Interview | Ines Rutschmann von Finanztip - Energieexpertin: Auf Mieter kommen Mehrkosten von bis zu 44 Prozent zu

Vor allem gestiegene Energiepreise haben die Inflation in Deutschland auf den höchsten Wert seit 1993 getrieben. Worauf sich jetzt Mieter, Hausbesitzer und Autofahrer einstellen müssen, erklärt die Energieexpertin des Verbraucherportals Finanztip.
rbb|24: Frau Rutschmann, das Leben in Deutschland wird so schnell teurer wie zuletzt vor 28 Jahren - im September ist die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 4,1 Prozent in die Höhe geschnellt. Das liegt vor allem an den Energiepreisen, von einem sogenannten Energiepreisschock ist immer wieder die Rede. Finden Sie diesen Begriff angemessen – oder schürt er zu Unrecht Sorgen unter den Verbrauchern?
Ines Rutschmann: Der Begriff ist aus meiner Sicht falsch und schlecht gewählt, weil er suggeriert, dass die Preise sprunghaft gestiegen sind, das ist aber nicht der Fall. Die Entwicklung hat sich über mehrere Monate hingezogen. Grundsätzlich muss man sagen, dass die Preise für Erdöl und Gas jetzt nicht auf einem Allzeithoch sind, sondern wir haben hier wieder das Preisniveau von 2014 beziehungsweise 2015 erreicht. Vielleicht haben wir uns die vergangenen Jahre zu schnell daran gewöhnt, dass Gas und Öl billig sind, und jetzt kehren wir zum Preisniveau von vor sechs oder sieben Jahren zurück. Vor zehn Jahren lagen die Öl- und Gaspreise sogar noch höher.
Ich gehe davon aus, dass Öl und Gas nicht dauerhaft auf diesem aktuellen Niveau bleiben, sie werden in den nächsten Monaten auch wieder fallen. Anlass zu Sorgen können die Preise dagegen schon sein, natürlich vor allem bei Menschen mit niedrigen Einkommen, bei denen Energiekosten besonders stark zu Buche schlagen.
Aber wie kommt es zu diesen Preissteigerungen? Und welche Rolle spielt dabei die Corona-Pandemie?
Corona spielt dabei eine wichtige Rolle. Im Frühling 2020 ist die Wirtschaft eingebrochen, die Nachfrage nach den Brennstoffen ist auch zurückgegangen, auch beim Strom übrigens. Das hatte die Folge, dass die Preise an der Börse für Gas und Rohöl auf ein Rekordtief gefallen sind. Beim Öl kam dann noch ein Streit zwischen den Förderländern Russland und Saudi-Arabien hinzu, wodurch Rohöl auf den niedrigsten Preis der vergangenen zehn Jahre fiel.
Die niedrigeren Kosten schlugen beim Heizöl direkt durch und erreichten im Herbst 2020 einen Tiefstand. Bei vielen Gaskunden kamen die niedrigeren Kosten im zweiten Halbjahr 2020 an, die Preise sanken. Das heißt gleichzeitig, wenn wir die aktuellen Verbraucherpreise mit denen vor einem Jahr vergleichen, müssen wir bedenken, dass die Preise vor einem Jahr sehr niedrig waren.
Die Preise für die Beschaffung von Rohöl und Erdgas haben dann ab Herbst 2020 wieder langsam angezogen und sind nun deutlich teurer. Hinzu kommt, dass seit Januar wieder die Mehrwertsteuer von 19 Prozent gilt und der CO2-Preis auf Heizöl und Erdgas gestiegen ist.
Und wie geht es jetzt weiter? Wann können die Verbraucher wieder mit sinkenden Energiekosten rechnen?
Beim Gaspreis dürfte es ab 2022 Entspannung geben. Lieferanten, die jetzt Terminkontrakte eingehen, zahlen nächstes Jahr deutlich weniger. Bei den Gaslieferanten ist dabei entscheidend, wie langfristig sie sich eingedeckt haben. Wer voriges Jahr ein großen Teil Gas für dieses Jahr eingekauft hat, ist von den aktuell hohen Preisen weniger betroffen.
Beim Rohöl wird vermutlich die OPEC, zu der die größten Förderländer gehören, schon ab November höhere Fördermengen beschließen. Damit würde mehr Öl auf den Markt kommen und der Preis sollte dann erwartungsgemäß auch wieder fallen.
Berlin ist auch die Hauptstadt der Mieter. Ab wann werden diese hohen Energiekosten bei den Mietern ankommen?
Die meisten Mieter spüren von den höheren Kosten noch nichts, die Heizkostenabrechnung für dieses Jahr kommt ja erst 2022. Für das Jahr 2020 werden sie eher eine Gutschrift erhalten, wenn sich ihr Verbrauch im Vergleich zu 2019 nicht vergrößert hat.
Für dieses Jahr hat die Beratungsgesellschaft co2online gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund vor wenigen Tagen den Heizspiegel [heizspiegel.de] herausgegeben, und der hat errechnet, dass auf Mieter mit Gasheizung Mehrkosten von 13 Prozent zukommen, auf Mieter mit Fernwärme 8 Prozent und auf Mieter mit Ölheizung sogar 44 Prozent höhere Kosten zukommen können. Der Heizölpreis ist aber auch am stärksten gestiegen, weil er prozentual auch am stärksten von den Beschaffungskosten abhängt.
Die hohen Gaspreise betreffen übrigens nicht nur Bürger mit Gasheizung, sondern auch jene, die mit Fernwärme beliefert werden. Vattenfall nutzt beispielsweise Gas, um Wasser zu heizen und Kunden zu beliefern. Die Preise für Fernwärme dürften sich deshalb auch erhöhen.
Und was ist mit den Hausbesitzern? Wann sollte man jetzt am besten Öl kaufen, falls der Tank nicht mehr ausreichend für den Winter gefüllt ist?
Hausbesitzer zahlen ja direkt für ihre Brennstoffe, es kommt also ganz darauf an, wann sie sich ihr Öl kaufen. Wer jetzt Heizöl bestellt, zahlt doppelt so viel wie vor einem Jahr. Im Moment sollte man also lieber warten und die Preise im Auge behalten. Möglicherweise haben wir jetzt aber die Preisspitze auch erreicht.
Wer im Eigenheim eine Gasheizung hat, hat vielleicht schon ein Schreiben von seinem Anbieter mit angekündigten höheren Preisen bekommen. Ich habe schon von Preiserhöhungen von 70 oder 80 Prozent gehört, das waren dann aber Tarife, die zuvor schwer kostendeckend waren. Es kommt immer darauf an, auf welchem Niveau der Preis vorher war und welche Mehrkosten der Anbieter jetzt hat.
Ein Blick in die Zukunft, Stichwort Klimawandel: Die Ölheizung ist ein Auslaufmodell, doch wie geht es weiter? Welche Heizvariante empfehlen Sie?
Zunächst einmal besteht ja die Pflicht, bestehende Gas- und Ölheizungen nach 30 Betriebsjahren auszubauen, wenn es sich um einen Konstant-Temperaturkessel handelt. Es sei denn der Hausbesitzer wohnt mindestens seit Februar 2002 im eigene Haus, dann darf er diesen Kessel noch länger betreiben. Ab 2026 darf dann keine neue Ölheizung mehr eingebaut werden. Wer jetzt noch mit Öl heizt und modernisieren muss, kann nur noch bis 2026 eine neue Heizung einbauen, danach nur noch mit besonderer Genehmigung, wenn er nachweisen kann, dass er nicht an alternative Energien kommt.
Aber auch wenn man jetzt noch Ölheizungen einbauen kann, sollten sich Betroffene das gut überlegen, denn zum einen gibt es für alternative Heizungen mit erneuerbaren Energien hohe staatliche Zuschüsse, also wenn man per Wärmepumpe, Biomasseheizkessel oder mit einer solarthermischen Anlage heizt. Wobei solarthermische Anlagen nicht das komplette Jahr über heizen können. Zum anderen werden die Kosten für Heizöl nicht mehr auf das Niveau von 2020 oder 2019 fallen. Seit Anfang 2021 wird der CO2-Preis auf Heizöl erhoben, diese Kosten erhöhen sich jedes Jahr bis 2026. Wie es nach 2027 aussieht, weiß man noch nicht, dann wird sich der Preis am Markt bilden und kann dann noch mal deutlich ansteigen.
Beim Gaspreis sehe ich eine noch viel höhere Kostensteigerung bis 2030, spätestens 2040. Die Gasbranche will vom Erdgas kommen und "Grünes Gas" liefern, dafür ist ein erheblicher Umbau der Infrastruktur nötig, um die Gewinnung von grünem Wasserstoff und grünem Methan zu ermöglichen. Hier erwarte ich mindestens eine Verdoppelung der Gaspreise.
Kommen wir zum Schluss noch zu den Spritpreisen an den Zapfsäulen. Lässt sich beziffern, um wieviel Prozent hier die Preise in den vergangenen Monaten gewachsen sind? Und werden die Preise an den Tankstellen jetzt dauerhaft so hoch bleiben?
Die Spritpreise sind seit Anfang des Jahres um rund 20 Prozent gestiegen, weil Rohöl teurer geworden ist. Diesel kostet aktuell rund 1,45 Euro pro Liter, Benzin 1,60 Euro pro Liter. Die Preise werden auch wieder sinken, wenn sich die Fördermenge für Rohöl erhöht und infolgedessen der Preis für Rohöl fällt. Langfristig belastet aber der CO2-Preis Diesel und Benzin immer stärker. Die Spritpreise, die wir 2020 hatten, werden sich höchstwahrscheinlich nicht mehr einstellen.
Frau Rutschmann, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Frank Preiss, rbb|24
Sendung: Inforadio, 1.10.2021, 7:51 Uhr