Interview | Chef der Gamesweek Berlin - "Arm, aber sexy - das allein zieht in der Berliner Videospielbranche nicht mehr"

Wie gut steht die Berliner Videospielbranche im internationalen Vergleich dar? Verstecken müsse sie sich nicht, sagt der Chef der Berliner Gamesweek im Interview. Doch er habe ein Problem mit dem schlechten Internet in der Stadt.
Die Pandemie hat nicht nur Netflix einen Boom beschert, sondern auch der weltweiten Videospielbranche. Allein 2020 setzten Computerspiele etwa 150 Milliarden Dollar um – mehr als die Musik- und Filmbranche zusammen. Vor welchen Herausforderungen die Gamer-Szene dennoch steht, thematisiert derzeit die Berliner Gamesweek. Das Event will als Networking-Plattform Spieler und Entwickler zusammenbringen und findet wegen Corona online statt.
Wie es um die Videospielbranche in der Hauptstadtregion steht und warum Berlin nicht mit den USA oder Kanada mithalten kann, darüber hat rbb|24 mit Gamesweek-Chef Michael Liebe gesprochen.
rbb|24: Herr Liebe, zieht das Motto "arm, aber sexy" Spieleentwickler nach Berlin?
Michael Liebe: Arm, aber sexy – das allein reicht nicht mehr aus. Dafür ist die Branche inzwischen zu sehr professionalisiert. Statt Punk-Kultur geht es am Ende auch in Berlin eher darum, was die Arbeitgeber anbieten, wie teuer die Mieten sind und ja, auch darum, ob das Internet vernünftig funktioniert.
Das Internet?
Am ersten Tag der Gamesweek Berlin fiel gleich das Internet aus und das Event wäre fast ausgefallen. Das Thema 'schlechte Internetverbindung' ist ohnehin ein Running Gag unter Entwicklern in der Stadt.
Aber am Ende nisten sich Spieleentwickler doch in Berlin ein, oder?
Ja. Es gibt auch gut 150 kleinere und größere Unternehmen, die Computerspiele entwickeln. Damit ist die Hauptstadt der größte und vielfältigste Standort in Deutschland. Einige Studios ziehen weiter, wachsen, fusionieren oder gehen Pleite. Es ist also wirklich ein Wechselspiel – und das macht die Branche so aufregend.
Wenn sie nach einem weltweiten Vergleich fragen: Berlin ist ein anerkannter Entwicklerstandort– aber wir stehen weit hinter Vancouver, Stockholm, Tokio und Shanghai.
Liegt das an der verpennten Digitalisierung oder ist das bei der Förderung der Videospielbranche ganz anders gelaufen?
Was die Förderung angeht, ist in den letzten Jahren einiges passiert. Mittlerweile stehen wir im internationalen Vergleich auch gar nicht so schlecht dar. Mit dem Medienboard Berlin-Brandenburg ist frühzeitig eine Projektförderung der Länder etabliert worden. Zudem werden Computerspielproduktionen auch vom Bundesministerium für Verkehr mit insgesamt 50 Millionen Euro gefördert.

Das Medienboard Berlin-Brandenburg stellte vergangenes Jahr insgesamt drei Millionen Euro zur Verfügung – unter anderem für Veranstaltungen wie die Berliner Gamesweek. Der Bund bis zu 50 Millionen Euro. Das ist doch immer noch relativ wenig, wenn bedacht wird, dass AAA-Spiele, also aufwendig produzierte Blockbuster, 100 Millionen Dollar in der Entwicklung kosten.
Ganz ehrlich: Ein AAA-Titel kann sogar 300 Millionen Dollar verschlingen. Hinzu kommen noch Marketing- und Vertriebskosten. In den USA oder Kanada wird eben voll auf Entertainment gesetzt, daher sind solche Riesenprojekte oft dort angesiedelt. Diese Risikobereitschaft oder nennen wir es den 'Entrepreneurlia-Spirit', um solche Games zu produzieren, fehlt in Deutschland schlicht. Es ist eben auch eine Frage der Unternehmenskultur.
Es ist aber auch eine Frage der Bürokratie. Der Antrag auf Förderung beim Verkehrsministerium sieht nicht gerade simpel aus. Stört sie das nicht?
Um eine Förderung zu kriegen, müssen große bürokratische Hindernisse überwunden werden. Die sollten abgebaut werden, außerdem müssen mehr Menschen involviert werden, die sich mit gelungener Förderung auskennen statt nur mit Formularen. Das ist für eine strategische Förderung, die der Branche und der Wirtschaft nützt, enorm wichtig.
Nur muss man dazu sagen: Andere Branchen haben es nicht unbedingt einfacher, die Filmförderung etwa ist nicht weniger bürokratisch. Und natürlich ist es ein Stück weit auch gut, dass gewissenhaft kontrolliert wird, wohin Geld für Förderung fließt.
Megaproduktionen wie "The Last of Us 2" oder "Grand Theft Auto V" sind klassisches AAA-Material. Worauf setzen Entwicklerstudios in der Hauptstadtregion ihren Schwerpunkt, wenn nicht auf solche Titel?
Im Allgemeinen wird viel auf Indie-Games gesetzt, die international durchaus auch erfolgreich sind. Zudem gibt es einen großen Fokus auf Online- und Mobile-Games. Da sind die Produktionskosten auch deutlich geringer.
Der weltweite Trend zu Handyspielen hat also geholfen?
Ja, der Trend zu Smartphone-Spielen war für die Branche der bedeutendste technologische Umbruch der vergangenen zehn Jahre. Die Branche wurde wirklich massiv umgewälzt. Es fängt ja schon damit an, dass das Games-Design für kleine Bildschirme völlig anders konzipiert ist als für Fernseher oder eben das Interface-Design für einen Touchscreen anders gestaltet sein muss als für einen Controller.
Auch das Geschäftsmodell wurde verändert. Zum Beispiel durch Browser-Games wurde Micropayment populär, also die Zahlung kleiner Beiträge etwa für besondere virtuelle Gegenstände oder Abos. Das hat der Branche in Deutschland sehr gut getan.
Laut einer Erhebung der "Hamburg Media School" machte 2019 der deutsche Games-Markt 6,2 Milliarden Euro aus. Der Umsatzanteil deutscher Unternehmen lag dabei jedoch bei rund fünf Prozent. Wie hat sich die Corona-Pandemie auf das Geschäft ausgewirkt?
Sie hat sich insgesamt - mit Einschränkungen - gut ausgewirkt, allerdings nicht unbedingt für das Geschäft 'Made in Germany'. Denn wer sich zum ersten Mal ein Spiel kauft, greift in der Regel weniger zu Indie-Games, sondern eher zu großen Titel wie zum Beispiel 'Fifa'. Für kleinere Studios aus Berlin und Brandenburg war die Pandemie potenziell dagegen eher nachteilig: Nach Fertigung der Spiele wurde nach Geldgebern gesucht, in der Pandemie ließen sich wichtige Kontakte aber nur schlecht knüpfen.
Bei der Gamesweek geht es in Workshops wie "Womenize!" auch darum, mehr Frauen in die Branche zu bringen. Hat sich da so wenig getan in den vergangenen zehn Jahren?
Was die Rollenverteilung bei den Spielerinnen und Spielern angeht, hat sich sehr viel getan: Inzwischen nutzen wirklich viele Frauen Videospiele, das ist also überhaupt nicht das Problem. Uns geht es darum, mehr Frauen in der Entwicklung und Projektausführung von Spielen zu sehen. Aktuell dürfte der Anteil hier nur bei etwa 20 Prozent liegen. Das wollen wir ändern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Hasan Gökkaya, rbb|24.
Sendung: Abendschau, 23.11.2021, 19:30 Uhr