Steigende Lebensmittelpreise - "Ich brauche im Monat 50 Euro mehr als vor einem Jahr"

Die Berlinerin Romy Puhlmann muss mit wenigen Hundert Euro im Monat auskommen. Durch die Corona-Pandemie stiegen die Preise rasant. Puhlmanns fünfköpfige Familie kann sich nun eine gesunde Ernährung kaum mehr leisten. Von Thomas Rostek
Romy Puhlmann steht mit dem großen, dunkelroten Kastenwagen ihrer Mutter in der Nähe eines Discounters in Lichtenberg. Es ist 8:30 Uhr und fast schon zu spät, um für ihre fünfköpfige Familie einkaufen zu gehen. Normalerweise stehe sie schon vor Ladenöffnung vor dem Geschäft, weil es früh morgens die besten Angebote gäbe, sagt sie.
Die vierfache Mutter lebt von Hartz IV und muss ganz genau kalkulieren, was sie ausgeben kann und was nicht. Sie ist alleinerziehend und aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, ihren Job auszuüben. Abzüglich aller Fixkosten hat Romy Puhlmann rund 500 Euro monatlich für sich und ihre Familie zur Verfügung.
Die steigenden Verbraucherpreise machen der Familie große Sorgen. "Ich brauche im Monat ungefähr 50 Euro mehr, als ich vor einem Jahr gebraucht habe", sagt sie und blättert ein letztes Mal im Auto durch die Prospekte und schreibt die letzten Punkte ihrer Einkaufsliste auf.
16 Euro bleiben für den Rest der Woche
Die Preise für frische Lebensmittel sind im vergangenen Jahr vor allem wegen der Corona-Pandemie deutlich gestiegen. Ob Äpfel, Strauchtomaten, Radieschen oder ein Sack Kartoffeln – viele Obst- und Gemüsesorten sind teurer geworden. Durchschnittlich neun Prozent mehr müssen Kund:innen heute im Vergleich zum Sommer 2020 beispielsweise für Gemüse zahlen, so eine Analyse der Agrar- und Informationsgesellschaft (AMI).
Für Familien, die mit wenig Geld auskommen müssen, wird das zum Problem. Auf dem Weg zum Discounter erzählt Romy Puhlmann, dass sie nicht noch mehr am Essen für die Kinder einsparen könne. Deshalb bleiben mittlerweile andere Dinge auf der Strecke: "Wir haben die Musikschule meiner Tochter eingespart. Wir haben uns als Familie zusammengesetzt und gesagt: 'Okay, wir müssen irgendwas einsparen.' Dann hat meine Tochter gesagt, dass sie darauf verzichtet." Das habe ihr als Mutter leidgetan, aber irgendwo müsse man Abstriche machen.
Steigende Lebenshaltungskosten treffen vor allem Geringverdiener
Dass die steigenden Lebenshaltungskosten besonders die Geringverdiener im Verhältnis deutlich schwerer treffen, davor warnen auch Sozial- und Wohlfahrtsverbände. Damit sich alle Menschen eine gesunde Ernährung leisten können, sehen sie die Politik in der Verantwortung: "Damit es bei der Versorgung mit so wichtigen Lebensmitteln wie Obst und Gemüse nicht zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft kommt, müssen die Hartz-IV-Regelsätze angehoben werden. Die aktuellen Sätze sind zu gering, um den tatsächlichen Grundbedarf erwerbsloser Menschen zu decken", sagt Dr. Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin.
Die Arche greift der Familie unter die Arme
Nach rund einer halben Stunde kehrt Romy Puhlmann mit einem vollen Einkaufswagen zurück auf den Parkplatz. Fast 24 Euro hat sie ausgegeben, für die restliche Woche bleiben ihr also noch 16 Euro. "Ich hatte beim Obst und Gemüse heute Glück, weil einige Sachen reduziert waren. Es gab reduziertes Suppengrün und reduzierte Karotten. Und dann gab es zwei verschiedene Salate im Angebot, deshalb habe ich die Tomaten weggelassen. Die waren mir zu teuer, die kosteten drei Euro."
Obwohl mehrere Tüten und ein voller Weidekorb auf der Rückbank des Autos stehen, wird der Einkauf kaum bis zum Ende Woche reichen, glaubt Romy Puhlmann. Jetzt müsse sie die Lebensmittel schnell nach Hause bringen, weil sie am frühen Nachmittag ihre zehnjährige Tochter Lilli von der Schule abholen muss.
Die Fünftklässlerin hat immer montags nach der Schule die Möglichkeit, in die Arche zu gehen. Das Kinder- und Jugendhilfswerk liegt direkt an der nördöstlichen Stadtgrenze von Berlin im Bezirk Hellersdorf. Damit das Mädchen dort Hausaufgaben machen, mit anderen Kindern spielen und eine warme Mahlzeit bekommen kann, muss Romy Puhlmann fast neun Kilometer mit dem roten Kleinbus über die volle Landsberger Allee fahren. Stop and Go – für Mutter und Tochter ist das kein Problem. Sie drehen das Radio laut auf und singen mitten im Stau gemeinsam ihre Lieblingslieder.
Steigen die Preise weiter, sind Lebensmittelspenden ein Muss
Bernd Siggelkow ist Gründer der Berliner Arche. Er kennt Familie Puhlmann schon länger. Als Mutter und Tochter am Eingang seines Büros ankommen, hat er gute Nachrichten. Heute kann er Romy Puhlmann eine große Lebensmittelspende mit nach Hause geben.
Im Lager der Arche stapeln sich Dutzende Pakete Windeln, etliche Konserven, Einmachgläser und auf einem kleinen Tisch liegen mehrere Plastikboxen mit frischen Lebensmitteln. Auf zwei von ihnen liegen rote Zettel mit der Aufschrift "Puhlmann". Für die Mutter sind die Kisten eine große Hilfe: "Es sind vor allem Sachen dabei, wo ich heute davorgestanden habe und sie mir eben nicht in den Wagen gelegt habe, zum Beispiel Orangen oder Bananen, weil sie mir heute Morgen einfach zu teuer waren."
Für Bernd Siggelkow sei seine Hilfe für Kinder, Jugendliche und deren Familien eine traurige Lebensaufgabe, sagt er. "Eigentlich möchte ich nicht, dass es eine Arche geben muss. Ich würde gerne schließen, wenn es keine Kinderarmut mehr gäbe. Wir machen hier eine staatliche Pflichtaufgabe, aber der Staat versagt in vielen Bereichen." Die steigenden Verbraucherpreise seien eine Katastrophe für die Menschen, die sich sowieso schon abgehängt fühlten. "Wir haben einen Hartz-IV-Satz, der reicht nicht mal aus, um Kinder wirklich gesund zu ernähren."
Romy Puhlmann ist dankbar für die Hilfe von Siggelkow und seiner Arche. Sollten die Lebensmittelpreise aber weiter ansteigen, wird sie wohl noch stärker auf Lebensmittelspenden angewiesen sein: "Das würde für uns bedeuten, dass wir in den sauren Apfel beißen und uns auch wieder bei der Tafel anstellen müssten."
Sendung: Inforadio, 06.10.2021, 11:40 Uhr