Debatte um ÖPNV - BVG und VBB klar gegen Einführung von erster Klasse

Di 28.12.21 | 18:44 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
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Eine Straßenbahn auf der Linie M10 hält an der Haltestelle Frankfurter Tor. (Quelle: dpa/Christophe Gateau)
Bild: dpa/Christophe Gateau

Einsteigen und los - dafür ist der öffentliche Nahverkehr da. Eine Studie empfiehlt nun auch dort eine Teilung in erste und zweite Klasse. BVG und VBB betonen: Wir haben andere Sorgen. Von Stefan Ruwoldt

"U-Bahn royal" titelte die "B.Z." vor 15 Jahren über einem Artikel, der die Pläne der damals opositionellen Berliner CDU und FDP beschrieb, "1.-Klasse-Wagen mit Internetzugang und Kaffee an Bord" einzuführen. Wieder hoch geholt wurde damit 2007 eine Idee, die 1996 für wenige Jahre sogar umgesetzt worden war: Erste-Klasse-Bereiche im Berliner Nahverkehr - damals kurz und ohne Erfolg in der S-Bahn.

Solche "Royal"-Pläne gibt es nach Angaben der regionalen Verkehrsunternehmen derzeit keine. Debattiert aber werden sie unter exakt diesem Titel heiß und innig: Eine erste Klasse mit viel Platz für Leute mit Geld - Drängelei und Stehplatzumstände für den Normalzahler.

Ausgelöst hat diese Debatte eine Studie im Auftrag des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum - WEF) [weforum.org; Download-Link] unter Federführung der Boston Consulting Group (BCG) und der Uni St. Gallen. Darin erklären die Wissenschaftler, dass die Nahverkehrsunternehmen in und um Berlin die Besserverdienenden mit höherem Komfort in ihre Busse und Bahnen locken könnten. Die Effekte wären günstigere Preise für den Normalnutzer und weniger Emissionen.

Sollen also für ihre Fahrt ins Kino am Alex die betuchten Vorortbewohner, statt mit der Dieselschleuder durch den Stau zu fahren, das Schickimicki-Abteil mit WLAN in Bus und Straßenbahn gestellt bekommen - und im Gegenzug mit Luxustarifen neue Linien in die Vororte finanzieren?

Andere Prioritäten

Elke Krokowski, Sprecherin des Verkehrsverbunds Berlin Brandenburg (VBB), betont, dass exakt dieses Problem einer teils schwachen ÖPNV-Anbindung bestimmter Stadtrandbereiche erkannt und klar sei. Die Einführung einer ersten Klasse sei aber bislang nicht geplant oder als Teil einer Lösung vorgesehen. Fehlender Reisekomfort oder gar Exklusivität seien nicht als das Entscheidende ausgemacht worden für "die Stärkung der Verkehre in Bus und Bahn des VBB". Mehr Fahrgästen "auf mehr Strecken schnelle Anschlüsse zu bieten - für alle in guter Qualität", genieße hier eine viel höhere Priorität.

Eine erste Klasse in der S-Bahn wieder einzuführen, sei schon einmal in den 1990er Jahren als Idee aufgewärmt und sehr schnell wieder verworfen worden. "Für Berlin und den Berliner Nahverkehr sowie für die Strecken nach Brandenburg ist es wichtig, viele Plätze zu haben für viele Pendler", so Krokowski. Kapazitäten fehlten in manchen Zügen, auf manchen Strecken zu bestimmten Zeiten. "Wir wollen die Kapazität für alle verbessern", so die VBB-Sprecherin.

VBB: kaum sinnvoll, kaum realistisch

Die Studie und ihre Empfehlung der Einführung von Erste-Klasse-Angeboten sei interessant, doch sehe sie für Berlin und Brandenburg solche "zwei-Klassen-Angebote in den S-Bahnen oder Bussen weder als sinnvoll noch realistisch umsetzbar" an, sagte VBB-Sprecherin Elke Krokowski weiter.

Im Vergleich der Metropolen habe Berlin bereits viel Potenzial an Fahrgästen - gemessen an der Autonutzung für den Pendelverkehr. Darum sei auch das Wachstumspotenzial durch solch eine neue erste Klasse kaum so hoch wie die Aufwände.

Priorität habe für die Verkehrsentwicklung des VBB derzeit eher eine Ausweitung der Platzkapazitäten und natürlich auch das Ringen mit den Unwägbarkeiten der Pandemie, eine erste Klasse brauche dagegen zusätzlichen Platz: "Und den haben wir in den meisten Verkehrsmitteln einfach nicht übrig."

BVG befürchtet "Signal der sozialen Spaltung"

Ähnlich vernichtend fällt auch die Einschätzung von Nils Kremmin von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) aus. "Wir halten solch eine erste Klasse für Berlin nicht für umsetzbar, allein schon der Umwelteffekt stimmt hier nicht: Meistens würden diese Klassen leer durch die Gegend fahren", so der Unternehmenssprecher.

Kremmin rechnet genau vor: "Vier Meter länger müssten allein unsere Busse und Straßenbahnen sein, um soetwas umzusetzen und diese vier Meter erste Klasse würden dann leer durch die Gegend fahren über die meiste Zeit." Noch viel fataler als solche leeren Luxusabteile wäre das "Signal der sozialen Spaltung", argumentiert Kremmin weiter. "An der einen Stelle dicht gedrängt und gerade noch so stehend an der Tür die zweite Klasse - dort leer, kaum genutzt und für alle sichtbar abgesperrt die erste Klasse."

BVG: Umbau wäre teuer und schwer umsetzbar

Hinzu komme, dass solch ein System nur durch strenge räumliche Trennung möglich wäre, so Kremmin weiter. "Dies erfordert teure und nur schwer umsetzbare Umbauten für die Busse und Bahnen der BVG." Bei der Deutschen Bahn hänge man einen Hänger hinten dran oder ab, wenn mehr oder weniger Erste-Klasse-Passagiere buchten. Bei Bussen und Bahnen im Nahverkehr gehe das nicht.

Attraktiver würden Bus und Bahn für die Berliner vor allem dann, wenn sie öfter führen, so Kremmin. Und dann wäre da noch der Verwaltungsweg als Grundlage für alle Strecken: Der Nahverkehr für Berlin rolle nur, wenn er auch bestellt werde - wenn "Bedarf besteht", wenn "die Berliner das wollen". Kurz: Solch eine Linie mit Luxuszugang müsse konzipiert, bestellt und betrieben werden. "Priorität haben für uns die höheren Takte auf bestehenden Strecken, hinzu kommen Sauberkeit und Sicherheit."

Pro Bahn: "Was soll das bringen?"

Vier Klassen hatte es einst in der Eisenbahn gegeben, für die Berliner S-Bahn aber war diese Abstufung zu kompliziert und so gab es dort in den ersten Jahrzehnen des 20. Jahrhunderts nur zwei Klassen - und das nur bis 1946. Seit 1946 mit kleinen Probeepisoden etwa bei der S-Bahn - waren in Berlin aber alle Fahrgäste im Nahverkehr gleich.

Auch wenn nun umweltökonomische Aspekte neue Konzepte und Überlegungen verlangen, dürften dafür die Fahrgäste nicht erneut in Klassen unterteilt werden, so die Positionen der Nahverkehrsunternehmen. Unterstützung haben sie dabei vom regionalen Fahrgastverband Pro Bahn. Peter Cornelius, Verbandssprecher für Berlin fragt schlicht "Was soll das bringen?" und antwortet auch sofort: "Solch eine neue Unterteilung wäre nicht förderlich, viel wichtiger dagegen sind: genügend Platz und genügend Angebot." Die an einigen Stellen fehlende Attraktivität des Nahverkehrs stärke solch eine Klassenunterteilung nicht.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

57 Kommentare

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  1. 57.

    Ganz klar ist mir das Fazit Ihres Beitrags nicht. Halten Sie ein Zweiklassensystem im ÖPNV nun für sinnvoll oder nicht?

  2. 56.

    "... auch Platzservice mit Snack und Caipi, dargebracht von attraktiven Damen in Strapsen. "
    Na toll - und was machen die mitfahrenden Damen? Also 'n Sixpack-Badboy muss auch dabei sein. Außerdem ist dit Berlin. Da kommt der glutenfreie Snack ins Spiel und der umdrehungsfreie Caipi. Der nächste will 'ne rechtsdrehende Hafermilch. Nee - dat wird hier nix. ;-)
    Grüße nach HH - da isses irgendwie entspannter.

  3. 55.

    Es gibt doch eine erste Klasse im Nahverkehr. Nennt sich Taxi.

  4. 54.

    Denkt man die Idee weiter, sind sicher auch aufpreisplichtige Royal-Radwege mit Heizung, Winterdienst und Vorrangschaltung eine gute Lösung, um noch mehr wohlhabende aus dem Kfz zu locken.

    Bei allen Ansätzen ist unabdingbar, dass auf Kosten der Allgemeinheit Vorleistungen geschaffen, sozusagen die roten Teppiche ausgerollt werden. Wenn das Ergebnis sich nicht einstellt, nicht schlimm. Waren Steuergelder.

    Spaß beiseite: Ich bitte ich den RBB, auch die anderen Vorschläge der Studie mit der gleichen Verve zu behandeln. Bei denen dürfte die Fachleute auch eher zustimmend reagieren.

  5. 53.

    Inwieweit ist der Blick in die Royal-Class einer S-Bahn denn eine Bereicherung für die anderen Fahrgäste?

  6. 52.

    Völlig unsinniges Vorhaben. Die Betuchten werden weiterhin an Ihrem Autositzen kleben und die Mehrzahl der ÖPNV-Nutzer wird sich diesen Luxus nicht leisten können.

  7. 51.

    Also ich finde Sommer hat komplett Recht ! Im Augenblick sieht man kaum noch Radfahrer , jetzt fahren doch nur noch die völlig Durchgeknallten mit dem Fahrrad .

  8. 50.

    Ja, und um genau diese "Wohlhabenderen" verstärkt dazu zu bringen, AUCH mit der BVG zu fahren und auf den eigenen PKW oder das Taxi zu verzichten, könnte man mehr Sicherheit, Sauberkeit und Komfort in einer "Businessklasse" anbieten!

    Aber stattdessen lassen wir lieber alle mit der klassenlosen, aber preiswerten, unsicheren und dreckigen BVG fahren...

    Wann verstehen Linksromantiker endlich, dass die Nähe von "wohlhabenden" Menschen auch immer eine Bereicherung für die weniger wohlhabenden bedeutet?

    Wie viele Ärzte können ihren Kassenpatienten nur deshalb mehr Aufmerksamkeit schenken, als "die Kasse" bezahlt, weil sie auch ein paar "wohlhabendere" Privatpatienten haben, die Geld in die Praxiskasse spülen?

    Wie viele "Dienstleister" könnten nicht dienstleisten, wenn keiner da wäre, der sich die Dienstleistung leisten kann?
    Würden sich Schuhputzer untereinander die Schuhe putzen, würden sie auch nichts verdienen...

  9. 49.

    Soviel kann man mir nicht bieten, um die ÖPNV wieder zu nutzen. Ich habe mir extra vor Jahren ein Auto gekauft, um in diesen nicht mehr zu fahren zu müssen. Und so lange eine grüne Politikerin oder Politiker Autos nutzen, lasse ich das mir nicht verbieten. Lieber verzichte ich auf etwas anderes.

  10. 48.

    @ Sommer: wenn Sie zu den Autofahrern gehören, die grundsätzlich Fahrradfahrer übersehen, wundert es mich nicht, wenn Sie in 3 Stunden nur einen Fahrradfahrer sehen. Oder fahren Sie nachts zwischen 1 und 4?

  11. 47.

    Bekommen ärmere Senioren in Chicago auch regelmäßig vom Staat die Rente aufgebessert? "People with disabilities" fahren hierzulande für 80 Euro im Umkreis von 50 km im Jahr mit dem ÖPNV - so den nicht einem Baustadtrat in Kreuzberg das Stück Rasen unter der Hochbahn "versehentlich" wichtiger ist als der Aufzug zur Wahrung der Menschenrechte.

  12. 46.

    Aktuell folgen Metropolen wie Paris allerdings eher dem Vorbild Wiens: Erst den massiv ÖPNV ausbauen, dass regulatorisch beim MIV eingreifen. Die Radlobby verschweigt aber gerne den laufenden Ausbau der Metro, deren Streckennetz sich bis 2030 auf 400 km verdoppeln soll.

  13. 45.

    Es stimmt doch wohl: Ein Original ist eine Person, die durch unverwechselbares, zum Teil auch exzentrisches Auftreten, Verhalten oder andere Eigenschaften bekannt geworden ist. Dabei spielen die Faktoren, die ein Abweichen von der Allgemeinheit, ein Überraschungsmoment, etwas Seltsames und Wunderliches manifestieren, eine Rolle

  14. 44.

    Wie wäre es denn Herr Supehugo, Sie forderten nicht für sich eine 1. Klasse, sondern reihten sich in einen Konsens ein, der dichtere Takte, mehr Wagen-Material, ein gut ausgebautes Netz verlangt?
    Konsens der erkennt und zurückweist, wo Interessen und politische Agenda von Parteien in der Folge das Gegenteil von Ausbau, Bequemlichkeit und Nachhaltigkeit im ÖPNV bewirken.
    Wir haben in den letzten mindestens drei Jahrzehnten wenig über die Investitionen in nachhaltige Infrastruktur für das Gemeinwesen gehört. Mehr darüber, wie Privatwirtschaft quasi in Cash subventioniert wird. Während die Infrastruktur, auf deren Basis die Privatwirtschaft ihre Geschäftsmodelle betreibt, in deren Exceltabellen als notwendige Ausgabe gar nicht vorkommen (sollen) Was wiederum als wirtschaftlicher Sachverstand verkauft wird. In Wirklichkeit aber nur EIN Interesse in der Volkswirtschaft ist.
    Warum sollte ich eine 1. Klasse finanzieren, damit welche phantasieren können, sie finanzierten den ÖPNV?

  15. 43.

    Die W-Lan-Buchse ist im Artikel verschwunden. Auf die hab ich mich am meisten gefreut.
    Bekommen dann die Reisenden der ersten Klasse die Ansagen, dass der Zug ausfällt, deutlich vor den Reisenden der zweiten Klasse? Im eigenen Wartebereich auf dem Bahnsteig? Und der Kaffeeduft in der S-Bahn, die Snacks mit Platzservice, Klimaanlage, sanfte Musikberieselung, feuchte Tücher fürs Gesicht...traumhaft! Und darf der Typ mit der Gitarre, der immer so agressiv die Fahrgäste belästigt, auch in die erste Klasse? Oder wird er vom mitfahrenden Security-Mitarbeiter sofort in die zweite geschoben? Wenn die Boston Consulting Group und die Universität St. Gallen immer so sauber recherchieren, würde ich von denen keine weiteren Projekte ausarbeiten lassen. Vielleicht einfach mal raus aus der Theorie und einen Monat lang rein in den Berliner ÖPNV, dann versteht man, die Berlin tickt. Hier in Wannsee hat man drei Autos und fährt sicherlich nicht mit der S-Bahn. Auch wenn man seinen eigenen Zug bekäme.

  16. 42.

    Und was macht die BVG und der Berliner, wenn 50% mit der ersten Klasse fahren wollen? Habe es im Rhein-Main-Gebiet erlebt, daß dort sehr oft die erste Klasse überfüllt war und man sich gefragt hat, warum man ein teures Ticket gekauft hat. Sauberer und mehr Platz hatte man auch nicht, als in der zweiten Klasse. Nur die Bezüge der Sitze waren weicher.

  17. 41.

    Politik, ÖPNV etc. Selbst Satiriker spotten bereits: Das ist für Berlin halt gut genug!

  18. 40.

    Warum nicht testweise einen Wagen als 1. Klasse. Ich kenne viele Menschen, die aktuell den Berliner ÖPNV meiden. Mit so einem Angebot hätte man eine Chance diese zum Einsteigen zu bewegen und die Zahlungsbereitschaft wäre sicherlich vorhanden. Aber vorher sollte man sich wegen des Apptickets mal an Hamburg und dem dortigen ÖPNV orientieren. Willkommen im Jahr 2021, bald 2022. Wäre schön, wenn es auch mal in Berlin eine Digitalisierung gäbe.

  19. 39.

    Können Sie sich denn die 1.Klasse leisten ?
    Für den Weg zur Arbeit ?
    Für die weitaus Meisten ist ÖPNV ohne
    "Fürsten-Klasse" preisgünstiger.
    Und wenn die 1.Klasse, LEER mitfährt, wird
    es für Alle teurer.

  20. 38.

    "Den Medien" wird ja mal gerne vorgeworfen "Mainstream" zu sein. Beides Pauschalisierungen die emanzipativ daherkommen, in Wahrheit aber Sachverhalt und Inhalt verschleiern.
    Am Beispiel dieser "Studie" - man könnte auch flapsig-altmodisch sagen: Zeitungsente,
    lässt sich gut zeigen worin "Mainstream" tatsächlich besteht. Es ist gibt kein Zentrum des Bösen unter Vorsitz des Jokers. Wohl aber die Dummheit als selbstverständliche Struktur für handfeste Interessen.
    Die "Boston Consulting Group" ist eine Unternehmensberatung. Beauftragt von jenen, die gerne den Irrtum aufrechterhalten, sie seien es, die das Gemeinwesen finanzieren. Man kennt die Erzählung. Privat Krankenversicherte glauben wirklich unser Gesundheitssystem zu finanzieren. Oder die Hauptlast der Steuern zu tragen. Stimmt aber beides nicht. Es sind die gesetzlich Versicherten. Der Durchschnitt, für den "Steuergeheimnis" weder einen Nutzen hat, noch das er Steuervermeidung betreiben könnte. Ist ne einfache Rechenaufgabe.

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