Debatte um ÖPNV - BVG und VBB klar gegen Einführung von erster Klasse

Einsteigen und los - dafür ist der öffentliche Nahverkehr da. Eine Studie empfiehlt nun auch dort eine Teilung in erste und zweite Klasse. BVG und VBB betonen: Wir haben andere Sorgen. Von Stefan Ruwoldt
"U-Bahn royal" titelte die "B.Z." vor 15 Jahren über einem Artikel, der die Pläne der damals opositionellen Berliner CDU und FDP beschrieb, "1.-Klasse-Wagen mit Internetzugang und Kaffee an Bord" einzuführen. Wieder hoch geholt wurde damit 2007 eine Idee, die 1996 für wenige Jahre sogar umgesetzt worden war: Erste-Klasse-Bereiche im Berliner Nahverkehr - damals kurz und ohne Erfolg in der S-Bahn.
Solche "Royal"-Pläne gibt es nach Angaben der regionalen Verkehrsunternehmen derzeit keine. Debattiert aber werden sie unter exakt diesem Titel heiß und innig: Eine erste Klasse mit viel Platz für Leute mit Geld - Drängelei und Stehplatzumstände für den Normalzahler.
Ausgelöst hat diese Debatte eine Studie im Auftrag des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum - WEF) [weforum.org; Download-Link] unter Federführung der Boston Consulting Group (BCG) und der Uni St. Gallen. Darin erklären die Wissenschaftler, dass die Nahverkehrsunternehmen in und um Berlin die Besserverdienenden mit höherem Komfort in ihre Busse und Bahnen locken könnten. Die Effekte wären günstigere Preise für den Normalnutzer und weniger Emissionen.
Sollen also für ihre Fahrt ins Kino am Alex die betuchten Vorortbewohner, statt mit der Dieselschleuder durch den Stau zu fahren, das Schickimicki-Abteil mit WLAN in Bus und Straßenbahn gestellt bekommen - und im Gegenzug mit Luxustarifen neue Linien in die Vororte finanzieren?
Andere Prioritäten
Elke Krokowski, Sprecherin des Verkehrsverbunds Berlin Brandenburg (VBB), betont, dass exakt dieses Problem einer teils schwachen ÖPNV-Anbindung bestimmter Stadtrandbereiche erkannt und klar sei. Die Einführung einer ersten Klasse sei aber bislang nicht geplant oder als Teil einer Lösung vorgesehen. Fehlender Reisekomfort oder gar Exklusivität seien nicht als das Entscheidende ausgemacht worden für "die Stärkung der Verkehre in Bus und Bahn des VBB". Mehr Fahrgästen "auf mehr Strecken schnelle Anschlüsse zu bieten - für alle in guter Qualität", genieße hier eine viel höhere Priorität.
Eine erste Klasse in der S-Bahn wieder einzuführen, sei schon einmal in den 1990er Jahren als Idee aufgewärmt und sehr schnell wieder verworfen worden. "Für Berlin und den Berliner Nahverkehr sowie für die Strecken nach Brandenburg ist es wichtig, viele Plätze zu haben für viele Pendler", so Krokowski. Kapazitäten fehlten in manchen Zügen, auf manchen Strecken zu bestimmten Zeiten. "Wir wollen die Kapazität für alle verbessern", so die VBB-Sprecherin.
VBB: kaum sinnvoll, kaum realistisch
Die Studie und ihre Empfehlung der Einführung von Erste-Klasse-Angeboten sei interessant, doch sehe sie für Berlin und Brandenburg solche "zwei-Klassen-Angebote in den S-Bahnen oder Bussen weder als sinnvoll noch realistisch umsetzbar" an, sagte VBB-Sprecherin Elke Krokowski weiter.
Im Vergleich der Metropolen habe Berlin bereits viel Potenzial an Fahrgästen - gemessen an der Autonutzung für den Pendelverkehr. Darum sei auch das Wachstumspotenzial durch solch eine neue erste Klasse kaum so hoch wie die Aufwände.
Priorität habe für die Verkehrsentwicklung des VBB derzeit eher eine Ausweitung der Platzkapazitäten und natürlich auch das Ringen mit den Unwägbarkeiten der Pandemie, eine erste Klasse brauche dagegen zusätzlichen Platz: "Und den haben wir in den meisten Verkehrsmitteln einfach nicht übrig."
BVG befürchtet "Signal der sozialen Spaltung"
Ähnlich vernichtend fällt auch die Einschätzung von Nils Kremmin von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) aus. "Wir halten solch eine erste Klasse für Berlin nicht für umsetzbar, allein schon der Umwelteffekt stimmt hier nicht: Meistens würden diese Klassen leer durch die Gegend fahren", so der Unternehmenssprecher.
Kremmin rechnet genau vor: "Vier Meter länger müssten allein unsere Busse und Straßenbahnen sein, um soetwas umzusetzen und diese vier Meter erste Klasse würden dann leer durch die Gegend fahren über die meiste Zeit." Noch viel fataler als solche leeren Luxusabteile wäre das "Signal der sozialen Spaltung", argumentiert Kremmin weiter. "An der einen Stelle dicht gedrängt und gerade noch so stehend an der Tür die zweite Klasse - dort leer, kaum genutzt und für alle sichtbar abgesperrt die erste Klasse."
BVG: Umbau wäre teuer und schwer umsetzbar
Hinzu komme, dass solch ein System nur durch strenge räumliche Trennung möglich wäre, so Kremmin weiter. "Dies erfordert teure und nur schwer umsetzbare Umbauten für die Busse und Bahnen der BVG." Bei der Deutschen Bahn hänge man einen Hänger hinten dran oder ab, wenn mehr oder weniger Erste-Klasse-Passagiere buchten. Bei Bussen und Bahnen im Nahverkehr gehe das nicht.
Attraktiver würden Bus und Bahn für die Berliner vor allem dann, wenn sie öfter führen, so Kremmin. Und dann wäre da noch der Verwaltungsweg als Grundlage für alle Strecken: Der Nahverkehr für Berlin rolle nur, wenn er auch bestellt werde - wenn "Bedarf besteht", wenn "die Berliner das wollen". Kurz: Solch eine Linie mit Luxuszugang müsse konzipiert, bestellt und betrieben werden. "Priorität haben für uns die höheren Takte auf bestehenden Strecken, hinzu kommen Sauberkeit und Sicherheit."
Pro Bahn: "Was soll das bringen?"
Vier Klassen hatte es einst in der Eisenbahn gegeben, für die Berliner S-Bahn aber war diese Abstufung zu kompliziert und so gab es dort in den ersten Jahrzehnen des 20. Jahrhunderts nur zwei Klassen - und das nur bis 1946. Seit 1946 mit kleinen Probeepisoden etwa bei der S-Bahn - waren in Berlin aber alle Fahrgäste im Nahverkehr gleich.
Auch wenn nun umweltökonomische Aspekte neue Konzepte und Überlegungen verlangen, dürften dafür die Fahrgäste nicht erneut in Klassen unterteilt werden, so die Positionen der Nahverkehrsunternehmen. Unterstützung haben sie dabei vom regionalen Fahrgastverband Pro Bahn. Peter Cornelius, Verbandssprecher für Berlin fragt schlicht "Was soll das bringen?" und antwortet auch sofort: "Solch eine neue Unterteilung wäre nicht förderlich, viel wichtiger dagegen sind: genügend Platz und genügend Angebot." Die an einigen Stellen fehlende Attraktivität des Nahverkehrs stärke solch eine Klassenunterteilung nicht.