Mit dem Nachtzug von Berlin in die Schweiz - Abends Spree, morgens Zürichsee

Sa 09.04.22 | 15:37 Uhr | Von Clara Ehrmann
  49
Ein Nightjet Zug der ÖBB steht am Gleis. (Quelle: dpa/Georg Hochmuth)
dpa/Georg Hochmuth
Video: Super.Markt | 04.04.2022 | Clara Ehrmann | Bild: dpa/Georg Hochmuth

In Berlin einschlafen, in Zürich aufwachen: Nachtzüge sollen eine klimaschonende Alternative zum Flugzeug bieten. Europaweit wird das Angebot ausgebaut. Können Komfort und Preise die längere Reisezeit aufwiegen? Ein Selbsttest: von Clara Ehrmann

70 Minuten Verspätung hat der Zug in Berlin. Ein Bahn-Klassiker. Es ist kalt am Gleis, und so habe ich beim Einstieg in den Waggon nur einen Wunsch: Ich hoffe, dass es warm ist. Zwischen der deutschen Hauptstadt und der geschäftigsten Stadt der Schweiz fährt jede Nacht ein Zug, den die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) betreibt.

Die Tickets für die Züge gibt es an Schaltern und Automaten der Deutschen Bahn oder einfach online, natürlich auch bei der ÖBB. Dort lohnt es sich, das Ticket schon ab einem halben Jahr vorher zu buchen. Dann ergattert man die sogenannte Sparschiene, also den günstigsten Preis.

Mehr als zwölf Stunden werde ich in einem kleinen Abteil verbringen. So klein, dass direkt beim Betreten neue Strategien entwickelt werden müssen. Ich glaube, das Gepäck muss ich draußen lassen. Das wird hier heute Nacht schon ein bisschen Tetris. Am Ende passt aber doch alles.

Drei Quadratmeter, Ohropax und Snacks

Das Abteil ist ein Schlafwagenabteil für zwei Personen, die Betten ähneln einem Stockbett. Der Raum misst zirka zwei mal 1,5 Meter. Warm ist es glücklicherweise, die Temperatur lässt sich regeln, ebenso wie das Licht.

Der Schlafwagen ist die beste von drei Kategorien in diesem Zug, es gibt auch Liege- und Sitzwagen. Ein Duschbad gibt es auf dem Flur, aber im Abteil ist immerhin ein Waschbecken. Das günstigste Ticket für eine Person kostet rund 140 Euro für eine Fahrt, die Zweierbelegung 180 Euro. Mit dabei: eine Geschenktüte. Darin unter anderem Ohropax und Snacks, beides essenziell für eine solche Reise.

Ich mache mich auf, um zu schauen, wie der Rest des Zuges so schläft. Inzwischen rattert die Bahn gen Westen, es ruckelt ordentlich und der Weg zur ersten "Besichtigung" ist etwas wackelig.

CO2-Ausstoß einer Flugreise ist sechsmal höher

Erster Stopp: ein Liegewagen. Bis zu sechs Personen schlafen hier in einem Abteil, in diesem Fall sind es nur vier. Darunter Maya Chelmis, die in Zürich wohnt und drei bis vier Mal im Jahr mit dem Nachtzug nach Berlin und zurückfährt. "Ich habe ausgewählt, in einem Abteil mit vier Personen und nur Damen zu schlafen", erzählt sie, und dass ihr das wichtig sei, nicht mit drei fremden Männern das Abteil zu teilen.

Ich unterhalte mich ein wenig mit ihr und erfahre, dass Maya Nachtzug fährt, weil sie nicht mehr so oft fliegen möchte. Fast sechsmal so hoch wäre der CO2-Ausstoß bei einem Flug von Berlin nach Zürich. Wenn man allein mit dem Auto fährt, liegt man bei einem ähnlichen Wert.

Rund 195 Euro hat Maya für Hin- und Rückfahrt bezahlt, bucht man früh genug, gibt es das Ticket ab 50 Euro. Eine gemütliche warme Decke wie im Schlafwagen gibt es hier nicht, nur eine leichte Dünne. Auch ein Waschbecken fehlt. Licht und Temperatur lassen sich trotzdem regeln, man muss sich mit den Mitfahrenden nur einig werden.

Kein WLAN im Zug

Die nächste Station ist nur etwas für die ganz Harten: der Sitzwagen. Dort gibt es Tickets schon ab 30 Euro. Mit Glück lassen sich zwei Sitze zum Hinlegen etwas zusammenschieben. Am Reisetag ist der Zug allerdings sehr voll, unter anderem auch, weil viele Menschen aus der Ukraine im Zug sind. So wie Alex - er ist 27 und schon den ganzen Tag unterwegs. Jetzt auch noch die Nacht.

Ob er überhaupt schlafen können wird, frage ich ihn. Alex verneint. "Ich hab einige gute TV-Sendungen heruntergeladen", sagt er. Er ist gut vorbereitet, denn WLAN gibt es im Zug nicht. Und weil es in dieser Klasse keine Geschenktütchen gibt, teile ich meine Snacks mit ihm, so wie es sich zum Serien gucken gehört.

Alex wird am frühen Morgen in Offenburg umsteigen, dann dauert es nur noch ein paar Stunden, bis er seine Frau und seinen kleinen Sohn wiedersieht. Ich schaue später nochmal, ob er tatsächlich kein Auge zumachen wird. Mittlerweile ist es fast Mitternacht, und während der Zug durch Magdeburg Richtung Hannover tuckert, wanke ich zurück in den Schlafwagen.

Verspätung heißt auch länger schlafen

Dort angekommen fragt Zugbegleiter Jezek nach der Frühstücksbestellung. Die ist inklusive, bis zu sechs Dinge darf man auswählen. Nur Abendessen kostet extra. Auch eine Weckzeit wird ausgemacht, und weil Jezek schon mal da ist, checkt er auch noch das Ticket.

Als ich etwas später gerade am winzigen Waschbecken meine Zähne putze, rumst es einmal ordentlich – ein weiterer Waggon wird angedockt. Da wäre mir fast die Zahnbürste in den Rachen gefallen. Ist aber alles nochmal gut gegangen. Dann wird es stiller, auf der Strecke Berlin-Zürich. Nach Mitternacht gehen auch die Letzten ins Bett. Da rein gekuschelt ist es doch ganz bequem. Während der Zug auch mich in den Schlaf ruckelt, ist Alex im Sitzwagen noch wach und schaut weiter Serien.

Sechs Uhr morgens, ich werde kurz wach. Wir sind gerade bei Frankfurt am Main. Man schläft nicht so ganz durch, aber das Geruckel ist eigentlich ganz angenehm. So schlafe ich direkt nochmal ein. Um 7:30 Uhr hat der Zug inzwischen fast zwei Stunden Verspätung und ist immerhin kurz vor Offenburg. Verspätung bedeutet aber auch: noch ein bisschen länger schlafen.

Betten mit 1,90 Metern Länge

Etwas später bin ich dann aber wach genug, um eine erste Einschätzung zu geben: Zwischendurch taten auf jeden Fall meine Beine weh, weil ich die nicht richtig ausstrecken konnte. Ich werde es mal mit Duschen probieren. Ich tappe Richtung Dusche im Flur, ich bin nicht die erste heute Morgen. Spa-Feeling ist anders. Und wenn dann der Rücken und der Po beim Duschen an die Wände kommen, ist das nicht so meins. Es gibt auch die Möglichkeit, ein Bad nur für sich im Abteil zu haben. Das ist dann die teurere, die Deluxe-Version des Schlafwagenabteils.

Frisch geduscht wird aber das Handy zum Nachmessen des Bettes nochmal ausgepackt. Mit 1,90 m Länge und circa 80 cm Breite ist es eigentlich groß genug, aber das gerät schnell in den Hintergrund, denn es ist Frühstückszeit. Zugbegleiter Jezek packt dafür die Betten weg, klappt eine Bank aus und mit frischen Brötchen, Joghurt und heißem Kaffee lässt es sich gut aushalten.

Während ich frühstücke, erreicht der Zug um kurz nach 9 Uhr Basel und damit endlich die Schweiz. Viele Leute sind schon ausgestiegen. Der Rest im Zug macht sich langsam fertig. Ich schaue nochmal bei Maya Chelmis vorbei.

Nach Zwölf Stunden Fahrt in Zürich

"Na, wie war‘s heute Nacht", frage ich. "Eigentlich ziemlich gut geschlafen", antwortet eine frisch erholte Maya. Ohrstöpsel seien ihr Trick und "einfach entspannt sein und Melatonin hilft auch". Die Wirksamkeit des Schlafhormons Melatonin gilt als umstritten, aber Maya hat es geholfen.

Nach einer kurzen Verabschiedung erreicht der Zug nach zwölfeinhalb Stunden Fahrt Zürich - zwei Stunden später als geplant. Und dann kann tatsächlich auch schon der erste Tag in Zürich anbrechen. In der Schweizer Sonne sitzend ist Gelegenheit für ein Fazit: Ganz ehrlich, ich glaube, ich würde jetzt nicht nächsten Monat wieder in den Nachtzug steigen. Nächstes Jahr, das reicht. Aber wenn man früh bucht, so an ein günstiges Ticket kommt und dazu ein paar Tricks wie Ohrstöpsel beachtet, dann kann das Abenteuer Nachtzug durchaus attraktiv sein.

Sendung: Super.Markt, 04.04.22, 20:15 Uhr

Beitrag von Clara Ehrmann

49 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 49.

    Natürlich, gegen einiges an Aufpreis geht vieles. Aber dann ist es eben auch erst recht nichts mehr mit der Mär, dass das Fliegen immer billiger sei.
    Aber für den Hinweis mit dem WLAN bei Norwegian vielen Dank! Das wusste ich wirklich nicht... :-)

  2. 48.

    Verstehe ich jetzt nicht, den Einwand. :-)
    Ihnen kann ja in dem, was ich geschrieben habe, an sich nicht entgangen sein, dass meine Erfahrungen eben sehr gut waren und so etwas nicht beinhalteten.
    Oder haben Sie es gar nicht richtig gelesen? :-)

  3. 47.

    Leider sind die Ansichten nicht aktuell. Klar kann man auch ein Schlafwagenabteil buchen. Allerdings sind die noch teurer und noch kleiner.

    Ich nutzte die Liegewagen viele Jahre selbst. Gepäck stand oft im Gang zwischen den Liegen, sodass die oben untergebrachten Reisenden ihre liege nicht verlassen konnten.

    Neulich fuhr ich mit dem Nachtzug nach Budapest. Inkl. siffiger Klos, schreiender Kinder und stinkender Gäste im gleichen Abteil.

    Und genau daran muss die ÖBB arbeiten und zwar dringend

  4. 46.

    Ich kann Ihre Aussage leider nicht bestätigen!
    Zug immer sauber, pünktlich, ausreichend Platz, Motorräder einschl. Gepäck sicher verstaut, nette Mitreisende.

    Billigflieger nehmen mich nicht mit, denn ich buche da keine Tickets. Entweder eigenes Auto Richtung Kärnten oder Urlaub in Deutschland. Ich vermisse die DB Autozüge ab Wannsee.

  5. 45.

    Also auf den Seiten der Anbieter kann man sich auch 360Grad Ansichten "reinziehen". So eine Schlafkabine ist schon ein bisschen spartanisch. Da hilft in der "DeLuxe-Version" auch die "eigene" Nasszelle nur bedingt (aber eine Option wäre das schon). Insgesamt vll. ein Feeling wie im alten Camping T1-Bully an die Adria. Aber Spass hat das schon gemacht - "damals". Allerdings sind wohl ab 2023 auch neue Versionen der Nightjets auf den Webseiten angekündigt. Die sehen echt knuffig auf, sollen auch ein WLAN u.a. Gimmiks haben. Auch hier sind Rumdumansichten verfügbar.
    Quellen? Es ist bald Ostern .... viel Spass beim Suchen.

  6. 44.

    Das Flüchtlinge kein Gepäck mitnehmen durften, stimmt nicht. Es gibt keine Weisung, die das vorschreibt.

    Ich arbeite in einer Behörde und habe tagtäglich mit Flüchtlingen zutun. Daher weiß ich, dass es nicht stimmt, dass Flüchtlinge kein Gepäck mitnehmen durften.

  7. 43.

    Wenn Ihre Aussage richtig wäre und so viele Kunden diesem Angebot nachtrauern - warum sind sie denn mit wehenden Fahnen zu den Fliegern gewechselt? Die Bahn war schon damals viel zu teuer, zu Unpünktlichkeit, zu langsam. Außerdem waren die Abteile früher auch nicht größer. Selbst an der Sauberkeit wurde nicht gearbeitet. Die Sanitäranlagen sind heute genauso dreckig wie früher.

    Ich selbst habe damals die Autozüge genutzt und nach fast jeder Fahrt Ärger wegen Lackschäden an meinem Auto gehabt.

  8. 42.

    Wenn Sie sich nicht si viele Sirgen im doe Ukriane machen würden, wäre Uhnen der Teil der Artikelserie des RBB über geplante Nachtzügen eben von Berlin nach München aufgefallen. Genau wie hier die ÖBB werden auch von dem anderen Betreiber von der DB gekaufte Wagen eingesetzt, mit deren Betten Sie damals zufrieden gewesen sind. Sind Sie seitdem gewachsen? Ähnlich woe in Berlin braucht es dabei des ÖPNV auch in München keiner privaten CO2-Schleuder woe man von dort auch gut mit dem SPNV in die Touri-Gebiete kommt.

  9. 41.

    Richtig, Ich träume trotz ICE weiter vom Nacht-Autozug mit ausreichend großem Schlafabteil, denn sowas gab's bereits in den 90 ern und wurde u a wegen der Billigflüge abgeschafft. Das hat bei vielen Leuten damals wie heute zu Unverständnis geführt.

  10. 40.

    Leider ist die Nutzung der Bahn viel zu teuer. Daher auch keine Alternative zum Fliegen.

    Was nützt es, wenn man ein Bahnticket schon Wochen im voraus. buchen muss um einen guten Preis zu bekommen?

    Verkehrswende funktioniert nur. wenn Bahnfahren billiger, schneller und viel flexibler wird.

  11. 39.

    Also lieber enges Abteil mit viel zu wenig Platz dafür aber mit verdreckten Sanitäreinrichtungen?

  12. 38.

    Norwegian Airlines biete Internet auf den Flügen an. Ebenso haben viele Gesellschaften TV Entertainment.

    Leider gibt's in Nachtzüge keine Möglichkeit, das Gepäck außerhalb des Anteils verschlossen aufzubewahren.

    Im Flieger kann man soviel Gepäck mitnehmen, wie man will. Gegen Aufpreis.
    Ich habe schon sehr oft diese Züge genutzt. Wenn man einen großen Koffer mitnimmt, muss der im engen Gang im Abteil stehen. Da kann esassieten, dass die Reisenden oben ihre liege nicht verlassen können.

  13. 37.

    Die Bahn verkauft bei Interesse die alten Wagen an andere Bahnen. Die Bahn, über die hier berichtet wird, hat von der Bahn viele dieser Wagen übernommen. Auch andere Bahnen bieten Nachtzüge mit von der Bahn gekauften Wagen an.

  14. 36.

    Die Nachtzüge, von denen Sie trotz des Angrifskrieges in der Ukraine träumen, wird es zumindest in der Wintersaison geben. Sie müssen allerdings in München auf Ihren PKW verzichten. Ansonsten können Sie auch gemäß regulärem Fahrplan morgens in Berlin einen ICE besteigen und sind nach vier Stunden Fahrt gegen zehn Uhr in der Bayrischen Landeshauptstadt.

  15. 35.

    Richtigerweise müsste man sagen, kommt drauf an. Was den Preis angeht.
    Und wenn billig heißt, morgens halb sieben ab Schönefeld oder gegen Mitternacht ankommen, nein danke.
    Das ist für mich nicht die Spur von entspannt, von dem ganzen Prozedere und Rumgestehe am Flughafen mal ganz abgesehen.
    Aber so entscheidet das eben jeder für sich, nicht wahr? :-)

  16. 34.

    Soso, und das Flugzeug bietet natürlich WLAN und TV?
    Und beliebig viel und großes Gepäck können Sie auch umsonst mitnehmen und an Ihrem Platz verstauen?
    Schon interessant, welche Maßstäbe hier bei einem Verkehrsmittel angelegt werden und bei anderen nicht.. :-)

  17. 33.

    @Joachim Köhne: Verkauft zum Teil. Aber in Mukran stehen sehr viele (Nacht-) Züge mit Bahnlogo. Es eine Schande, wie Steuergelder dort einfach verotten. Aber die Bahn ist an dem Angeboten und Plänen (noch?) nicht involviert.

  18. 31.

    Etwas unbequem? Viel zu unbequem und vor allem viel zu teuer.

    Somit sind diese Züge keine Alternative zu billigeren Flügen, die man ohne Probleme für das Gepäck nutzen kann.

    Sie müssen ja viel Geld haben, um diese Züge nutzen zu können

  19. 30.

    Es geht, entgegen Ihren Einlassungen, überhaupt nicht um monetäre Aspekte!
    Es geht lediglich um schnelles und komfortables Reisen.

    Und unter diesen Aspekten will man doch nicht 12 Stunden in einem Schuhkarton, womöglich noch mit fremden Menschen, und versifften Bahntoiletten verbringen.

Nächster Artikel