Neue Studie - Warum Lastenräder keine Spinnerei reicher Großstädter sind

Elitäre Wohlstandskutschen, Statusobjekte von Hipster-Eltern, nutzlos für Unternehmer: Vor allem mit dem letzten Vorurteil räumt nun eine neue Studie auf. Demnach können Cargobikes Firmen-Fuhrparks umkrempeln. Von Sebastian Schöbel
Dass Lastenräder gerade in aller Munde sind - "trenden", wie es im Zeitalter der Twitterblasen heißt - müsste Johannes Gruber eigentlich gefallen. Er arbeitet am Institut für Verkehrsforschung und hat seit 2017 im europaweit größten Praxistest untersucht, ob die Cargobikes von Betrieben sinnvoll genutzt werden können.
750 Unternehmen und Einrichtungen nahmen an dem Test teil, rund 300.000 Kilometer wurden gefahren und per GPS-Tracking ausgewertet. Über 150 Lastenräder verschiedenster Bauart waren im Einsatz: vom kleinen Lieferfahrrad mit Kiste auf dem Gepäckträger über das langgezogene Cargobike bis zum wuchtigen Schwerlast-Dreirad. Der Abschlussbericht soll in den kommenden Wochen vorgestellt werden, rbb|24 liegt er bereits vor.
Ein Symbol der Verkehrswende
Gerade rechtzeitig also zur Debatte über den Vorstoß der Grünen: Die wollen eine Million Lastenräder für den Privatgebrauch mit jeweils 1.000 Euro Zuschuss fördern. Doch die Reaktionen waren heftig: Das sei "abstrus und weltfremd", so die CDU, die FDP sprach von "Klientelpolitik", in einigen Medien wurden die Lastenräder als abgehobener Lifestyle Kreuzberger Wohlstandsbürger abgetan.
"Das Lastenrad wird gerade hochgradig politisiert", sagt Gruber. "Vielleicht, weil es ein sehr sichtbares Element der Verkehrswende ist." Gruber selbst bemüht sich darum, die Sache nüchtern zu sehen. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist allerdings deutlich: "Wir konnten mithilfe unseres Tracking-Systems Moving Lab sehen, dass zwei von drei Fahrten der Lastenrad-Tester und zwei von drei der gefahrenen Kilometer tatsächlich Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ersetzt haben."
Auf der kurzen Strecke eine Auto-Alternative
Völlig überraschend kommt das nicht: Schon 2016 stellte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in einer Studie fest, dass acht bis 23 Prozent der gewerblichen Fahrten mit dem elektrifizierten Lastenrad statt mit herkömmlichen Pkw zurückgelegt werden können. Auch bei der EU-Kommission ist der Nutzen von Lastenräder bei der Mobilitätswende spätestens seit einer großangelegten Studie 2015 bekannt.
Der jahrelange Praxistest von Grubers Team sollte nun klären, wie praktikabel das in der Realität ist. Teilgenommen haben sowohl kleine Handwerksbetriebe und Baufirmen als auch kommunale Verwaltungen, Pflegedienste, Agenturen und Betriebe anderer Wirtschaftszweige - und zwar sowohl in der Stadt als auch im ländlichen Bereich. "Das Lastenfahrrad hat bis drei Kilometer kaum Fahrzeitnachteile", sagt Gruber. "Wenn jemand viele solcher Einzelfahrten zusammenhängt, dann kommen da schnell Tagesfahrleistungen von 30 bis 40 Kilometer heraus."
Dass die Cargobikes automatisch gewerbliche Fuhrparks erobern, glaubt
Gruber allerdings nicht. Bislang würden Betriebe die Räder eher
zusätzlich zu Autos und Transportern anschaffen. "Aber je mehr Betriebe
ganz selbstverständlich auch in der Fahrzeugwahl überlegen, ob sie einen
Sprinter oder einen Pkw oder ein größeres Lastenrad anschaffen, desto
häufiger werden dann eben solche Entscheidungen auch gegen ein
konventionelles Fahrzeug ausfallen", sagt der Verkehrsforscher.
Abhängig
sei das aber weniger von technischen Verbesserungen an den
Lastenrädern. "Wir haben in unseren Ergebnissen feststellen können, dass
die Nutzer signifikant eher bereit sind, ein Lastenrad statt dem Auto
zu nutzen, wenn eine hochwertige Fahrradinfrastruktur vorhanden ist."
Vor allem fehlende Radwege und Abstellmöglichkeiten seien für
potentielle Lastenradkäufer ein Problem, so Gruber.
"Die Autolobby kriegt auch eine Menge Förderung"
Und natürlich der Preis: Bei mehreren tausend Euro Anschaffungskosten sei eine Förderung absolut sinnvoll, so Gruber. "Aber sie kann auf keinen Fall dauerhaft bestehen bleiben, da müsste sich einfach der Markt von selber weiterentwickeln."
Genau diese Förderung gibt es in Deutschland schon seit Jahren. So hat Berlin in der Vergangenheit bereits die Anschaffung von Lastenrädern für den gewerblichen und privaten Gebrauch bezuschusst. Auch andere Kommunen haben eigene Förderprogramme aufgesetzt, unter anderem Baden-Württemberg, Thüringen und Bremen. Der Bund fördert nun seit März 2021 die Anschaffung von gewerblich genutzten E-Lastenrädern.
"Förderfähig sind 25 Prozent der Ausgaben für die Anschaffung, maximal jedoch 2.500 Euro pro E-Lastenfahrrad bzw. Lastenfahrradanhänger mit E-Antrieb", heißt es dazu vom zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Bislang seien 1.755 Anträge dafür eingegangen, rund 1.600 wurden bewilligt. "Die Bewilligungssumme beläuft sich auf rund 2,37 Millionen Euro", teilt die Behörde auf Nachfrage von rbb|24 mit. "Im Durchschnitt beträgt die Fördersumme 1.471,25 Euro pro E-Lastenfahrrad / E-Lastenanhänger."
"Die Autolobby kriegt auch eine Menge Förderung", sagt Michael Schönstedt. Er ist so etwas wie ein Berliner Lastenrad-Pionier, in seinem Laden Pedalpower werden seit 30 Jahren Cargobikes zusammengebaut. "Als wir angefangen haben, wollte keiner Lastenräder haben", sagt Schönstedt. Erst als der Trend aus Dänemark nach Deutschland überschwappte, sei die Nachfrage gestiegen. Heute hat sein 18-köpfiges Team Aufträge, bei denen schon mal mehrere hundert Räder auf einmal bestellt werden, unter anderem für Baumärkte.
Dass nur Lifestyle-Radler aus hippen Kiezen zugreifen, weist Schönstedt zurück. Natürlich seien da Leute dabei, "die ihre SUVs verkaufen wollen". Aber eben auch Handwerker und Bauarbeiter. "Wir haben einen Elektriker hier, der fährt mit seinem Lastenrad von Lichtenberg bis an den Stadtrand."
Lastenräder im Mobilitätsgesetz
Große Hoffnung haben Lastenrad-Fans wie Michael Schönstedt in das neue Berliner Mobilitätsgesetz gesteckt. Im vorletzten Teil, der eigentlich noch vor der Wahl im September beschlossen werden sollte, spielten die Cargobikes eine Rolle für den geplanten Wandel beim Wirtschaftsverkehr: Als Transportmittel der Wahl für "die letzte Meile", für das bei künftigen Bauvorhaben Platz geschaffen werden sollte.
Doch dieser Teil des Gesetzes scheiterte nun in den Verhandlungen der rot-rot-grünen Koalition. Nicht wegen der Lastenräder, sondern im Streit über die Frage, wieviel Zukunft man dem Auto noch geben will in Berlin.