20 Jahre Euro - "Mit der D-Mark hätten wir höhere Inflationsraten gehabt"

Vor 20 Jahren, am 1. Januar 2002, wurde in der EU der Euro als Zahlungsmittel eingeführt. Viele Menschen haben das Gefühl, dass seitdem alles teurer geworden ist. Ob das stimmt? Von Franziska Ritter
Mehr als zwei Drittel der Deutschen sind laut einer repräsentativen Umfrage der Meinung, dass mit dem Euro alles teurer geworden ist. Doch dieser Eindruck täuscht: Seit Einführung des Euro liege die Inflationsrate hierzulande im Durchschnitt bei rund 1,6 Prozent, rechnet Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vor. Damit seien die Preise viel langsamer gestiegen als etwa in den 70er und 80er Jahren in der BRD, wo die Inflationsrate im Zuge der ersten Ölkrise zwischenzeitlich auf acht Prozent kletterte.
Auf der einen Seite stehen die Preise, auf der anderen Seite die Löhne: In den ersten Jahren mit dem Euro ist das Lohnniveau in Deutschland nur schwach gestiegen. Die Arbeitslosigkeit war hoch, so dass den Menschen unter dem Strich weniger Geld im Portemonnaie blieb. "Aber das hat sich seit 2010 deutlich gebessert", erklärt Silke Tober vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. "Die Löhne halten jetzt im Wesentlichen Schritt mit der Inflationsentwicklung, beziehungsweise liegen sogar darüber."
Preissteigerungen ausgeblendet
Wie kommt es dann, dass viele Menschen beim Euro automatisch "Teuro" denken? Alexander Kriwoluzky verweist darauf, dass der Umtauschkurs ein Euro gleich zwei D-Mark so einfach zu merken war, dass viele Menschen die Preise heute noch in Mark umrechnen. "Dabei vergessen sie aber, dass es auch mit der D-Mark in den vergangenen 20 Jahren eine Preissteigerung gegeben hätte."
Wie sich die Inflation entwickelt hätte, wenn wir weiterhin die D-Mark hätten, ist natürlich Spekulation. Die Ökonomen glauben, dass es nicht zu unserem Vorteil gewesen wäre. Als die Staatschuldenkrise im Euroraum ausbrach, herrschte in den südeuropäischen Ländern nämlich Deflation. Deutschland zeigte dagegen inflationäre Tendenzen. "Wären wir damals nicht in der Währungsunion gewesen, hätten wir höhere Inflationsraten gehabt", sagt Alexander Kriwoluzky.
Außerdem hat die deutsche Wirtschaft viele Handelspartner in der EU. Durch die Einführung des Euro fielen hier Wechselkurs-Schwankungen weg. "Ohne eine gemeinsame Währung hätten wir bei jedem Preisschock und auch in der Pandemie sicher mit vielen Wechselkurs-Bewegungen und einer deutlichen Aufwertung der D-Mark zu tun gehabt, was die Exporte geschädigt hätte", betont Geldpolitik-Expertin Silke Tober.
Höchste Inflationsrate seit Jahrzehnten
In den vergangenen Monaten hat die Inflationsrate ungewohnt stark angezogen. Im November stieg sie nach Angaben des Statistischen Bundesamts auf 5,2 Prozent – das ist der höchste Stand seit fast 30 Jahren. Vor allem Energie ist teurer geworden: Die Preise für Heizöl haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt, Kraftstoffe kosten 43,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Auch Erdgas und Strom sind teurer.
Silke Tober weist darauf hin, dass die Preissteigerungen vor allem Haushalte treffen, die mit Öl oder Gas heizen: "Wer den öffentlichen Nahverkehr benutzt und keine Ölheizung hat, für den liegt die Teuerungsrate ein bis zwei Prozentpunkte niedriger, also ungefähr bei drei Prozent." Für Tober ist klar, dass die Europäische Zentralbank nicht auf solche vorübergehenden Preisschocks reagieren sollte.
Die EZB steht vor einem Dilemma
Auch Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung meint: "Da kann die Europäische Zentralbank wenig machen." Um die Folgen der Pandemie zu bekämpfen, hat sie im vergangenen Jahr ein 1,35 Billionen Euro schweres Anleihenprogramm aufgelegt. "Stoppt sie den Ankauf von Wertpapieren, um die Inflation zu senken, würde es für viele Länder schwieriger werden ihre Haushalte zu finanzieren, weil sie höhere Zinsen auf Anleihen zahlen müssten. Kurzum: Die Europäische Zentralbank steht vor einem Dilemma."
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Sendung: Inforadio, 31.12.2021