Diesel und Benzin kosten deutlich mehr - Schluckbeschwerden

Die Fahrt an die Tankstelle schreckt inzwischen viele Autofahrer ab: Soviel wie im Moment kostete der Liter Diesel noch nie, auch Superbenzin knackt Rekorde. Wie diese Preissteigerungen zu erklären sind - und was sie für Verbraucher bedeuten. Von Sebastian Schneider
Donnerstagmorgen, Blick auf die Zapfsäulen der Republik: Knapp 1,74 Euro kostete da ein Liter Super E10 im Schnitt, etwa 1,66 Euro ein Liter Diesel. Letzteres ist der bisher höchste je gemessene Stand. Weiß auf schwarz liest auch Hans-Joachim Rühlemann jeden Tag, wie extrem sich sein Geschäft verändert hat.
"Ich mache mir schon Sorgen, wenn ich mir die Preisentwicklung ansehe. Anfang Januar kam alles zusammen: Ein hoher Rohölpreis, die höhere CO2-Abgabe seit diesem Jahr, die Energiesteuer. Da habe ich schon kurz geschluckt", sagt Rühlemann, der eine Agip-Tankstelle im Märkischen Viertel betreibt. Außerdem ist er Vorsitzender des Verbandes des Garagen- und Tankstellengewerbes Nord-Ost. In Berlin und Brandenburg betreut der Verband eigenen Angaben zufolge bis zu 250 Tankstellen.
Rühlemann ist lange dabei, aber wo es früher nur Ausreißer nach oben gab, stellt er inzwischen fest, dass etwas Grundsätzliches in Bewegung geraten ist. Wie sich die Rekordpreise bemerkbar machen, erkennt Rühlemann daran, wieviel die Kunden zapfen. Zu Monatsbeginn tankten sie voll, sagt der Pächter. Jetzt gegen Monatsende, wenn das Geld bei vielen langsam knapp werde, tankten sie weniger. Das merke man sofort. Der Spritpreis in Deutschland hat sich seit Dezember 2020 um mehr als 40 Cent pro Liter erhöht.
1,1 Cent pro Liter bleibt hängen
In seiner Tankstelle schwanken die Literpreise im Laufe des Tages um bis zu zehn Cent. Normalerweise galt die Regel: Morgens tankt sichs am teuersten, ab 18 Uhr oder besser noch später ist es am billigsten. Lässt sich auch nicht mehr generell sagen, denn seit immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher sich mit Hilfe von Tank-Apps orientieren, ändern die Betreiber die Preise bis zu zehn Mal am Tag. Auch der sogenannte Tanktourismus nach Polen macht den Anbietern in Berlin und vor allem in Brandenburg Sorgen. Schon jetzt kostet ein Liter Super E10 im Nachbarland etwa 52 Cent weniger, zum 1. Februar will die polnische Regierung nochmal die Mehrwertsteuer senken - um die Inflation zu drücken.
Der Sprit ist für Pächter wie Hans-Joachim Rühlemann dabei nicht einmal die wichtigste Einnahmequelle, aber er bringt die Kunden ins Haus. Die geben dann für belegte Brötchen, Getränke, Zeitschriften, Süßigkeiten ihr Geld aus und davon leben die Betreiberinnen und Betreiber heute vor allem. Nach Abzug aller Steuern und Kosten blieben bei ihm und anderen Pächtern pro Liter Super etwa 1,1 Cent hängen, rechnet Rühlemann vor, das sei eindeutig zu wenig. Der Verband fordert von den Mineralölgesellschaften eine höhere Provision für die Tankstellenbetreiber in der Fläche.
Drei Hauptgründe für den Rohölpreis
Der vergangene November war der bislang teuerste Tankmonat in Deutschland, ermittelte der ADAC damals. Dann kam der Januar. Der Rohölpreis ist nun noch weiter vorne. Die Sorte "UK Brent" ist die für Europa wichtigste, gefördert wird sie aus den Feldern unter der Nordsee. Ein Barrel (159 Liter) kostete am Donnerstag knapp 90 Dollar, umgerechnet gut 80 Euro – das sind mehr als 60 Prozent Zuwachs innerhalb eines Jahres.
Das hatte laut Statistischem Bundesamt drei Gründe: Rohöl war im Vorjahr wegen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen geringeren Nachfrage außergewöhnlich billig. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise 2020 hatte ein Barrel "UK Brent" zeitweise nur 16 Dollar gekostet. Außerdem erhöhte der Staat die coronabedingt gesenkte Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr wieder auf den vollen Satz. Dazu kommt, dass die erdölfördernden Länder der OPEC die Menge stabil halten, das Angebot also trotz Nachfrage nicht erhöhen. Auch der aktuelle Dollarkurs wirkt sich erheblich auf den Preis aus, denn Öl wird weltweit fast ausschließlich in US-Dollar gehandelt. Steigt dessen Kurs im Verhältnis zum Euro, wird es auch an der Zapfsäule teurer.
Und schließlich macht sich die erhöhte CO2-Abgabe bemerkbar, wenn auch nur in vergleichsweise geringem Maße. Durch sie ist der Preis für Benzin und Diesel seit dem Jahreswechsel um rund 1,5 Cent je Liter gestiegen.
Aber dass dieser Weltmarktpreis am Ende nicht ganz durchsichtig ist, müssen auch Experten zugeben. Denn der Rohölpreis ist kürzlich wieder leicht gesunken, auch der Euro-Dollar-Kurs blieb stabil. Trotzdem stiegen die Spritpreise weiter. Einen Grund dafür kann beispielsweise der ADAC nicht erkennen.
Energiekosten insgesamt drastisch gestiegen
Die deutlich höheren Spritpreise kommen nicht allein, die Lebenshaltungskosten sind insgesamt relativ stark gestiegen - und das wird für viele Verbraucherinnen und Verbraucher inzwischen zu einem großen Problem. Die Inflationsrate zwischen Dezember 2020 und dem Vergleichsmonat Dezember 2021 lag laut Statistischem Bundesamt bei 5,3 Prozent, was besonders an den hohen Energiepreisen liegt. Gas- und Stromanbieter etwa kündigen reihenweise ihren Kunden. Die Erholung der Weltwirtschaft nach dem coronabedingten Einbruch 2020 hat zu einer unerwartet hohen Nachfrage geführt. Die abgeschlossenen Verträge lohnen sich für die Anbieter nicht mehr.
Nach Berechnungen der "Süddeutschen Zeitung" bedeutet das alles: Im Vergleich zu 2019 müssen Singles für Strom, Heizen und das eigene Auto nun mit Mehrausgaben von etwa 45 Euro pro Monat rechnen, knapp 170 Euro mehr sind es für eine dreiköpfige Familie. Gerade die steigenden Energiekosten treffen besonders Haushalte mit geringem Einkommen, hat das Statistische Bundesamt analysiert. Und die Nebenkostenabrechnung für 2021 kommt erst noch.
Was das heißt, erlebt Aileen Steinhoff in Brandenburg an der Havel, gut eine Autostunde von Hans-Joachim Rühlemanns Tankstelle entfernt. Sie arbeitet für die Schuldnerberatung "Pro Solvencia". Die hilft im Auftrag der Stadtverwaltung denjenigen, die mit ihrem Geld nicht mehr auskommen und daran verzweifeln. "Wir bemerken, dass unsere Ratsuchenden spürbar Probleme mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten haben, dass mehr und mehr Menschen psychisch schwer von der Situation belastet sind", sagt sie.
Erhöhte Kilometerpauschale soll abfedern - reicht dafür aber nicht
Die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner besitzt kein Auto, was auch an der vergleichsweise guten Abdeckung durch den ÖPNV legt. Auf dem Brandenburger Land aber sind die Wege zu vielen Arbeitsstellen weiter und der Nahverkehr ist an vielen Orten so ausgedünnt, dass man mit Bus und Bahn wesentlich länger unterwegs ist, als mit dem Pkw. Es gebe Betroffene, die sagten, dass sie sich das Auto jetzt nicht mehr leisten könnten, sagt Aileen Steinhoff. "Eine Frau hat erzählt, wenn das so weitergeht, muss sie ihren Job kündigen, weil sie es nicht mehr finanzieren kann, mit dem Auto dort hinzufahren - sie aber dafür auf das Auto angewiesen ist."
Der Pkw-Verkehr in Deutschland hat zwischen 1995 und 2019 um mehr als 20 Prozent zugenommen, das schädigt trotz der verbesserten Verbrennertechnik das Klima [umweltbundesamt.de]. Als Ausgleich hat die CDU-geführte Regierung 2020 ein sogenanntes Klimapaket verabschiedet, um den CO2-Ausstoß stärker zu besteuern. Um die höhere Belastung abzufedern, hat sie die Kilometerpauschale erhöht, auf 35 Cent pro Kilometer – das gilt allerdings erst ab dem 21. Kilometer Strecke, darunter sind es 30 Cent. Das kann in Regionen mit unterdurchschnittlich bezahlten Jobs schon einen Unterschied bedeuten.
Studie: Knapp ein Drittel Geringverdiener in Brandenburg
Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sind im Bundesland fast ein Drittel der Vollzeitbeschäftigten Geringverdiener, in Berlin etwa ein Fünftel. "Meiner Ansicht nach ist der Staat bei den Werbungskosten in der Pflicht. Die Regierung könnte zum Beispiel bei der Pauschale nachsteuern und den vollen Satz schon ab dem ersten Kilometer zählen lassen. Das würde in der momentanen Situation nicht nur Geringverdienern, sondern auch dem Mittelstand helfen, der von den Kosten ja ebenfalls bedroht ist", sagt Aileen Steinhoff.
Immer öfter vereinbarten sie und ihre Kollegen und Kolleginnen mit den Betroffenen nun, ein Haushaltsbuch zu führen, weil der Druck nichts anderes mehr zulasse. Ein weiterer Rat: Ausgaben in Briefumschlägen sortieren. Auf den einen schrieben die Menschen zum Beispiel "Lebensmittel, Woche 1", auf den anderen "Lebensmittel, Woche 2" und steckten dann genau die Summe hinein, die sie auch ausgeben dürfen. "Aber Sie können sich vorstellen, dass die Schrauben, an denen man drehen kann, begrenzt sind", sagt Steinhoff.
Günstiger wird's wohl nur noch in Ausnahmefällen
Dass die steigenden Spritpreise die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher beschäftigen, darauf deutet eine aktuelle, repräsentative Umfrage von Forsa hin, beauftragt hat sie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). 61 Prozent der Befragten gaben an, dass sie das Thema umtreibt. Und die höheren Kosten für Autofahrten scheinen ein Umdenken anzustoßen, ob gewollt oder ungewollt: So planten 40 Prozent, das Auto öfter stehen zu lassen und Fahrrad oder Busse und Bahnen zu nutzen. Sieben Prozent sagten, sie überlegten, ihr Auto ganz abzuschaffen. Nur knapp ein Viertel der Befragten (24 Prozent) gab an, trotz eigenem Fahrzeug gar nicht auf die steigenden Spritpreise zu reagieren [vzbv.de].
Wie sich die Preise für Mineralöl entwickeln, ließe sich nur schwer abschätzen, sagt der Wirtschaftsverband Fuels und Energie in Berlin, dafür spielten zu viele Faktoren eine Rolle, etwa der Einfluss der Finanzmärkte oder geopolitische Fragen. Kriege, Viren oder Embargos lassen die Kurse flattern. Dass Benzin und Diesel aber noch einmal spürbar billiger werden, halten Fachleute für unwahrscheinlich. "Auch wenn die Kraftstoffpreise weiterhin schwanken werden, ist nicht davon auszugehen, dass ein dauerhafter negativer Trend eintreten wird. Allein vor dem Hintergrund, dass bis 2025 der CO2-Preis schrittweise von aktuell 30 Euro auf 55 Euro je Tonne steigen wird, ist mit weiter steigenden Preisen zu rechnen", sagt Leon Strohmaier vom ADAC Berlin-Brandenburg.
Tanke als Hobby
Auch der Tankstellenpächter Hans-Joachim Rühlemann äußert sich so. "Der langfristige Trend zeigt klar nach oben. Nach Berechnungen unseres Verbandes gehen wir im Jahr 2030 von etwa 2,50 Euro für einen Liter Super und 2,65 Euro für einen Liter Diesel aus. Aber zu diesem Zeitpunkt wird es, falls sich die Zulassungszahlen bei Elektrofahrzeugen so weiterentwickeln, immer noch 40 Millionen Verbrenner auf deutschen Straßen geben", sagt der 71-Jährige. Strom gezapft wird in Zukunft auf dem Supermarktparkplatz, in der Parkbucht oder unter dem teutonischen Carport - aber wohl nicht an Tankstellen, wie wir sie heute kennen.
Er selbst betreibt seinen Standort in Reinickendorf nur noch zum Spaß, sagt Rühlemann, ihn werde dieser Wandel nicht mehr wirtschaftlich treffen. Aber andere Verbandsmitglieder überlegten durchaus, wie lange sich das Ganze noch rechne.
Sendung: Inforadio, 27.01.22, 12 Uhr
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