Zweitägiger Ausstand - GDL-Streik legt Schienenverkehr weitgehend lahm

Der Streik der kleinen Lokführer-Gewerkschaft GDL hat große Auswirkungen: Nur ein Viertel der Fernzüge ist auf der Schiene, im Regionalverkehr sind vor allem die Pendler in Brandenburg betroffen. In Berlin stehen viele S-Bahnzüge still.
Der bundesweite Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) bei der Deutschen Bahn hat am Mittwoch zu zahlreichen Zugausfällen und -verspätungen in Berlin und Brandenburg geführt, aber auch bundesweit.
Der Ausstand im Personenverkehr hatte in der Nacht begonnen, seit Dienstagabend wird bereits der Frachtverkehr bei der DB Cargo bestreikt. Die GDL kämpft um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder bei der Deutschen Bahn. Der 48-stündige Streik endet am Freitag um 2 Uhr.
Das rbb Fernsehen sendet um 20:15 Uhr das rbb spezial "Bahnstreik in Berlin und Brandenburg"
Der Berliner Fahrgastverband Igeb hat den Ersatzfahrplan der S-Bahn während des Lokführerstreiks gelobt. "Die S-Bahn hat versucht ein gutes Angebot zu machen", sagte Sprecher Jens Wieseke dem rbb. "Das hat sie wirklich mit Bravour geleistet. Sie konnte sogar mehr fahren, als sie eigentlich geplant hatte." Die S-Bahn Berlin hatte auf der Ringbahn den Verkehr komplett eingestellt. Dafür wurden Züge so eingesetzt, dass die Außenbezirke mit der Innenstadt verbunden werden konnten.
Schwieriger sei die Lage im Umland gewesen, sagte er. Viele Linien seien komplett ausgefallen, Probleme gab es auch auf Strecken, die gar nicht von der Deutschen Bahn bedient würden. "Dann war natürlich das Problem, dass Stellwerke bestreikt wurden. Da musst der RE2, der von der Odeg gefahren wird, einen Umweg fahren", so Wieseke im rbb Fernsehen.
Der Verband fordert allerdings auf gesetzlicher Ebene, Notdienstvereinbarungen zu ermöglichen. Diese sollen etwa Kernbereiche von Streiks ausnehmen können. Es müsse ein Notangebot geben. Wenn etwa kein Bus zum Benjamin-Franklin-Klinikum fahren würde, wäre das schlecht, so Wieseke.
S-Bahn: Ringbahn fährt nicht
Vom Streik der Lokführer ist auch die Berliner S-Bahn betroffen. Die Ringbahn verkehrt nicht, es gibt keine Züge von und nach Spandau. Potsdam bleibt über die verlängerte S1 angebunden. Es soll im 20-Minuten-Takt gefahren werden, abends oft nur noch alle 40 Minuten.
- S1: Potsdam Hbf <> Oranienburg (im 20-Minuten-Takt)
- S2: Blankenfelde <> Lichtenrade <> Bernau (im 20-Minuten-Takt)
- S25: Teltow Stadt <> Hennigsdorf (im 20-Minuten-Takt)
- S26: verkehrt nicht
- S3: Erkner <> Ostbahnhof (im 20-Minuten-Takt)
- S41/S42: verkehren nicht
- S45: verkehrt nicht
- S46: Königs Wusterhausen <> Schöneberg (im 20-Minuten-Takt)
- S47: verkehrt nicht
- S5: Strausberg Nord <> Charlottenburg (im 20-Minuten-Takt)
- S7: Ahrensfelde <> Friedrichstraße (im 20-Minuten-Takt)
- S75: verkehrt nicht
- S8: Schönhauser Allee <> Birkenwerder (im 20-Minuten-Takt)
- S85: (als S9: von/ nach Flughafen BER T1-2) <> Schöneweide <> Pankow (im 20-Minuten-Takt)
- S9: Flughafen BER T1-2 <> Schöneweide (<> weiter als S85 nach/ von Pankow), (im 20-Minuten-Takt)
Quelle: S-Bahn Berlin [sbahn.berlin], Stand: 15:50 Uhr
Regionalverkehr: zahlreiche Ausfälle
Auch im Regionalverkehr ist laut Deutscher Bahn mit erheblichen Einschränkungen zu rechnen. "Wir versuchen, ein Mindestfahrplanangebot aufrechtzuerhalten", hieß es. "Trotzdem können wir in dieser Situation nicht garantieren, dass alle Reisenden an ihr Ziel kommen."
Auf folgenden Linien könne weder ein reduzierter Ersatzfahrplan noch ein Busersatzverkehr angeboten werden:
- FEX
- RB10/14
- RB13
- RB20
- RB21
- RB22
- RB23
- RB24
- RB31
- RB49
- RB55
- RE/RB66
Ersatzfahrplan mit Zügen und Bussen
Die Bahn hat für einige Linien Ersatzfahrpläne eingerichtet, die mit Zügen oder Bussen realisiert werden. Allerdings werden nicht immer alle Haltestellen wie gewohnt bedient. Zudem kann es auf den Online-Seiten der Bahn zu Ausspielproblemen bei den Plänen kommen.
Für folgende Linien wird ein Ersatzfahrplan bestehend aus Zügen und/oder Bussen angeboten:
- RE1 - Magdeburg/Brandenburg - Potsdam - Berlin - Frankfurt (Oder) - Eisenhüttenstadt - Cottbus
- RE3 - Stralsund/Schwedt (Oder) - Pasewalk - Angermünde - Berlin - Lutherst. Wittenberg/Falkenberg (Elster)
- RE5 - Rostock/Stralsund - Neustrelitz - Berlin - Wünsdorf-Waldstadt/Elsterwerda
- RE6 - Wittenberge - Pritzwalk - Neuruppin - Kremmen - Hennigsdorf (b. Berlin) - Berlin Gesundbrunnen
- RE7 - Dessau/Bad Belzig - Michendorf - Berlin - Berlin-Schönefeld Flughafen - Wünsdorf-Waldstadt
- RE10 - Cottbus - Doberlug-Kichhain - Falkenberg (Elster) - Leipzig
- RE15 - Hoyerswerda - Ruhland - Großenhain - Coswig (b. Dresden) - Dresden
- RE18 - Cottbus - Ruhland - Großenhain - Coswig (b. Dresden) - Dresden
- RB11 - Frankfurt (Oder) - Eisenhüttenstadt - Cottbus
- RB43 - Cottbus - Doberlug-Kirchhain - Falkenberg (Elster)
Quelle: Deutsche Bahn/DB Regio Nordost [bahn.de] Stand: 17:14 Uhr
rbb-Reporter berichteten aus Frankfurt (Oder), dass die Bahnsteige am Morgen menschenleer waren - viele Pendler schienen sich Alternativen gesucht zu haben. Zu kurzfristig kam die Ankündigung dagegen für Reisende aus Polen, wie einige am Bahnhof berichteten.
Chaotische Szenen spielten sich Korrespondenten zufolge auf dem Bahnhof in Fürstenwalde (Oder-Spree) ab. Dort warteten einige Reisende nach eigenen Aussagen bis zu drei Stunden auf eine Verbindung. Zudem hätten sich ständig die Informationen auf den Anzeigetafeln geändert - es wurden Züge angekündigt, die dann doch ausfielen.
Video: rbb|24 | 11.08.2021 | Material: rbb spezial, rbb|24
Nur ein Viertel der Fernzüge unterwegs
Das bundesweite Angebot im Fernverkehr werde am Mittwoch und Donnerstag auf 25 Prozent der üblichen Fahrten reduziert, so die Bahn. Priorität hätten stark frequentierte Strecken wie zwischen Berlin und dem Rhein-Ruhr-Gebiet. Ziel sei ein zweistündliches Angebot mit besonders langen Zügen auf den Hauptachsen, hieß es am Dienstag. Das Unternehmen rechnet bis zur Nacht auf Freitag, dem angekündigten Ende des Streiks, mit zahlreichen Ausfällen.
Der Konzern appellierte an die Reisenden, für Mittwoch und Donnerstag geplante Fahrten wenn möglich zu verschieben. Das Verkehsunternehmen geht davon aus, dass es in den noch fahrenden Zügen sehr voll wird. Bereits gebuchte Fahrkarten könnten auch am Dienstag oder Freitag genutzt oder kostenfrei storniert werden.
Die Bahn wies zudem darauf hin, dass auch internationale Fernzüge vom GDL-Streik betroffen sind und auf der gesamten Strecke oder im deutschen Abschnitt ausfallen können. So gibt es während des Streiks beispielsweise keinen gernzüberschreitenden Fernverkehr nach Polen.
BVG und Bahn-Konkurrenten nicht betroffen
Kommunale Verkehrsbetriebe sind nicht vom GDL-Streik betroffen, auch nicht die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Ein Sprecher des Unternehmens berichtete von "merklich volleren Fahrzeugen" im Berufsverkehr. Die Busse, Trams und U-Bahnen seien im Berufsverkehr aber nicht überfüllt gewesen. So sei es im Busbereich im Frühberufsverkehr zu keinen streikbedingten Verspätungen gekommen. Auch U- und Straßenbahnen seien planmäßig gefahren. Auf den Linien M5, M6 und M8 setzte die Straßenbahn teilweise vorsorglich längere Züge als üblich ein.
Im Verlauf des weiteren Tages stieg die Fahrgastnachfrage bei der BVG an. Vereinzelt hätten Passagiere auf die nächste Tram oder den nächsten Bus warten müssen. Es sei dann zu vereinzelten Verspätungen gekommen. Dies betraf laut BVG vor allem die Linien X69, M27, 154, 163, 170, 248, 250 und 255.
Nicht bestreikt werden auch Konkurrenten der Bahn wie der Fernzuganbieter Flixtrain und regionale Konkurrenten wie die Ostdeutsche Eisenbahn (Odeg) und die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB). "Beeinträchtigungen können jedoch nicht komplett ausgeschlossen werden, falls auch die Infrastruktur (Fahrdienstleiter) der DB bestreikt werden soll", teilte die NEB mit. Aktuell gebe es aber keine indirekte Beeinträchtigungen, so die NEB weiter. Eine Odeg-Sprecherin sprach am Mittag von deutlich mehr Fahrgästen. Ab Nachmittag erwarte man zudem viele Pendler, die statt der S-Bahn die Odeg nutzten.
Pendler versuchten per Auto dem Bahnstreik aus dem Weg zu gehen
Viele Pendler stiegen offenbar aufs Auto um. Die Verkehrsinformationszentrale (VIZ) Berlin meldete am Mittwoch stadteinwärts viele Staus etwa auf den Autobahnen 111, 113 und 114. Laut VIZ waren auch große Straßen im Berliner Stadtgebiet überdurchschnittlich gefüllt - etwa die Frankfurter und Landsberger Allee in Richtung Zentrum und die Leipziger Straße in beiden Richtungen. In Brandenburg beobachtet die Polizei aufgrund des Streiks keine übermäßigen Bewegungen auf märkischen Straßen und Autobahnen.
Neben den eigenen Autos nutzen viele auch Carsharing-Alternativen. Der Anbieter Share Now etwa teilte auf Anfrage ein erhöhtes Buchungsaufkommen für die Region Berlin/Brandenburg mit. Man liege verglichen mit vergangenem Mittwoch bei einem Plus von 23 Prozent. Für eine vollständige Beurteilung müsse man allerdings die komplette Streikdauer abwarten.
Der größte deutsche Autovermieter Sixt erwartet durch den Lokführerstreik bei der Deutschen Bahn in den kommendenTagen eine größere Nachfrage. In der Vergangenheit sei die Nachfrage nach Mietautos, Fahr- und Taxidiensten bei Zugausfällen während eines Lokführerstreiks gestiegen. Insbesondere bei Streiks im Nahverkehr steige die Zahl der Fahrten, sagte eine Sixt-Sprecherin am Mittwoch. "Für die kommenden Tage rechnen wir daher mit einem erhöhten Buchungsaufkommen."
Reisende stiegen auch aufs Flugzeug und Fernbus um
Wer weiter weg wollte, stieg auch aufs Flugzeug oder den Fernbus um. Wegen des Passagierandrangs setzt die Lufthansa bis einschließlich Freitag größere Flugzeugtypen auf ihren innerdeutschen Flügen ein, wie eine Sprecherin berichtete. Der Fernbus-Anbieter Flixbus verzeichnet nach eigenen Angaben im Vergleich zur Vorwoche eine um etwa 70 Prozent höhere Nachfrage. Die Fernzüge der Marke Flixtrain würden um rund 30 Prozent mehr gebucht.
Bei einer erhöhten Nachfrage steigen allerdings die Preise für die Einzeltickets. Flixbus und Lufthansa arbeiten etwa mit automatisierten Buchungssystemen, die automatisch höhere und teurere Buchungsklassen aufmachen, wenn die Plätze knapp werden.
Kritik von Bahn und Fahrgastverband
Bahnsprecher Achim Stauß sprach am Mittwochmorgen im rbb von einem "völlig überzogenen und unnötigen" Streik. Eine Lösung mit der GDL könne es nur am Verhandlungstisch geben, "und wir waren ja auch schon recht weit", so Stauß. "Es ist für uns insofern völlig unverständlich, dass die GDL jetzt diesen massiven Streit vom Zaun bricht. Das deutet darauf hin, dass diese Gewerkschaft auch andere Interessen hat - nämlich eine Erweiterung ihres Machtbereiches."
Kritik kam auch vom Fahrgastverband Pro Bahn. "Ein Streik im öffentlichen Verkehr ist immer auch ein Streik gegen die Fahrgäste", sagte der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann am Mittwoch im rbb-Inforadio. Die GDL wolle mit dem 48-Stunden-Streik auch auf sich aufmerksam machen. Es gehe aus seiner Sicht um den Wettkampf zwischen den Bahn-Gewerkschaften GDL und EVG, die sonst auf der Arbeitsebene gut miteinander auskämen, so Naumann.
Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sieht in dem Streik vor allem einen Kampf um die Zukunft der GDL. "Die Forderungen kommen zum Schluss", sagte EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel am Mittwoch der "Welt". "Hier geht es um Mitgliederwerbung. Und es geht um eine Zukunft der Bahn, mit Hinblick auf eine Organisationsmacht der GDL", sagte er.
Entscheidung über weitere Streiks nächste Woche
GDL-Chef Claus Weselsky wies am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin" Kritik zurück, den Streik zu kurzfristig bekanntgegeben zu haben: "Wir haben früh genug angekündigt." Zudem gebe es "keinen günstigen Zeitpunkt" für einen Streik. Die Gewerkschaft sei sich der erhöhten Reisefrequenz aufgrund der Ferienzeit jedoch bewusst und werde den Streik zunächst am Freitag beenden.
Gegenüber der Nachrichtenagentur DPA hatte ein Bahnsprecher gesagt: "Das ist unverantwortlich von der Lokführergewerkschaft, nur 15 Stunden Zeit zu lassen zwischen Streikankündigung und Streikbeginn."
Weselsky drohte mit weiteren Streiks. Man werde mit der ersten Maßnahme nicht durchkommen, sagte er vor Gewerkschaftern in Berlin. "Von daher brauchen wir einen langen Atem." Insbesondere die von der Bahn vorgeschlagene lange Laufzeit von 40 Monaten müsse vom Tisch. Zu seinen Gefolgsleuten sagte Weselsky: "Ich verspreche Euch nicht, dass es am Freitag schon vorbei ist. Aber wir gehen sorgsam mit unserer Tarifmacht um." Eine Entscheidung über weitere Arbeitskampfmaßnahmen soll in der kommenden Woche fallen.
Für den GDL-Streik hatten in einer Urabstimmung 95 Prozent der teilnehmenden Mitglieder votiert. Es ist der erste Warnstreik bei der Bahn seit Dezember 2018, als die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ihre Mitglieder zum Arbeitskampf aufrief. Beide Gewerkschaften ringen miteinander um Einfluss in dem Staatskonzern.
Sendung: Inforadio, 10.08.2021, 10:21 Uhr
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