Tarifkonflikt an Kliniken - Vivantes- und Charité-Mitarbeiter starten unbefristeten Streik

An den Berliner Kliniken von Charité und Vivantes hat am Donnerstag der unbefristete Streik begonnen. Laut Verdi ist die Sicherheit der Patienten nicht in Gefahr. Das sieht die Vivantes-Leitung anders und äußert Hoffnung auf neue Gespräche für kommende Woche.
Hunderte Pflegekräfte und andere Beschäftigte der Berliner Kliniken von Charité und Vivantes sind wie angekündigt seit dem frühen Donnerstagmorgen in einen unbefristeten Streik getreten. Unter Berücksichtigung der Bettensituation wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach und nach aus der Frühschicht geholt, erklärte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger. Es gebe nach wie vor keine Notdienstvereinbarung mit den beiden Einrichtungen.
Zu Beginn der Frühschicht beteiligten sich nach Verdi-Angaben 750 Beschäftigte am Streik, bis zum Mittag kamen mehr als 250 Streikende hinzu. Danach zog ein Demonstrationszug zur Gesundheitsverwaltung. Daran nahmen nach Angaben von Verdi bis zu 1.000 Menschen teil.
Es seien "starke Auswirkungen" auf den OP-Plan zu spüren, hieß es weiter. Der Streik solle in den kommenden Tagen noch intensiviert werden. Die Sicherheit und Gesundheit von Patienten sei aber nicht bedroht.
Auch die Mitarbeiter der Vivantes-Tochtergesellschaften für Reinigung, Transport und Küche sind zum Streik aufgerufen; allerdings nicht unbefristet - sondern erstmal nur am Donnerstag und Freitag.
Kliniken stellen Notfallversorgung sicher
Jäger erinnerte daran, dass die Tarifforderungen schon seit dem 12. Mai auf dem Tisch lägen. Die Beschäftigten hätten den Streik gerne vermieden. Sie seien aber nicht länger bereit, sich hinhalten zu lassen.
Die Charité twitterte [twitter.de] vor Beginn des Streiks, dass die Notfallversorgung sichergestellt sei, aber mit längeren Wartezeiten zu rechnen sei. "In weniger dringlichen Fällen" sollten Erkrankte besser die Notaufnahmen anderer Krankenhäuser aufsuchen, hieß es weiter. Vivantes teilte ebenso auf Twitter [twitter.de] mit, dass "lebensbedrohliche Notfälle" weiter versorgt werden. Über abgesagte Operationen und Termine würden Patientinnen und Patienten direkt informiert.
Vivantes-Leitung sorgt sich um das Patientenwohl
Der Vivantes-Konzern warnt davor, dass der unbefristete Streik der Gewerkschaft Verdi in den Krankenhäusern akut Menschenleben gefährdet. Bei einer Pressekonferenz sprach Vivantes-Chef Johannes Danckert am Donnerstag von einem nie dagewesenen Ausmaß des Streiks und kritisierte, dass kein Streik-Ende absehbar sei. In den nächsten Tagen sollten bei Vivantes fast 1.000 Betten bestreikt werden, so Danckert, man versuche die Notfallversorgung aufrecht zu erhalten, könne das aber nicht garantieren.
Auch Ulrich Adam, Ärztlicher Direktor des Humboldt-Klinikums in Berlin-Reinickendorf, warnte vor Streikfolgen für die Patientinnen und Patienten. Sein Haus verfügt über 650 Betten. "Der Streik wird uns in schwerwiegender Weise treffen: 230 Betten sollen komplett stillgelegt werden", sagte er auf der Pressekonferenz am Donnerstag. Verlegungen seien in diesem Ausmaß "kaum bewältigbar". Bei der Versorgung der Tumor-Patienten sieht Adam bei den OP-Kapazitäten große Probleme: Sie würden "nicht annähernd ausreichen, um die Patienten zu versorgen."
Vivantes-Leitung sieht landesweiten Fachkräftemangel als Ursache für die Lage
Danckert, sagte dem rbb, er rechne damit, dass beide Seiten in der nächsten Woche zu neuen Gesprächen zusammenkämen. Die hohe Belasung der Fachkräfte in den Kliniken des Unternehmens begründete Danckert in der rbb-Abendschau mit dem Fachkräftemangel und der deutschlandweit herrschenden Personalnotlage in diesem Bereich.
Personalmanagerin bietet Tarifvertrag auf Probe an
Dorothea Schmidt, zuständig bei Vivantes für das Personalmanagement, betonte, man habe so wie Verdi den Wunsch, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. "Wir wollen, dass Belastung gar nicht erst entsteht, das ist der Kern unseres Angebots", so Schmidt.
Bei den Arbeitsbedingungen wolle man gemeinsam mit Verdi Verbesserungen herbeiführen. Dafür wolle man mit Verdi einen Tarifvertrag vereinbaren, zunächst für drei Jahre zur Erprobung. Dieser Tarifvertrag solle wissenschaftlich begleitet werden. Man sei weiterhin gesprächsbereit, so Schmidt. Bewegung könne es aber nur am Verhandlungstisch geben.
In den Vivantes-Tochtergesellschaften hatten die Arbeitgeber zum wiederholten Male einen bereits vereinbarten Verhandlungstermin platzen lassen. Ursprünglich wollten beide Seiten nach Angaben von Verdi am Donnerstag einen erneuten Einigungsversuch unternehmen.
Mehrheit stimmte für unbefristeten Arbeitskampf
Verdi hatte am Montag mitgeteilt, dass die Gewerkschaftsmitglieder bei Charité und Vivantes sowie in den Vivantes-Tochtergesellschaften in einer Urabstimmung mit überwältigender Mehrheit für einen unbefristeten Arbeitskampf abgestimmt haben. Verdi wolle eine einvernehmliche Lösung erzielen und sei jederzeit gesprächsbereit, erklärte Jäger. Die Vorschläge gingen zwar in die richtige Richtung. Zu vieles bleibe aber unkonkret.
Der Donnerstag war als möglicher Startzeitpunkt des "Erzwingungsstreiks" direkt nach der Verkündung genannt worden. Der Streik sei unbefristet und solle den Druck erhöhen, bis ein Ergebnis vorliegt.
Vivantes hatte daraufhin angekündigt, dass die Gespräche mit Streikbeginn gestoppt werden. Auch ein Charité-Sprecher hatte angekündigt, dass während eines Streiks nicht verhandelt werde. Die stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiterin Susanne Feldkötter sieht derweil die Landespolitik in der Pflicht, die Klinikmanager zu einem Tarifkompromiss zu bewegen.
Tarifvertrag und Entlastungen gefordert
Die Klinikbeschäftigten fordern einen Tarifvertrag mit deutlichen Entlastungen. Er soll für jede Station Normalbesetzungen definieren und einen Belastungsausgleich in Form von Freizeit oder Geld vorschreiben, falls diese unterlaufen werden. Bisher gebe es für Krankenhäuser keine gesetzlichen Vorschriften, die eine bedarfsgerechte Personalausstattung festlegten, so Sylvia Bühler, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. Stationen und Bereiche der Kliniken seien oft dramatisch unterbesetzt. Daher sei der Streik als "Notwehr" der Beschäftigten zu verstehen.
Sendung: Abendschau, 09.09.2021, 19:30 Uhr