Verbot des Kükentötens - Tierschutz mit Lücken

Bislang wurden männliche Küken von Legerassen nach dem Schlüpfen getötet. Ihre Aufzucht rechnet sich kaum. Seit dem Jahreswechsel ist diese Praxis in Deutschland verboten, doch damit ist das Problem nicht vom Tisch. Von Franziska Ritter
Hennen legen Eier, das weiß jedes Kind. Nach dem Brüten schlüpfen daraus Küken, die später einmal selbst Eier geben sollen. Doch männliche Küken von Legerassen – 45 Millionen schlüpfen hierzulande im Jahr – ereilte bislang ein anderes Schicksal: Da sie kaum Fleisch ansetzen und sich damit nicht für die Mast eignen, wurden sie getötet und zu Tierfutter verarbeitet. "Den meisten Menschen war das gar nicht bewusst", sagt Britta Schautz von der Verbraucherzentrale Berlin und verweist auf eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GFK, wonach 85 Prozent der Deutschen diese Praxis ablehnen.
Vorsicht bei verarbeiteten Produkten
Seit diesem Jahr ist das Kükentöten in Deutschland gesetzlich verboten und die großen Supermärkte haben darauf reagiert. Aldi, Edeka, Lidl und Rewe bieten nach eigenen Angaben nur noch frische Eier von Legehennen an, deren Brüder nicht mehr sterben müssen.
Bei Nudeln, Backwaren und anderen Lebensmitteln, in denen Eier verarbeitet sind, ist allerdings Vorsicht geboten. "Die Hersteller müssen nicht angeben, wie sie die Tiere gehalten haben und deshalb können hier auch mit Kükentöten produzierte Eier drinstecken", warnt Bettina Schautz und erinnert daran, dass im EU-Ausland beispielsweise noch die Käfighaltung von Hühnern erlaubt ist.
Wer auf Nummer sicher gehen möchte, greift nach Einschätzung der Ökotrophologin besser zu Produkten ohne Ei oder entscheidet sich für Bio-Qualität. Bioland, Naturland, Demeter und andere Bio-Anbauverbände aus Deutschland haben ihre Mitgliedsbetriebe nämlich dazu verpflichtet, Bruderhähne mit aufzuziehen.
Aufzucht von Bruderhähnen kostet
Der Tierschutz hat allerdings seinen Preis. Die Hühnerrassen, die zum Eierlegen genutzt werden, setzen kaum Fleisch an – auch die Hähne nicht. Daher rechnet es sich kaum, sie aufzuziehen und später zu schlachten. Also werden die Kosten aufs Ei umgelegt. "Eier sind in diesem Jahr 2 bis 3 Cent teurer geworden", rechnet Henner Schönecke, Vizepräsident des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft, vor. "Wenn die Verbraucher mehr Tierwohl möchten, sollten sie das auch ausgeben", findet er.
Die Geflügelwirtschaft begrüßt zwar, dass das Kükentoten in Deutschland ein Ende hat, befürchtet allerdings Wettbewerbsnachteile wegen der damit verbundenen Kosten. Schließlich kommt von den 239 Eiern, die ein Deutscher im Schnitt pro Jahr verspeist, ungefähr die Hälfte in Form verarbeiteter Lebensmittel ins Haus. "Wir erwarten von der Bundesregierung, dass dieses Gesetz auch in anderen europäischen Ländern umgesetzt wird", fordert Henner Schönecke. "Sonst kommen die ganzen Eier, die hier verarbeitet werden, aus dem Ausland. Das will keiner."
Hähne zum Teil ins Ausland verschickt
Doch auch an der Aufzucht von Bruderhähnen gibt es Kritik. Die Tiere benötigen viel Futter, um Fleisch anzusetzen. Der ökologische Fußabdruck, den sie hinterlassen, ist enorm. Außerdem gibt es in Deutschland nicht genügend Mastplätze, um all die Brüderhähne aufzuziehen.
Deshalb werden nach Angaben des Branchenverbands viele im Ausland, beispielsweise in Polen, gemästet. Ausnahme ist auch hier die Bio-Branche: Sie hat sich dazu verpflichtet, die Tiere auf eigenen Höfen oder in Partnerbetrieben aufzuziehen.
Alternativ zur Aufzucht der Hähne lässt sich mit technischen Verfahren schon während der Brutphase bestimmen, ob das Embryo im Hühnerei männlich oder weiblich ist. Dafür wird etwas Flüssigkeit aus dem Ei entnommen und analysiert. So können die Hähne noch vor dem Schlüpfen aussortiert und zu Tierfutter verarbeitet werden.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstützt solche Verfahren, im Ausland sind sie vielerorts im Einsatz. Deutsche Brütereien zögern allerdings noch sie anzuwenden. "Wir stehen vor dem Dilemma, dass wir mit dem 9. oder 13. Bruttag momentan noch relativ spät sind", erklärt Henner Schönecke.
Zurück zu anderen Hühnerrassen
Ab 2024 dürfen Geschlechtsbestimmungen nur noch vor dem 7. Bruttag vorgenommen werden. Der Gesetzgeber will damit ausschließen, dass der Embryo Schmerzen empfindet. Die Geflügelwirtschaft moniert: "Die Verfahren sind technologisch noch nicht so weit, dass wir das umsetzen können", so Henner Schönecke. "Deshalb wird es ab 2024 wahrscheinlich keine deutsche Brüterei mehr geben, die Geschlechtsbestimmungsverfahren im Ei macht."
Tierschützer lehnen den Ansatz grundsätzlich ab. "Auch mit der neuen Methode bleiben männliche Küken Abfallprodukte der Geflügelwirtschaft", mahnt beispielsweise die Tierschutzorganisation "Vier Pfoten".
Vielleicht liegt die Lösung des Problems weder in Geschlechtsbestimmungen im Ei noch in der Aufzucht von Bruderhähnen. Britta Schautz von der Verbraucherzentrale Berlin etwa plädiert dafür wieder alte Zwei-Nutzungsrassen einzuführen, bei denen die Hennen ausreichend Eier legen und die Hähne genug Fleisch ansetzen, dass es sich lohnt.
Im Moment gibt es bei Weitem noch nicht genug Hühner, um die fast 20 Milliarden pro Jahr in Deutschland konsumierten Eier auf diesem Weg zu erzeugen, räumt die Ernährungsexpertin ein. Schließlich hat die Geflügelwirtschaft jahrzehntelang auf Hühner gesetzt, die rein aufs Eierlegen oder aufs Fleischansetzen spezialisiert sind. "Aber Zwei-Nutzungsrassen sind wahrscheinlich das einzige zukunftsfähige System, wenn uns Tierschutz wichtig ist - und das sollte er sein."
Sendung: Inforadio, 10.01.2021, 6 Uhr