Reaktivierung von Bahnstrecken - Gegner und Befürworter der Stammbahn fordern schnelle Entscheidung

Viele Regionalbahn-Strecken in der Region sind ausgelastet. Die Begehrlichkeiten, die vor Jahren stillgelegte Stammbahn-Strecke wieder in Betrieb zu nehmen, werden größer. Doch die Meinungen über das Projekt sind geteilt. Von Thomas Rautenberg
Im Jahr 1838 fuhr der allererste Zug in Preußen vom Potsdamer Bahnhof in Berlin über Zehlendorf nach Potsdam. Eine Stunde dauerte die Fahrt, eine Revolution im Vergleich zu den Pferdekutschen, die deutlich länger unterwegs waren. Die sogenannte Stammbahn war geboren.
Nach dem Krieg und der deutschen Teilung verlor die Zugtrasse allerdings ihre Bedeutung. Die Gleise waren als Reparationsleistungen zum Teil demontiert worden. Der spätere Ost-West-Verkehr verlagerte sich auf die Stadtbahntrasse Potsdam, Wannsee, Grunewald bis hin zum Hauptbahnhof.
Enge Taktung lässt keinen zusätzlichen Verkehr zu
Die aktuelle Regionalbahnstrecke des RE1 zwischen Magdeburg, Berlin und Frankfurt (Oder) ist praktisch ausgelastet. Im Jahr 2017 hatte die DB Netz für die Stadtbahngleise zwischen Charlottenburg und Ostkreuz sogar eine Überlastungsanzeige geschrieben, sprich mehr Zugverkehr auf der Strecke ist kaum möglich. Es fehlen einfach die Kapazitäten.
Revitalisierung der Stammbahn-Strecke
Seit vielen Jahren wird bereits eine Alternative diskutiert: Die Instandsetzung und Wiederinbetriebnahme der historischen Stammbahn-Strecke. Über Potsdam, Griebnitzsee, Kleinmachnow, Zehlendorf, Potsdamer Platz und dem Hauptbahnhof könnte eine neue Verbindung entstehen. Jens Klocksin von der Bürgerinitiative "Stammbahn" ärgert sich über die Unentschlossenheit der Politik. "Reden wir von Verkehrswende, reden wir vom Klimaschutz oder wollen wir es weiterhin darauf ankommen lassen?", fragt Klocksin.

Furcht vor ICE-Zügen
Mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, ist auch eine Forderung der "Schutzgemeinschaft Stammbahn", einer Bürgerinitiative aus Kleinmachnow. Allerdings gilt das nicht für einen möglichen Ausbau der Stammbahn-Strecke. Die Anwohner fürchten, dass künftig nicht nur Regionalbahnen, sondern auch ICE-Züge durch den Ort donnern könnten. Für über 800 Millionen Euro könne es sich die Bahn nicht leisten, die Stammbahnstrecke nur für die Regionalzüge auszubauen, befürchten die Kritiker.
Wie das dann ausgehen könne, habe man bei der Dresdner Bahn gesehen, sagt Hartwig. "Den Anwohnern ist von der Politik eine Tunnel-Lösung versprochen worden und heute zerschneidet die ICE-Strecke den ganzen Ort." Außerdem gibt es für Hartwig eine Alternative, die viel schneller und viel preiswerter umzusetzen wäre: Die sogenannte Wannseebahn, auf der vor zwei Jahren noch Güterzüge gefahren sind mit Anschluss in die Berliner Mitte.
S-Bahn oder Regionalbahnbetrieb
So gegensätzlich die Interessen mancher Akteure in der Region sind - in einem Punkt sind sie sich einig: Es müsse Klarheit her, ob und wie es mit der Stammbahn-Strecke weitergehen soll. In diesem Jahr will die Berliner Landesregierung entscheiden, ob sie beim möglichen Ausbau der alten Stammbahnstrecke auf die S-Bahn oder den Regionalbahnbetrieb setzen will. Das hat Rot-Grün-Rot im Koalitionsvertrag festgelegt.
Brandenburg favorisiert eine leistungsfähige Regionalbahnanbindung für die Pendler aus der Region. Rückhalt gab es dafür von prominenter Seite: "Als dann direkt gewählter Abgeordneter würde ich mich für dieses wichtige Schieneninfrastrukturprojekt in meinem Wahlkreis einsetzen", hatte der spätere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im August des vergangenen Jahres erklärt.
Bahngipfel Ende März
Jens Klocksin von der Bürgerinitiative "Stammbahn" fordert, die Entscheidung über die Wiederbelebung des Stammbahn nicht weiter auf die lange Bank zu schieben. Am 29. März planen die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (beide SPD) den nächsten, gemeinsamen Bahngipfel abzuhalten. "Wir sollten endlich wissen, woran wir sind. Wir müssen nun entscheiden, denn geprüft wurde lange genug", so Klocksin.
Sendung: Inforadio, 07.02.2022, 6:08 Uhr