Fachkräftemangel - Wie eine Berliner Initiative Migranten für die IT-Branche qualifiziert
Die einen brauchen Fachkräfte, die anderen Jobs. Ein bundesweit einmaliges Berliner Projekt für Geflüchtete will nun beide zusammenbringen: "Techstart" qualifiziert Migranten und Migrantinnen für Jobs in der Digitalwirtschaft. Von Carmen Gräf
Osama AlFaitouri hat die angenehme Ausstrahlung von Menschen, die aufgehen in dem, was sie tun. Bisher hat der gebürtige Libyer Filme gemacht, nun bastelt der 38-Jährige an einer Anwendung fürs Smartphone. "Ich versuche, eine App zu machen für Camping-Plätze rund um Berlin, aber auch für Camping-Zubehör wie Zelte", erzählt er.
Personalmangel bei den einen, Jobsuche bei den anderen
Programmierer:innen, Webdesigner:innen, Servicetechniker:innen werden händeringend gesucht in Berlin, sowohl von etablierten Unternehmen als auch von Start-ups. Migranten und Migrantinnen haben es schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Personalmangel bei den einen, Jobsuche bei den Anderen – das Berliner Projekt Techstart reagiert auf beide Herausforderungen.
Auch Praktika bei der Deutschen Bahn sind möglich
Ein halbes Jahr lang werden die Teilnehmenden fit gemacht mit theoretischen Kenntnissen und Fähigkeiten aus dem IT-Bereich. Sie können wählen zwischen den Schwerpunkten Softwareentwicklung, Design und Produktmanagement, aber auch Ausbildungsmodule in allen drei Bereichen nutzen. Es gibt coronabedingt noch wenig Präsenzunterricht, sondern viele Online-Kurse. Danach absolvieren die Teilnehmenden ein Praktikum bei einem Unternehmen. Darunter sind Start-ups wie etwa Erblotse.de. Aber auch Big Player wie die Deutsche Bahn AG und die Deutsche Kreditbank AG haben bereits Interesse angemeldet, die Teilnehmenden kennenzulernen und Praktika anzubieten.
Teilnahme ist kostenlos, gefragt ist echtes Interesse
Anfang September ist der erste Lehrgang mit 22 Teilnehmenden gestartet, darunter auch Osama AlFaitouri. Frauen und Männer sind gleich stark vertreten. Etwa dreimal so viele Interessent:innen hatten sich beworben. Sie stammen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Somalia, Nigeria, Pakistan, Thailand, Argentinien, Brasilien, Frankreich und Griechenland. "Es sind vor allem Leute aus der IT-Branche", erklärt die Projektreferentin Antonia Brouwers, "aber auch solche, die keine Vorkenntnisse haben."
Die Teilnahme an Techstart ist kostenlos, doch Neugier und Wissensdurst solle man mitbringen sowie echtes Interesse an einem Berufseinstieg in der Digitalwirtschaft. Außerdem eine gültige Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis sowie gute bis sehr gute Englischkenntnisse.
"Wir öffnen Türen und wissen nicht, was sich dahinter verbirgt"
Osama AlFaitouri kam 2016 nach Deutschland. In Libyen hatte er zunächst Wirtschaft studiert und während des Arabischen Frühlings Journalisten und internationale Medien unterstützt. Nach einem Film- und Journalismus-Studium wurde er selbst Journalist und Kameramann und arbeitete für internationale Produktionen. Sein Dokumentarfilm "Die Minenräumer von Bengasi" wurde 2018 bei Arte ausgestrahlt.
Für solche Filme ist er viel gereist und hat immer wieder sein Leben riskiert. "Ich liebe meinen Job, aber ich weiß, dass er gefährlich ist," sagt er. Früher war er oft vier bis sechs Wochen am Stück unterwegs. "Ich dachte, ein Job am Schreibtisch sei nichts für mich. Nachdem ich nun eine Familie habe, verschieben sich die Prioritäten. Ich möchte für sie da sein, Zeit mit ihnen verbringen." Außerdem habe die Corona-Pandemie vieles verändert. Das Filmemachen sei noch komplizierter als vorher.
Nach seiner Ankunft in Deutschland lernte er in Berlin seine Schweizer Frau kennen. Ihre gemeinsame Tochter ist heute ein Jahr und acht Monate alt. Sie gehört zur Generation der Digital Natives, die kaum Berührungsängste mit der digitalen Technologie haben werden.
Osama AlFaitouri ist zwar kein Technikbanause, doch das Programmieren, das er bei Techstart lernt, ist für ihn absolutes Neuland. Mindestens 25 Wochenstunden sollte jeder Teilnehmende investieren. Bei ihm sind es deutlich mehr. "Ich hänge mich da richtig rein", sagt er, "und mache zurzeit nichts anderes."
Er hofft danach auf einen der gefragten IT-Jobs. Ein Branchenwechsel und kompletter beruflicher Neustart mit fast 40 – davor schrecken viele zurück. "Für uns Migranten ist das nicht ungewöhnlich, sondern eine Situation, die wir oft genug erlebt haben", sagt Osama AlFaitouri. "Wir öffnen Türen und wissen nicht, was sich dahinter verbirgt."
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