Pandemie-Ausnahmen für Fluglinien - Um was es beim Streit um sogenannte "Leerflüge" wirklich geht

Sa 08.01.22 | 07:52 Uhr | Von Oliver Noffke
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Blick in die Kabine. Nur wenige Plätze des kleinen Fliegers sind besetzt. (Quelle: imago images/Mario Aurich)
Bild: imago images/Mario Aurich

Ohne Pandemie wäre am BER wahrscheinlich so viel los, dass Rechte für Starts und Landungen knapp wären. Um solche Rechte wird derzeit gestritten - zwischen Platzhirschen wie der Lufthansa, Billigfluglinien und der EU. Von Oliver Noffke

Wenn die EU bei ihrer derzeitigen Position bleibe, werde allein der Lufthansa-Konzern in diesem Winter 18.000 Flüge leer oder fast leer durchführen müssen. Diese Aussage von Lufthansa-Chef Carsten Spohr sorgt seit einigen Tagen für Schlagzeilen. Spohr fordert von Brüssel "klimaschonende Ausnahmeregelungen" für seine Branche.

Um was geht es bei dem Streit? Sind Fluglinien die neuen Vorkämpfer in Sachen Umweltschutz? Und wie sieht es in der Region aus: Kommen derzeit massenhaft leere Flugzeuge am BER an?

Die Sache mit den Slots

Spohr zielt mit seiner Kritik auf eine Regelung der EU, die sicherstellen soll, dass es zwischen den Fluglinien einen fairen Wettbewerb gibt. Prinzipiell dürfen Airlines, die in der EU ihren Sitz haben, auch jeden Flughafen innerhalb der Union bedienen.

Einige Ziele sind natürlich attraktiver als andere. Damit besonders nachgefragte Flughäfen nicht überlastet werden, ist dort die Zahl der möglichen Starts und Landungen zu bestimmten Zeiten limitiert. Das sind die sogenannten Slots.

Am BER sind zum Beispiel 78 Slots pro Stunde vorgesehen, teilt Pressesprecherin Sabine Deckwerth rbb|24 mit. Genutzt würden derzeit lediglich 40. Es gibt in Schönefeld also nur etwa halb so viele Flugbewegungen, wie maximal möglich wären.

Vergeben werden die Start- und Landerechte hierzulande von der Flughafenkoordination Deutschland, kurz Fluko. Einem Unternehmen, das in Frankfurt am Main sitzt und vollständig dem Bund gehört.

Hat eine Fluglinie einige der limitierten Slots an einem Flughafen ergattert, darf sie diese relativ frei nutzen. Ob ein Flugzeug aus Rom oder Stockholm zur Landung ansetzt, ist unerheblich. Ebenso, ob es nach Budapest oder Dublin weiterfliegt. (Hat die Airline ihren Sitz außerhalb der EU oder liegt das Flugziel nicht in der Union, wird es allerdings komplizierter.)

Platzhirsche mit Großvaterrechten

Wenn eine Fluglinie einmal Slots hat, kann sie diese nicht einfach so wieder verlieren. "Man hat dann sogenannte 'Großvaterrechte' und fliegt das jedes Jahr im Sommer oder Winter weiter ab", erklärt Luftfahrtexperte Cord Schellenberg auf Anfrage, "und wenn eben alles schon verteilt ist, ist es schwer für neue Fluggesellschaften da überhaupt reinzukommen."

An dieser Stelle kommt die EU ins Spiel: Sie hat festgelegt, dass eine Airline mindestens 80 Prozent ihrer Slots nutzen muss. "Damit diese Zeitfenster eben nicht nur vergeben sind und Fluggesellschaften darauf sitzen, sondern auch im Sinne der Passagiere und Flughäfen genutzt werden", so Schellenberg. Erfüllt eine Airline dieses Ziel, darf sie im nächsten Flugplan die gleichen Slots wieder nutzen. "Also kommt kein anderer ran", sagt er. Andernfalls verfallen die Rechte und werden neu vergeben.

Dabei ist es unerheblich, wie groß das Flugzeug ist, das einen Slot nutzt. Denn die EU betrachtet nur Flugbewegungen. Ob nun ein vierstrahliger Großraumjet das Zeitfenster bedient oder eine kleine Turboprop-Maschine ist egal.

Haben nur wenige Menschen einen bestimmten Flug gebucht, können die Airlines allerdings offensichtlich nicht einfach kleinere Flugzeuge einsetzen. Entweder haben sie diese gar nicht oder nicht sehr viele davon. Welcher Flugzeugtyp für welchen Slot vorgesehen ist, stehe auch meist schon vor dem jeweiligen Sommer- oder Winterflugplan fest, sagt BER-Sprecherin Deckwerth. "In etwa zehn Prozent der Fälle kommt es zu kurzfristigen Änderungen."

Sind auf einem Flug nur wenige Menschen gebucht und kann kein kleineres Flugzeugmodell eingesetzt werden, steckt die Airline in einem Dilemma. Um im nächsten Flugplan nicht ihre Slots zu gefährden, kann sie den Flug nicht einfach absagen. Stattdessen finden Flüge dann auch fast oder vollständig leer statt.

Der Pandemie-Waiver

Was zu normalen Zeiten günstige Preise garantiert hat, ist in der Pandemie zu einem gewaltigen Problem für die Airlines geworden. Sollen wirklich 80 Prozent aller Slots genutzt werden, obwohl kaum jemand fliegen will, weil gerade eine neue Seuche grassiert? Nein, sagt auch die EU-Kommission. Schon in der ersten Corona-Welle hat Verkehrskommissarin Adina Valean den Airlines eine Befreiung von der Regel erteilt – englisch: Waiver.

Die Airlines können also die Mindestanforderungen reißen und verlieren trotzdem nicht ihre angestammten Slots.

Die Lufthansa fordert, das in absehbarer Zukunft die 80-Prozent-Regel komplett ausgesetzt wird. Viele in der Branche unterstützen sie dabei, etwa der Dachverband der Fluggesellschaften, IATA. Aber nicht alle sehen das so.

Am lautesten stellte sich bisher die ungarische Billigfluglinie Wizzair dagegen. Sie forderte bereits im Juli, dass die EU zu der alten Regelung ausnahmslos zurückkehren solle [reuters.com, Informationen in englischer Sprache]. Wenn die etablierten nicht leer fliegen wollen, müssen sie eben Slots abgeben, so Wizzair. Die derzeitige Regelung bevorzuge Konzerne, "mit einem schwachen Geschäftsmodell und einem anhaltenden Hang zu schlechtem Kostenmanagement". Wizzair selbst würde gern an einigen beliebten Flughäfen öfter landen und starten, hat aber momentan keine Chance auf weitere Slots.

...und dann kam Omikron

Nach wie vor wird von den Fluglinien nicht verlangt, 80 Prozent ihrer Slots zu nutzen. Im derzeitigen Winterflugplan müssen 50 Prozent der Slots genutzt werden. Im kommenden Sommerflugplan, der im März beginnt, sollen es 64 Prozent sein.

Diese Festlegung wurde am 15. Dezember veröffentlicht. Damals ging die EU davon aus, dass die Zahl der Flugbewegungen im kommenden Sommer etwa bei 89 Prozent des Niveaus von 2019 liegen dürfte.

"Aber das ist vielleicht eine Prognose, die sich nachher nicht einstellt", sagt Schellenberg. Denn nun ist Omikron da. Und während die neue Corona-Variante offenbar für den Einzelnen weniger schwer verläuft, ist sie für die Gesellschaft insgesamt eine schwer kalkulierbare Belastung. Denn durch die schnellere Verbreitung werden mehr Menschen gleichzeitig krank und fallen auf Arbeit aus.

Was das für die Flugbranche bedeutet, zeigt sich gerade in den USA. Dort fallen täglich Tausende Flüge aus, weil Airlines und Flughäfen mit enormen Krankenständen zu kämpfen haben [tagesschau.de]. Muss ein Flug wegen Personalmangels abgesagt werden, haftet in der EU die Airline.

Diese Unsicherheit erkennt auch die EU. Ihre Veröffentlichung hat sie deshalb mit einem Hinweis versehen: "Sollte sich [...] die Situation aufgrund der Omikron-Variante auf einigen Strecken verschlechtern [...], werden die Fluggesellschaften durch die begründete Ausnahme der Nichtnutzung […] geschützt und verlieren nicht ihre angestammten Rechte auf den betroffenen Strecken." [ec.europa.eu]

Bisher gab es schon Sonderregelungen: "Bei Hochrisikogebiete oder Virusvariantengebieten hat die EU zu den Airlines gesagt: Die könnt ihr separat behandeln", so Schellenberg.

Jetzt günstig Flüge buchen?

Wer in den kommenden Tagen oder Wochen spontan fliegen möchte, kann zum Teil sehr günstige Tickets finden. Allerdings ist momentan auch die Unsicherheit aufgrund von Omikron besonders hoch. Mit jeder neuen Pandemiewelle ist bei den Airlines auch die Zahl extrem kurfristiger Stornierungen jedes Mal wieder angestiegen.

Vor etwa zwei Monaten, als Delta abzuebben schien, sah alles noch ganz anders aus: Insbesondere bei Fernflügen konnte das Angebot die Nachfrage überhaupt nicht abdecken. Die Preise schossen in seit Langem ungekannte Höhen.

Eine Prognose zum Flugaufkommen und damit auch zu den Preisen für das Frühjahr oder gar den Sommer abzugeben, erscheint derzeit unmöglich. Das betrifft nicht nur Airlines. "Wir können auf Grund der Pandemie allenfalls vier bis sechs Wochen im Voraus planen", so BER-Sprecherin Sabine Deckwerth. "Reise- und Hygienebestimmungen ändern sich permanent und prägen auch das Reiseverhalten der Menschen. Flüge werden kurzfristig umgebucht oder storniert. Die gesamte Luftverkehrsbranche fährt auf Sicht."

Beitrag von Oliver Noffke

33 Kommentare

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  1. 33.

    Hab ich eigentlich versucht. Ein paar grundsätzliche Dinge setzt man eben manchmal voraus. Z.b. das ein größeres Wasser zwischen zwei Ländern in annehmbarer Zeit nur mit Flugzeug überquerbar ist und somit die Lösung außer Frage steht und nur die direkten und indirekten Kosten diskutiert werden müssen.
    Wer beruflich bedingt viel fliegt, sollte das auch in den Preisen für seine Dienstleistungen darstellen. Dann ist der deutsche Experte der mit dem Flieger kommt eben teurer als der Irische der mit dem Fahrrad fährt. Wenn er den Mehrpreis immer noch besser und dies dem Auftraggeber wert ist alles ok, aber bitte keinen Vorteil durch die von der Allgemeinheit subventionierten Umweltschäden beim Transport.
    Nicht falsch verstehen und persönlich nehmen. Ich vermute wir sind ziemlich ähnlicher Ansicht.

  2. 32.

    Es ist doch keiner gezwungen, mit Denen zu fliegen und anscheinend ist Nachfrage da, sowohl von Kunden und auch ihrem Personal, ansonsten gäbe es die doch gar nicht mehr, also warum sollte man die verbannen, weil Sie die nicht leiden können ?

  3. 31.

    Ja, das muss man schon sagen, was man konkret meint, ich bin bis jetzt überhaupt noch nicht auf den Gedanken gekommen, innerdeutsch zu fliegen, also kann ich nicht ihre Gedanken lesen und habe da auch kein Schuldbewusstsein .

  4. 30.

    Also Wizzair sollte sich mal ganz bedeckt halten . Die haben die schlimmsten AGBs, betrügen und prellen ihre Kunden, sagen spontan immer Flüge ab und bieten besch*ssene Alternativen, die dann auch noch abgesagt werden. Geld zurück ist ein Märchen. Die sollen generell aus dem EU Flugraum ausgeschlossen werden. Das wäre ein Segen !

  5. 29.

    Auch hier gilt natürlich eine differenzierte Betrachtung. Von Berlin nach Dublin dürfte es zum Flugzeug kaum eine sinnvolle Alternative geben es sei denn die Reise selbst ist das Ziel. (Wohnmobil, Fahrrad etc.)
    Problematisch sind doch Flüge innerhalb Deutschlands bzw. den direkten Nachbarländern oder zum shoppen nach Barcelona oder Mailand fliegen.
    Das man sowas noch dazu schreiben muss?

  6. 28.

    Und nun rechnen wir mal die im Artikel beschriebenen Leerflüge mit ein. Besatzung und Kabinencrew über Tausende km allein in so einer Maschine. Was da wohl rauskommt?

  7. 27.

    Ich kriege gedanklich irgendwie keine Beziehung zwischen Autofahrt und Interkontinentalflug hin. Gibt es die Beringbrücke schon? Zum Interkontinentalflug wird es auf lange Sicht kaum Alternativen geben, außer vermeiden wenn möglich.
    Pest mit Cholera vergleichen hilft auch wenig weiter.
    Also bitte sinnvolle Vergleiche anstellen.

    Bei 10.000 km Autofahrt/Jahr für eine 4köpfige Familie hält sich mein schlechtes Gewissen zum Thema Autofahren in Grenzen. Dazu noch einige km elektrisch für dienstliche Zwecke.
    Zum Campingbus krieg ich keine Alternative. Also keine Sorge mein Auto steht häufig genug auf dem eigenen Stellplatz und wird auch seine Lebenszeit bekommen.

  8. 25.

    Die Darstellung, was mit den Slots passiert ist nicht ganz zutreffen (auch wenn es in vielen Medien so dargestellt wird). Wenn eine Airline einen Slot wegen mangelnder Nutzung “verliert”, verliert sie eigentlich nur die Garantie, den Slot in der nächsten Saison verwenden zu können. Falls keine andere Airline diesen Slot nutzen will, wird sie den Slot nach wie vor bekommen. Es ist aber natürlich ein gewisses Restrisiko dabei (Quelle: Ich arbeitete im Slot Management für eine kleinere Fluggesellschaft).Was Airlines wie Lufthansa also wollen, ist ihre Besitzstände zu verteidigen.

  9. 23.

    Ob sich das "Jemand" schön rechnet, googeln Sie doch mal, Sie werden bestimmt fündig :-)
    Mir kommt das ähnlich mancher Leut vor, die Flughäfen und Autobahnen besetzen und sich mit dem SUV vom Papi zur Schule bringen lassen :-)

  10. 22.

    Also ich werde mein Auto nicht stehen lassen, nur weil sich da jemand die nachweislichen Klimaschäden durch das Fliegen schönrechnet

  11. 21.

    "Ist Autofahren ökologischer als Fliegen?
    Das Auto ist nur bei voller Auslastung eine klimafreundlichere Option als Fliegen. Bei einer durchschnittlichen Auslastung von 1.6 Personen stösst ein Personenkilometer im Auto sogar mehr Treibhausgase aus als ein Personenkilometer eines Interkontinentalflugs.05.06.2020"

    Was sagen Sie nun zu den Schäden ? Ich hoffe, Sie sind so konsequent und lassen nun wenigstens Ihr Auto stehen :-)

  12. 20.

    "Fliegen um ein ökologisch fragwürdiges Luxusgut"
    Also auf der Ryanair Strecke Berlin-Dublin sind es immer zu geschätzt 50 % mindestens, die von oder zur Arbeit fliegen, und die Maschinen sind eigentlich immer "voll".
    Die Arbeiten dann 14 Tage oder 3 Wochen am Stück und haben dann eine Woche frei.
    Und es sind auch etwa gleichviel Iren, die hier arbeiten, wie Deutsche die auf der Insel arbeiten.
    Gut, durch Corona ist das etwas reduziert, aber auch das wird wieder!

  13. 19.

    Auch sie werden eines Tages Rentner sein. Dann gibt's bestimmt auch noch etwas, worüber sie sich aufregen können. Bis dahin alles gute und viel Spaß am Leben.

  14. 18.

    Weil die Alternative früher oder später verbieten bedeutet. Wollen Sie das?
    Offensichtlich handelt es sich beim Fliegen um ein ökologisch fragwürdiges Luxusgut, was auch ich mir hin und wieder gönne. Leider ist es viel zu billig geworden, um damit die Schäden zu kompensieren und offensichtlich auch um die staatlich finanzierte Infrastruktur ohne Zuschüsse zu betreiben. Also muss es teurer werden. Warum muss die Allgemeinheit also auch die Steuerzahler die gar nicht fliegen das Flugwesen unterstützen? Kerosinsteuer, regulierte Landerechte, BER Zuschüsse etc. Die 20 EUR Tockets würden genau damit verschwinden. Die obere Preisgrenze reguliert der Markt ganz allein.

  15. 17.

    So generell kann man das nicht sagen, Ryanair verkauft generell eine statistisch errechneten Anzahl der Tickets als "Low Budged" mit dem Ziel, die Auslastung nahe 100% zu bringen, das es dort Massenweise Tickets für 9.99 gibt, ist ein Märchen, machen Sie doch mal einen Versuch auf deren Internetseite, das übliche Business Ticket, also mit der Möglichkeit der kostenlosen Umbuchung, Stornierung, Namensänderung usw. ist nicht viel billiger als bei LH.
    Die sind nur viel flexibler, sie können auch da die Billigvariante kaufen, wenn Sie Risikofreudig sind, da kosten Umbuchung mind. 50 Euro pro Strecke, die kaufe ich immer und es ging bis jetzt auch immer gut, ist nur eben ein Risiko bei, das teuer werden kann.

  16. 16.

    Sie fliegen anscheinend nicht viel was. Warum muss man immer alles teurer machen um was zu erreichen? Sehr einfältige Denkweise. Ich bin dagegen das man für 20€ Flugtickets kauft, da muss man ansetzen. Eine generelle Erhöhung ist einfallslos.

  17. 15.

    Rentner oder Urlauber? Netter Versuch ;-) Nein, ich werde von einer Lobbyorganisation bezahlt: Hobby (meine Frau wollte mal was positives über ihre Branche lesen) , dass hat sich dann verselbstständigt... und schont die Familie ;-)

    Ach ja, ich muss jetzt nicht Ihnen den Begriff Subventionen, nehmen und geben erklären? Und Mindestlohn ist unsozial. Vielleicht macht der rbb dazu mal was auf? Ist ein Steckenpferd...

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