Vivantes und Charité - Klinikbeschäftigte stimmen für unbefristeten Streik - Vivantes legt Angebot vor

Die Verdi-Gewerkschaftsmitglieder bei Charité und Vivantes fordern Entlastung von Pflegekräften. Nun stimmten die Mitglieder für einen unbefristeten Arbeitskampf, der ab Donnerstag möglich wäre. Unterdessen legt Vivantes ein neues Modell vor.
Der Berliner Klinikkonzern Vivantes hat am Montag Verdi ein Angebot vorgelegt, mit dem Belastungen für Pfleger reduziert werden sollen.
Das die Gewerkschaft Verdi hatte am Montag in einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass die Gewerkschaftsmitglieder bei Charité und Vivantes sowie in den Vivantes-Tochtergesellschaften in einer Urabstimmung mit überwältigender Mehrheit für einen unbefristeten Arbeitskampf abgestimmt haben.
Vivantes: Belastung für Pflegekräfte soll begrenzt werden
Das Angebot von Vivantes sehe vor, dass der Leistungsumfang der Krankenhäuser sich nach dem vorhandenen Personal richte, teilte eine Sprecherin mit. Ziel sei es, die Versorgungsqualität zu verbessern und gleichzeitig die Belastung für Pflegekräfte zu begrenzen. Der Vivantes-Vorschlag sieht auch eine deutlich flexiblere Arbeitseinteilung vor. Das Modell müsse aber zunächst getestet werden.
"Im bestehenden Gesundheitssystem stellt uns das allerdings vor enorme wirtschaftliche Herausforderungen. Daher werden wir gemeinsam mit Verdi Finanzierungsmöglichkeiten für dieses Vorhaben finden müssen", erklärte Personalgeschäftsführerin Dorothea Schmidt. Am Mittwoch sind weitere Gespräche mit Vivantes-Vertretern geplant. Für Mitarbeiter der Tochtergesellschaften erwarte Verdi bis Donnerstag ein Angebot der Geschäftsführung, sagte Verhandlungsführer Ivo Garbe. Es sei ein großer Erfolg, dass wieder mit dem Arbeitgeber verhandelt werde.
Hohe Streikbereitschaft
Mit dem Angebot reagiert Vivantes auf die hohe Streikbereitschaft der Klinikmitarbeiter: Mehr als 98 Prozent waren für den unbefristeten Streik. In der Charité stimmten 97,8 Prozent der teilnehmenden Verdi-Mitglieder für den Ausstand, in den Vivantes-Kliniken 98,5 Prozent und in den Vivantes-Tochterfirmen für Reinigung, Transporte und Küche 98,8 Prozent.
Verdi plant Streik ab Donnerstag
Es solle zeitnah gestreikt werden, voraussichtlich schon ab Donnerstag, sagte Meike Jäger, Leiterin des Verdi-Fachbereichs Gesundheit und Soziales in Berlin und Brandenburg. Dieser Tag "sei bei diesem Erzwingungsstreik aber nicht in Stein gemeißelt", fügte die Verhandlungsführerin in der Tarifauseinandersetzung hinzu. Der Streik sei unbefristet und solle andauern, bis ein Ergebnis vorliege. Gewarnt habe man genug. Zunächst müsse man sich aber auf Notdienst-Vereinbarungen verständigen.
Ein Erzwingungsstreik ist das letzte Mittel der Gewerkschaften in einem Tarifkonflikt. Deshalb muss gewährleistet sein, dass er auch von der Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder getragen wird. Um das sicherzustellen, geht einem solchen Streik eine Urabstimmung voraus. Erst danach spricht man nicht mehr von einem Warnstreik. Im Vergleich dazu ist der Erzwingungsstreik unbefristet.
Ergebnis der Urabstimmung war erwartet worden
Das Ergebnis war erwartet worden, denn obwohl es in der letzten Woche Fortschritte bei den Gesprächen zwischen Gewerkschaft und Kliniken gegeben hatte, sind die beiden Seiten noch weit entfernt von einer Einigung. Verdi geht davon aus, dass sich bis zu 2.000 Gewerkschaftsmitglieder am Streik beteiligen werden. Die Unternehmen werden den Arbeitskampf "deutlich spüren", so Jäger. Sie appellierte an die Politik, dass sie in der Tarifauseinandersetzung auf die Krankenhaus-Verantwortlichen einwirken müsse.
Genaue Angaben zur Zahl der Verdi-Mitglieder veröffentliche die Gewerkschaft nicht. Es habe aber im Zuge der Warnstreiks einen deutlichen Zuwachs von über 1.800 Mitgliedern in den Krankenhäusern gegeben.
Vivantes will Verhandlung bei Streik stoppen
Verdi hatte zur Abstimmung aufgerufen, nachdem die siebte Verhandlungsrunde mit der Charité und Vivantes abgebrochen wurde. Weitere Verhandlungen sollen in dieser Woche stattfinden. Mit den Vivantes-Verantwortlichen seien bereits zwei Termine vereinbart worden. Der Vorstand der Charité bedauert die angekündigten Streikmaßnahmen, wie ein Sprecher sagte.
Kollatz "froh" über Gesprächsangebot mit Gewerkschaft
Im Falle eines Streiks will der landeseigene Vivantes-Konzern weitere Verhandlungen aber aussetzen. Eine nachhaltige Lösung im Sinne der Gewerkschaftsforderungen könne zudem nur gemeinsam mit der Politik gefunden werden. Der Berliner Finanzsenator und Vivantes-Aufsichtsratschef Matthias Kollatz (SPD) reagierte und sagte im Inforadio des rbb, er sei froh, dass es ein Gesprächsangebot an die Gewerkschaft gebe. Zwar hätten die Beschäftigten das Recht zu streiken, er hoffe nun aber auf Verhandlungen - das sei immer besser.
Es gebe aber ein klares Gesprächsangebot von Vivantes, so Kollatz: "Der wichtigste Punkt, [...] um einen unbefristeten Streik zu verhindern, ist, dass die, die ihn ausrufen - nämlich Verdi - mit der Geschäftsleitung - das ist Vivantes - in den dafür vorgesehenen Tarifgesprächen nach einer gestuften Lösung suchen." Darüber werde weder im Parlament noch im Senat entschieden, sondern in der Tarifkommission, so Kollatz weiter.
Planung bei Charité noch ungeklärt
Im Fall der Charité ist die weitere Planung laut Jäger noch ungeklärt. "Wir sind weiterhin jederzeit bereit, die Gespräche fortzusetzen", erklärte ein Charité-Sprecher. In der vergangenen Woche sei "ein detailliertes, attraktives Angebot mit vielen unternehmensspezifischen Leistungen" vorgelegt worden, so der Sprecher weiter. Die Gewerkschaft habe ihre Forderungen aber noch nicht ausreichend konkretisiert. "Uns geht es nicht um den Streik, sondern um den Tarifvertrag", so Jäger weiter. "Wir sind kompromissbereit", ergänzte Ivo Garbe, Verdi-Verhandlungsführer für die Vivantes-Tochtergesellschaften. Es müsse aber eine Perspektive geben.
Verdi: Streiks als Notwehr zu verstehen
Die Klinikbeschäftigten fordern einen Tarifvertrag mit deutlichen Entlastungen. Er soll für jede Station Normalbesetzungen definieren und einen Belastungsausgleich in Form von Freizeit oder Geld vorschreiben, falls diese unterlaufen werden. Bisher gebe es für Krankenhäuser keine gesetzlichen Vorschriften, die eine bedarfsgerechte Personalausstattung festlegten, so Sylvia Bühler, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. Bisher seien Stationen und Bereiche oft dramatisch unterbesetzt. Daher sei der Streik als "Notwehr" der Beschäftigten zu verstehen, so Bühler weiter.
Sendung: Abendschau, 06.09.2021, 19:30 Uhr