Frist läuft ab - Worum es bei der milliardenschweren Berliner S-Bahn-Ausschreibung geht

Wer betreibt ab 2027 den Verkehr im Berliner S-Bahn-Netz? Bis Dienstag können Unternehmen noch um den Zuschlag mitbieten. Insgesamt geht es um die Beschaffung und Instandhaltung von 1.300 Wagen. Politisch ist aber noch vieles unklar. Von Thorsten Gabriel
Zweimal schon war die Frist zur Abgabe von sogenannten "indikativen Angeboten" verschoben worden, aber nun wird es ernst. Bis zum Dienstagmittag wird ein Angebot in jedem Fall eingegangen sein: Als sicher gilt, dass sich die Deutsche Bahn gemeinsam den Fahrzeugherstellern Siemens und Stadler darum bewirbt, auch weiterhin für die Stadtbahn und die Nord-Süd-Linien zuständig zu bleiben.
Daneben erwarten Insider, dass auch der französische Konzern Alstom mitbieten wird. Im Gespräch war hier immer wieder ein Zusammenschluss mit dem privaten Verkehrsunternehmen TransDev. Darüber hinaus ist unklar, ob es weitere Angebote geben wird, etwa vom Hongkonger Bahnbetreiber MTR, der zunächst auch Interesse an der Berliner Ausschreibung bekundet hatte.
Aufträge im Wert von rund acht Milliarden Euro
Das Vergabeverfahren ist einigermaßen komplex. Unternehmen können für die beiden Teilnetze Stadtbahn und Nord-Süd separate Angebote abgeben und dabei sowohl für den Betrieb als auch für Beschaffung und Instandhaltung bieten. Einschließlich der Möglichkeit, ein Gesamtangebot für alles abzugeben, ergeben sich damit neun Bewerbungsmöglichkeiten.
Die Verträge für Beschaffung und Instandhaltung der neuen Züge werden eine Laufzeit von 30 Jahren haben, die Betriebsverträge nur über 15 Jahre, weil hier längere Verträge rechtlich nicht zulässig sind. Der Senat beziffert das Volumen aller Aufträge auf rund acht Milliarden Euro. Das meiste Geld ist dabei für Betrieb und Instandhaltung vorgesehen und rund 2,7 Milliarden für die Beschaffung von mehr als 1.300 neuen Waggons.
Ausschreibung als Druckmittel gegen die Deutsche Bahn
Die Vielzahl der Vergabemöglichkeiten lässt erahnen, wie schwer sich die noch amtierende rot-rot-grüne Koalition mit dieser Ausschreibung getan hat. Allein die Frage, ob überhaupt ausgeschrieben werden soll, war unter SPD, Grünen und Linken umstritten. Vor allem bei SPD und Linken gibt es nach wie vor Befürchtungen, das S-Bahn-Netz könne "zerschlagen" oder – neutraler formuliert – unter mehreren Unternehmen aufgeteilt werden. Dies würde die Zuverlässigkeit des Verkehrsangebots gefährden, argumentieren sie.
Die Grünen mit ihrer Verkehrssenatorin Regine Günther hatten immer dagegengehalten: Zum einen beweise der Regionalverkehr tagtäglich, dass unterschiedliche Linien problemlos von unterschiedlichen Anbietern betrieben werden könnten. Zum anderen aber sei die Ausschreibung vor allem ein gutes Druckmittel, damit der Platzhirsch Deutsche Bahn im Verfahren nicht die Preise diktieren könne.
Mindestens zwei Konsortien bewerben sich in erster Ausschreibungsphase
Dass am Ende die Bahn den Rundum-Zuschlag erhält und damit die Berliner S-Bahn weiterhin komplett betreibt, gilt allerdings trotz der Losaufteilung als durchaus realistisch. Denn womöglich könnte erneut nur sie es sein, die für ein Gesamtpaket das beste Angebot vorlegen kann. Siemens und Stadler haben dabei den großen Vorteil, dass sie bereits die aktuelle Baureihe der S-Bahn fertigen, was zu erheblichen Kosteneinsparungen führen würde.
Kritik kommt punktgenau vor der Abgabefrist vom Privatbahnen-Verband Mofair. Ein Gutachten des Verbands, das dem rbb vorliegt, stößt sich vor allem an dem Zusammenschluss der drei Unternehmen und hält diesen im Rahmen des Verfahrens für rechtswidrig. Durch eine "exklusive Zusammenarbeit" der Deutschen Bahn mit den Schienenfahrzeugherstellern missbrauche der Konzern seine marktbeherrschende Stellung, lautet dabei einer der Vorwürfe. Vor allem aber sei damit der Wettbewerb im Vergabeverfahren "von Anfang an ausgeschaltet" worden.
Rechtliche Schwachpunkte
In Kreisen des kritisierten Konsortiums zeigt man sich von dieser Kritik unbeeindruckt. Dort wird eher mit Sorge gesehen, dass das Vergabeverfahren an anderer Stelle schwerwiegende Schwachpunkte haben könnte. Ist es zum Beispiel rechtlich sauber, dass ein Unternehmen das beste Angebot für ein einzelnes Ausschreibungslos macht, am Ende aber trotzdem leer ausgeht, weil ein anderer Bieter das beste Angebot fürs Komplettpaket vorlegt? So sehen es die Regularien in diesem Verfahren vor.
Unter anderem dagegen war der französische Konzern Alstom Ende Juni vor die Vergabekammer gezogen. Eine Entscheidung steht noch aus. Das Verfahren läuft aber trotzdem weiter. "Auf Basis der eingereichten Angebote werden die Länder mit den Bietern voraussichtlich ab Dezember 2021 in Verhandlungen treten", sagt der Sprecher der Senatsverkehrsverwaltung, Jan Thomsen, zum weiteren Verfahrensablauf. Im ersten Quartal des nächsten Jahres würde dann zur Abgabe verbindlicher Angebote aufgefordert. Der Zuschlag soll Ende nächsten Jahres erteilt werden.
Linke: "Klare Verabredung, die S-Bahn zu kommunalisieren"
Unter den alten und wahrscheinlich auch neuen Koalitionären bleibt das Vergabeverfahren umstritten. Linken-Fraktionschef Carsten Schatz verkündete auf einem Parteitag Mitte Oktober, SPD, Grüne und Linke hätten in ihren Sondierungsgesprächen die "klare Verabredung" getroffen, die S-Bahn zu kommunalisieren. Bei SPD und Grünen zeigt man sich darüber eher erstaunt. Eine Kommunalisierung sei "aktuell kein Thema", heißt es bei der SPD.
Nicht zuletzt, weil die Deutsche Bahn es bislang schlicht ablehnt, ihr Tochterunternehmen S-Bahn Berlin GmbH zu verkaufen. Die neue Ausschreibung allerdings wird es perspektiv einfacher machen, über Kommunalisierung zu reden: Denn sowohl beim S-Bahn-Ring als auch bei den jetzt ausgeschriebenen Teilnetzen gehen die neu angeschafften Züge ins Eigentum des Landes über. Beim Ring erst nach Ablauf des aktuellen Vertrags im Jahr 2035, bei den Teilnetzen Stadtbahn und Nord-Süd sogar schon direkt nach der Anschaffung. Spätestens also, wenn es um die Frage geht, wer nach 2042 den S-Bahn-Verkehr in Berlin betreiben soll, sind die Karten neu gemischt.
Sendung: Inforadio, 01.11.2021, 6 Uhr