Verdi bestreikt ab Montag Charité und Vivantes - Eskalation nach Plan

Mi 18.08.21 | 06:10 Uhr | Von Christoph Reinhardt
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Mitarbeiter aus dem medizinischen Pflegebereich stehen am "Tag der Pflege" bei einer Protestveranstaltung der Gewerkschaft verdi am Neptunbrunnen. (Quelle: dpa/Paul Zinken)
Audio: Inforadio | 17.08.2021 | Christoph Reinhardt | Bild: dpa/Paul Zinken

100 Tage hatte Verdi den beiden landeseigenen Klinken Charité und Vivantes gegeben. Die Fronten sind inzwischen allerdings härter als zuvor. Nicht einmal auf eine Notdienstvereinbarung konnten sich die Tarifparteien bisher einigen. Von Christoph Reinhardt

Am 12. Mai hatte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger den Chefs von Charité und Vivantes ein Ultimatum gestellt: 100 Tage für einen Tarifvertrag, sonst wird gestreikt. Erst am Freitag läuft die Frist ab, aber ernsthafte Angebote erwartet Jäger bis dahin nicht mehr: "Momentan bleibt uns gar nichts anderes übrig als zu streiken." Die Arbeitgeberseite sei weiterhin nicht bereit, die Forderungen der Beschäftigten zu erfüllen.

Einerseits will die Gewerkschaft einen so genannten Entlastungs-Tarifvertrag abschließen. Die Idee: Die Pflegekräfte sollen zu hohe Belastungen, wie sie zum Beispiel durch die Unterbesetzung von Schichten entstehen, verbindlich ausgleichen können. Andererseits soll die ungleiche Bezahlung für gleiche Leistungen beendet werden, indem der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD) auch in den Tochterunternehmen angewendet wird.

"Für Vivantes nicht tragbar"

Beides lehnt Vivantes unmissverständlich ab. Verhandlungen über einen Entlastungs-Tarifvertrag schließt das landeseigene Unternehmen schon aus rechtlichen Gründen kategorisch aus. Aber auch in der Sache kommt diese Option nicht für Vivantes infrage. Die Vorgaben eines solchen Tarifvertrags wären aufgrund des bundesweiten Fachkräftemangels nur umsetzbar, wenn Vivantes weniger Patienten behandeln würde. "Diese Einschränkung der Versorgungskapazitäten hätte bei Vivantes einen Abbau von 360 bis 750 Betten zur Folge", rechnet Vivantes in einer Stellungnahme vor und bringt Kündigungen von Ärzten und anderem nichtpflegendem Personal und ins Spiel. "Im Ergebnis würde daraus auch ein Abbau von 870 bis 1.300 Stellen und ein zusätzliches Defizit in Höhe von 25 bis 45 Millionen Euro resultieren."

Ein Schreckgespenst, wiegelt die Gewerkschaft ab und verweist auf das Vorbild der Uniklinik Mainz. Dort hat die Gewerkschaft 2019 einen vergleichbaren Tarifvertrag erkämpft. Das Modell berücksichtigt Umstellungsprobleme mit einer Stufenlösung, sagt der Mainzer Krankenpfleger Sebastian Tensing. Zu einem Verlust an Patienten sei es dort nicht gekommen - stattdessen sei seine Klink für Pflegekräfte attraktiver und habe neues Personal gewinnen können.

Erwartungen nach Corona enttäuscht

Mehr Kolleginnen und Kollegen, das ist für Intensivpflegerin Anja Voigt der entscheidende Faktor. "Supertoll" seien die Bedingungen vor 12 Jahren noch gewesen, als sie im Vivantes-Klinikum Neukölln angefangen habe. Zwei Patienten hatte jede Pflegekraft zu versorgen, sagt sie, heute seien es drei bis vier. Die Streikbereitschaft in ihrem Bereich sei sehr hoch. "Die Coronapandemie hat uns arg mitgespielt, wir waren sehr belastet und haben viel geleistet." Man sei über sich hinausgegangen und habe erwartet, dass nun auch etwas für sie passiere. Wenn nicht auf dem Verhandlungsweg, dann mit den Mitteln des Arbeitskampfes.

Jenny Lange arbeitet ebenfalls in einem Vivantes-Klinikum – sie ist aber nicht direkt angestellt bei der Muttergesellschaft, sondern zum niedrigeren Tarif einer Tochterfirma. Als Mitarbeiterin im Bistro des Klinikums Spandau fühlt sie sich als Mensch zweiter Klasse. "Es darf einfach nicht sein, dass ich in meinem Bereich Kollegen habe, die 800 Euro im Monat mehr bekommen für die gleiche harte Arbeit wie ich - das ist einfach unfair." Aber auch die Angleichung auf das Niveau des öffentlichen Dienstes kann sich die Vivantes-Geschäftsleitung nicht vorstellen: "Mit einer Umsetzung kämen weitere Kosten in Höhe von 35 Millionen Euro pro Jahr dazu. In der Summe würde Vivantes dadurch dauerhaft zu einem Subventionsbetrieb, dessen enorme Defizite vom Land Berlin zu tragen wären."

Streit um Notdienstvereinbarung

Wie verhärtet die Fronten sind, zeigt sich im Tauziehen um eine Notdienstvereinbarung, die bei Streiks in Krankenhäusern üblicherweise die medizinisch erforderliche Versorgung von Patienten gewährleistet. Jahrelang waren schriftliche Vereinbarungen gelebte Praxis, in diesem Jahr gibt es bisher keine Einigung. Streitpunkt: Die Gewerkschaften wollen zwölf komplette Teams von Vivantes-Stationen und sieben weitere in der Charité zum Streik aufrufen.

Die Patienten müssten auf anderen Stationen versorgt werden. Vivantes fordert dagegen eine durchgängige Besetzung aller Stationen auf dem Niveau von Wochenendschichten und hält einen schriftliche Notdienstvereinbarung für erforderlich. "Bei einem Streik ohne entsprechende Vereinbarung wären die Sicherheit und das Wohl von Patient:innen und Bewohner:innen von Seniorenheimen gefährdet." Das weist die Gewerkschaft zurück - selbstverständlich werde jederzeit genügend Personal für medizinisch notwendige Maßnahmen zur Verfügung stehe, versicherte Verdi-Verhandlungsführer Tim Graumann. Auch ohne schriftliche Vereinbarung werde man von Montag bis Mittwoch streiken, das Patientenwohl sei nicht in Gefahr.

Sendung: Inforadio, 17.08.2021, 15:46 Uhr

Beitrag von Christoph Reinhardt

13 Kommentare

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  1. 13.

    Hier stehe ich voll hinter den Pflegekräften. Wie wurden diese von Regierung und Medien hochgelobt - in schweren Coronazeiten (und die werden uns demnächst auch nicht loslassen!)
    Das war es dann auch schon.

    Hier sollten sowohl den Verwaltungen mit ihren überteuerten Angestellten und die unglaublich hohen Gehälter derer Vorgesetzten als auch deren aufgeblasene Verwaltung an sich das Interesse und Augenmerk gelten. Und zwar Dalli.

    Erfolgt hier eine Umverteilung in die Pflege, würden Steuerzahler nicht noch mehr bluten müssen und auf der Palme sein.
    Es würde gerechter zugehen.
    Ansonsten: eine Schraube ohne Ende...wie immer.

  2. 12.

    Das werden diese Herrschaften nicht tun, weder die Lokführer noch die GDL Bosse.
    Könnte nämlich sein, dass es ihnen wie Schuppen von den Augen fällt, dass die 3Jahre ausgebildete Pflege-Fachkraft finanziell UND arbeitsmäßig total mies dastehen.
    Wie unangenehm... Wie schamig... Dann lieber wegschauen...

  3. 11.

    Inzwischen würde ich soweit gehen um zu sagen, die aktuelle Regierung hat das Land nicht mehr im Griff??

  4. 10.

    Ich denke mal, im gesamten Land stimmt was nicht. Das ganze Lohngefüge, alles und überall sehr ungerecht. Aber wenn es um Milliarden geht und uns das Land dann den Mittelfinger zeigt, das geht?? Ich könnte nur noch schreien....

  5. 9.

    Ach endlich wach geworden, wahrscheinlich gerade betroffen. Krankenhäuser egal ob staatlich oder privat sind seit vielen Jahren ein Wirtschaftsunternehmen, seitdem wurden Pflegekräfte immer mehr abgebaut. Dagegen haben die Krankenhäuser mehrfach zusammen mit Ihren Mitarbeitern demonstriert, das hat Sie scheinbar nicht interessiert

  6. 8.

    Manche Dinge müssen ausgefochten werden. Und das ist hier die richtige Stelle. "Aber auch die Angleichung auf das Niveau des öffentlichen Dienstes kann sich die Vivantes-Geschäftsleitung nicht vorstellen" - bedeutet aber auch: jahrelang hat man geringere Löhne gezahlt und so den fraglichen Sinn von Tochterunternehmen "genossen". Die einen wollen das zementieren und die anderen wehren sich. Ob da jetzt Unterstützung von den "Linksgrün*innen" kommt? Sicher nicht, da sind die Liberalen wohl eher auf der Seite der Unterbezahlten...

  7. 7.

    Hier zeigt sich meiner Meinung nach die verlogenheit der Politik. Den Pharma-Konzernen werden Milliarden in den Rachen geworfen und für die Pflegekräfte ist kein Geld da.

    Meine Solidarität gehört den Mitarbeitern. Die Forderungen der Gewerkschaft sind mehr als berechtigt.

  8. 6.

    Der Gesundheitssektor gehört verstaatlicht und in öffentliche Hand. Wie kann es sein ,dass in Einrichtungen wo es um das Wohl, Leben und die Gesundheit von Menschen geht wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt wird und sich die Leiter dieser Einrichtungen großzügige Gehälter genehmigen? Für was bezahlen wir denn Steuern und Krankenversicherung? Wo sind denn diese Gelder geblieben?

  9. 5.

    Es müssen Leute ENTLASSEN werden, wenn man die jetzt angestellten menschenwürdige Zeiten arbeiten lässt und Stationen personell vernünftig aufstellt? Was ist denn das für ein Armutszeugnis, das sich Vivantes da ausstellt? Vielleicht sollte man da mal Fachleute in die oberen Etagen holen...

  10. 4.

    Vivantes müsste von einem starten Investor übernommen werden, das wäre die beste Lösung. Am meisten Geld verschiessst dieses Unternehmen in der Verwaltung, aber das bekommen die wenigsten mit. Im Vivantes Pflegeheim meiner Mutter sind am Wochenende 2 Pflegekräfte für 38 Patienten da, tagsüber - nicht nachts... Da darf wirklich kein Notfall eintreten.

  11. 3.

    Vielleicht sollten die edlen Herrschaften der GDL und ihre Anhänger sich mal in einem Krankenhaus umsehen, dann merken sie vielleicht was.

  12. 2.

    Vivantes möchte keine Notdienstvereinbarung? Das ist Patienten Gefährdung ! Das ist genau die moralische Erpressung mit der der Konzern arbeitet. Man weiß ja dass Menschen die in der Pflege oder im medizinischen Bereich arbeiten ein moralisches Gewissen haben. Die werden die Patienten schon nicht im Stich lassen. Also einfach abwarten was passiert, und sich dann als armer armer Arbeitgeber hinstellen. Man könnte sich natürlich auch auf die Seite der Pflege und mitarbeitenden stellen und sagen ihr habt ihr recht! Lasst uns das zusammen machen und die Politik und die Gesellschaft aufrütteln… aber hier sieht man mal wieder was Vivantes von seinen mitarbeitenden hält, nämlich gar nix! Ich kann nur jedem empfehlen es so zu machen wie ich und diesen Konzern zu verlassen. Mal sehen was Das dann kostet. Und an alle Kollegen… auch die die nicht Gewerkschaft nicht organisiert sind… Verzichtet auf drei Tage Geld und bleib zu Hause! Mal sehen ob Vivantes dann einer Notdienstvereinbarung zustimmt.

  13. 1.

    Wenn Arbeitgeber + Politik seit Jahren nicht genug Personal ranschaffen, dann müssen sie sich nicht wundern.
    Ist mir überhaupt ein Rätsel, dass wir diese Probleme haben, wo wir ja die beste Kanzlerin aller Zeiten im Amt haben.
    Die Logik der Krankenhäuser versteht auch niemand mehr:
    Die drohen damit, Personal zu entlassen???
    Habe ich das richtig verstanden?
    Auf jeden Fall wünsche ich viel Erfolg beim Streik!
    Mal sehen, ob dieses ganze Klatsch-Theater 2020 nur Show war, um sich evtl. Moralisch gut zu fühlen???

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