Mit dem Nachtzug von Berlin in die Schweiz - Abends Spree, morgens Zürichsee
In Berlin einschlafen, in Zürich aufwachen: Nachtzüge sollen eine klimaschonende Alternative zum Flugzeug bieten. Europaweit wird das Angebot ausgebaut. Können Komfort und Preise die längere Reisezeit aufwiegen? Ein Selbsttest: von Clara Ehrmann
70 Minuten Verspätung hat der Zug in Berlin. Ein Bahn-Klassiker. Es ist kalt am Gleis, und so habe ich beim Einstieg in den Waggon nur einen Wunsch: Ich hoffe, dass es warm ist. Zwischen der deutschen Hauptstadt und der geschäftigsten Stadt der Schweiz fährt jede Nacht ein Zug, den die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) betreibt.
Die Tickets für die Züge gibt es an Schaltern und Automaten der Deutschen Bahn oder einfach online, natürlich auch bei der ÖBB. Dort lohnt es sich, das Ticket schon ab einem halben Jahr vorher zu buchen. Dann ergattert man die sogenannte Sparschiene, also den günstigsten Preis.
Mehr als zwölf Stunden werde ich in einem kleinen Abteil verbringen. So klein, dass direkt beim Betreten neue Strategien entwickelt werden müssen. Ich glaube, das Gepäck muss ich draußen lassen. Das wird hier heute Nacht schon ein bisschen Tetris. Am Ende passt aber doch alles.
Drei Quadratmeter, Ohropax und Snacks
Das Abteil ist ein Schlafwagenabteil für zwei Personen, die Betten ähneln einem Stockbett. Der Raum misst zirka zwei mal 1,5 Meter. Warm ist es glücklicherweise, die Temperatur lässt sich regeln, ebenso wie das Licht.
Der Schlafwagen ist die beste von drei Kategorien in diesem Zug, es gibt auch Liege- und Sitzwagen. Ein Duschbad gibt es auf dem Flur, aber im Abteil ist immerhin ein Waschbecken. Das günstigste Ticket für eine Person kostet rund 140 Euro für eine Fahrt, die Zweierbelegung 180 Euro. Mit dabei: eine Geschenktüte. Darin unter anderem Ohropax und Snacks, beides essenziell für eine solche Reise.
Ich mache mich auf, um zu schauen, wie der Rest des Zuges so schläft. Inzwischen rattert die Bahn gen Westen, es ruckelt ordentlich und der Weg zur ersten "Besichtigung" ist etwas wackelig.
CO2-Ausstoß einer Flugreise ist sechsmal höher
Erster Stopp: ein Liegewagen. Bis zu sechs Personen schlafen hier in einem Abteil, in diesem Fall sind es nur vier. Darunter Maya Chelmis, die in Zürich wohnt und drei bis vier Mal im Jahr mit dem Nachtzug nach Berlin und zurückfährt. "Ich habe ausgewählt, in einem Abteil mit vier Personen und nur Damen zu schlafen", erzählt sie, und dass ihr das wichtig sei, nicht mit drei fremden Männern das Abteil zu teilen.
Ich unterhalte mich ein wenig mit ihr und erfahre, dass Maya Nachtzug fährt, weil sie nicht mehr so oft fliegen möchte. Fast sechsmal so hoch wäre der CO2-Ausstoß bei einem Flug von Berlin nach Zürich. Wenn man allein mit dem Auto fährt, liegt man bei einem ähnlichen Wert.
Rund 195 Euro hat Maya für Hin- und Rückfahrt bezahlt, bucht man früh genug, gibt es das Ticket ab 50 Euro. Eine gemütliche warme Decke wie im Schlafwagen gibt es hier nicht, nur eine leichte Dünne. Auch ein Waschbecken fehlt. Licht und Temperatur lassen sich trotzdem regeln, man muss sich mit den Mitfahrenden nur einig werden.
Kein WLAN im Zug
Die nächste Station ist nur etwas für die ganz Harten: der Sitzwagen. Dort gibt es Tickets schon ab 30 Euro. Mit Glück lassen sich zwei Sitze zum Hinlegen etwas zusammenschieben. Am Reisetag ist der Zug allerdings sehr voll, unter anderem auch, weil viele Menschen aus der Ukraine im Zug sind. So wie Alex - er ist 27 und schon den ganzen Tag unterwegs. Jetzt auch noch die Nacht.
Ob er überhaupt schlafen können wird, frage ich ihn. Alex verneint. "Ich hab einige gute TV-Sendungen heruntergeladen", sagt er. Er ist gut vorbereitet, denn WLAN gibt es im Zug nicht. Und weil es in dieser Klasse keine Geschenktütchen gibt, teile ich meine Snacks mit ihm, so wie es sich zum Serien gucken gehört.
Alex wird am frühen Morgen in Offenburg umsteigen, dann dauert es nur noch ein paar Stunden, bis er seine Frau und seinen kleinen Sohn wiedersieht. Ich schaue später nochmal, ob er tatsächlich kein Auge zumachen wird. Mittlerweile ist es fast Mitternacht, und während der Zug durch Magdeburg Richtung Hannover tuckert, wanke ich zurück in den Schlafwagen.
Verspätung heißt auch länger schlafen
Dort angekommen fragt Zugbegleiter Jezek nach der Frühstücksbestellung. Die ist inklusive, bis zu sechs Dinge darf man auswählen. Nur Abendessen kostet extra. Auch eine Weckzeit wird ausgemacht, und weil Jezek schon mal da ist, checkt er auch noch das Ticket.
Als ich etwas später gerade am winzigen Waschbecken meine Zähne putze, rumst es einmal ordentlich – ein weiterer Waggon wird angedockt. Da wäre mir fast die Zahnbürste in den Rachen gefallen. Ist aber alles nochmal gut gegangen. Dann wird es stiller, auf der Strecke Berlin-Zürich. Nach Mitternacht gehen auch die Letzten ins Bett. Da rein gekuschelt ist es doch ganz bequem. Während der Zug auch mich in den Schlaf ruckelt, ist Alex im Sitzwagen noch wach und schaut weiter Serien.
Sechs Uhr morgens, ich werde kurz wach. Wir sind gerade bei Frankfurt am Main. Man schläft nicht so ganz durch, aber das Geruckel ist eigentlich ganz angenehm. So schlafe ich direkt nochmal ein. Um 7:30 Uhr hat der Zug inzwischen fast zwei Stunden Verspätung und ist immerhin kurz vor Offenburg. Verspätung bedeutet aber auch: noch ein bisschen länger schlafen.
Betten mit 1,90 Metern Länge
Etwas später bin ich dann aber wach genug, um eine erste Einschätzung zu geben: Zwischendurch taten auf jeden Fall meine Beine weh, weil ich die nicht richtig ausstrecken konnte. Ich werde es mal mit Duschen probieren. Ich tappe Richtung Dusche im Flur, ich bin nicht die erste heute Morgen. Spa-Feeling ist anders. Und wenn dann der Rücken und der Po beim Duschen an die Wände kommen, ist das nicht so meins. Es gibt auch die Möglichkeit, ein Bad nur für sich im Abteil zu haben. Das ist dann die teurere, die Deluxe-Version des Schlafwagenabteils.
Frisch geduscht wird aber das Handy zum Nachmessen des Bettes nochmal ausgepackt. Mit 1,90 m Länge und circa 80 cm Breite ist es eigentlich groß genug, aber das gerät schnell in den Hintergrund, denn es ist Frühstückszeit. Zugbegleiter Jezek packt dafür die Betten weg, klappt eine Bank aus und mit frischen Brötchen, Joghurt und heißem Kaffee lässt es sich gut aushalten.
Während ich frühstücke, erreicht der Zug um kurz nach 9 Uhr Basel und damit endlich die Schweiz. Viele Leute sind schon ausgestiegen. Der Rest im Zug macht sich langsam fertig. Ich schaue nochmal bei Maya Chelmis vorbei.
Nach Zwölf Stunden Fahrt in Zürich
"Na, wie war‘s heute Nacht", frage ich. "Eigentlich ziemlich gut geschlafen", antwortet eine frisch erholte Maya. Ohrstöpsel seien ihr Trick und "einfach entspannt sein und Melatonin hilft auch". Die Wirksamkeit des Schlafhormons Melatonin gilt als umstritten, aber Maya hat es geholfen.
Nach einer kurzen Verabschiedung erreicht der Zug nach zwölfeinhalb Stunden Fahrt Zürich - zwei Stunden später als geplant. Und dann kann tatsächlich auch schon der erste Tag in Zürich anbrechen. In der Schweizer Sonne sitzend ist Gelegenheit für ein Fazit: Ganz ehrlich, ich glaube, ich würde jetzt nicht nächsten Monat wieder in den Nachtzug steigen. Nächstes Jahr, das reicht. Aber wenn man früh bucht, so an ein günstiges Ticket kommt und dazu ein paar Tricks wie Ohrstöpsel beachtet, dann kann das Abenteuer Nachtzug durchaus attraktiv sein.
Sendung: Super.Markt, 04.04.22, 20:15 Uhr