die Patienten werden tagtäglich wegen unserer chronischen Unterbesetztheit gefährdet und nicht, weil wir streiken. Wir streiken verantwortungsbewusst."
Eine Vivantes-Sprecherhin kritisierte, der Warnstreik-Auftakt habe in den Kliniken von Vivantes zu erheblichen Einschränkungen in der Versorgung geführt. "Am Klinikum Am Urban und am Klinikum Neukölln mussten aufgrund des Streiks jeweils rund 20 Tumor-OPs abgesagt werden", so die Sprecherin.
Keine Notdienstvereinbarung
Die Gewerkschaft Verdi hatte in der vergangenen Woche zu einem Streik in den landeseigenen Krankenhäusern Vivantes und Charité aufgerufen. Verhandlungen über Notdienst-Vereinbarungen zwischen Verdi und den Krankenhäusern blieben seitdem erfolglos.
In einer Entscheidung am Freitag untersagte das Arbeitsgericht zunächst einen Streik für Mitarbeiter von Vivantes-Tochtergesellschaften und begründete die Entscheidung ebenfalls mit dem Fehlen einer Notdienst-Vereinbarung. Am Montag folgte dann die Entscheidung für Vivantes gesamt.
Am Montagvormittag waren laut Verdi rund 800 bis 1.000 Krankenhausbeschäftigte zunächst zu einer Kundgebung vor der Vivantes-Zentrale in Reinickendorf zusammengekommen. Ein geplanter Demonstrationszug fand wegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht mehr statt.
Weitere Verhandlungen des Amtsgericht geplant
Über eine Notdienst-Vereinbarung für Tochterfirmen solle nun am Montag erneut verhandelt werden, sagte Meike Jäger von Verdi. "Mit dem Ziel, dass die Mitarbeiter doch noch in den Streik treten können." Die geplanten Verhandlungen zu einer Notdienst-Vereinbarung für Beschäftigte des Mutterhauses seien jedoch verschoben worden.
Das Arbeitsgericht will am Dienstag über beide Gerichtsentscheidungen zu Vivantes mündlich verhandeln. Ein Sprecher der Charité sagte, hier seien bislang keine rechtlichen Schritte gegen den Streik geplant.

Kalayci fordert schnelle Notdienst-Vereinbarung
Am Montagmittag rief Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) die Konfliktparteien auf, möglichst schnell eine Notdienst-Vereinbarung zu treffen. Im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses sagte die Politikerin, sie habe den Geschäftsführungen von Vivantes und Charité deutlich gemacht, dass Berlin als Eigentümerin der landeseigenen Kliniken eine solche Notdienstvereinbarung wünsche, um einen Streik möglich zu machen. "Das ist kein Teufelswerk, sondern machbar", so Kalayci.
Die Senatorin sagte, das legitime Recht auf Streik müsse in Einklang gebracht werden mit der Versorgungssicherheit an den Krankenhäusern. Sie appellierte, beide Seiten - die Kliniken und die Gewerkschaft Verdi - müssten Schritte aufeinander zugehen und gemeinsame Wege finden. Das sei man den Beschäftigten schuldig.
Gewerkschaftsforderungen für Vivantes "nicht tragbar"
Der Gewerkschaft geht es in ihrem Arbeitskampf um einen Tarifvertrag, der eine Mindestpersonalausstattung für Stationen und Bereiche in den Kliniken festlegt. Er soll zudem Regelungen zum Belastungsausgleich enthalten für den Fall, dass diese tarifvertraglichen Vorgaben nicht eingehalten werden. Außerdem wollen Angestellte von Vivantes-Tochterunternehmen den vollen Tariflohn des öffentlichen Dienstes erhalten.
Für Vivantes sind die Forderungen der Gewerkschaft "nicht tragbar". Angesichts des fehlenden Fachpersonals wären die Vorgaben nur umsetzbar, indem weniger Patienten behandelt würden, argumentiert das Haus. Laut Verdi soll die Umsetzung aber schrittweise erfolgen. An anderen Häusern, etwa an der Uniklinik Mainz, seien damit bereits gute Erfahrungen gemacht worden. Auch das Argument des Fachkräftemangels lasse Verdi nicht gelten, so Graumann: "Das Problem sind nicht die fehlenden Fachkräfte, sondern die Bedingungen, unter denen die Fachkräfte arbeiten müssen."
Für die Charité komme nur eine individuelle Regelung in Betracht. Der Vorstand der Charité sei auch nicht frei darin, einen Entlastungstarifvertrag abzuschließen, so ein Sprecher.
Sendung: Inforadio, 23.08.2021, 12:45 Uhr