Erneuerbare Energien - Warum Windkraft auf dem eigenen Dach (noch) nicht viel bringt

Die Energiepreise steigen und steigen. Eigenheimbesitzer, aber auch Mieter machen sich Gedanken, wie man selber Strom erzeugen und unabhängiger werden kann. Auch Windkraft rückt als Alternative zunehmend in den Fokus. Von Marcus Latton
65 Meter hoch, 398 Wohnungen - das ist eines der neuen Hochhaus-Projekte des kommunalen Berliner Wohnungsbauunternehmens Howoge an der Frankfurter Allee. Im Herbst 2022 soll das Gebäude bezugsfertig sein. Oben auf dem Dach stehen jedoch keine Solarzellen. Vielmehr sind die Fundamente für vier große Windkrafträder errichtet worden. Sie sollen 80 Wohnungen mit Strom versorgen können. Ob es dazu kommen wird, ist derzeit aber noch nicht gesichert.
Heute im rbb-Fernsehen (20:15 Uhr): "Wir müssen reden!" zum Thema "Neue Energiedebatte - Muss der Kohleausstieg verschoben werden?"
"Die Windkraftanlagen, die wir dimensioniert haben, sind nicht überbordend groß, aber offensichtlich erzeugen sie so viel Besorgnis, dass man uns keine Genehmigung erteilen will", sagt Howoge-Geschäftsführer Ulrich Schiller. Die Argumente, die im laufenden Genehmigungsvorgang gegen die Windkraftanlagen gebracht wurden, lauteten unter anderem: potenzielle Lärmbelästigung und Eis, das sich an den Anlagen ansammeln und herunterfallen könnte – ein Risiko, die Schiller als nicht gegeben sieht, weil die Rotorblätter nicht über die Dachflächen hinausragen. "Meines Erachtens sind das Argumente, die vorgebracht werden, um etwas zu verhindern. In die Zeit passen sie nicht mehr."
Im Gegensatz zur Photovoltaik hätten bisher nicht viele Eigentümer und Wohnungsbauer versucht, die umstrittene Windkraft in der Großstadt einzusetzen. Ein unternehmerisches Risiko, das sich erst auszahlen und in der Praxis beweisen muss. "Wenn es gelingt, ein solches Projekt in der Praxis umzusetzen, dann werden wir als Alternative zur Photovoltaikanlage auch solche kleinen Windkraftanlagen sehen."
Solar führt vor Windkraft
Die Howoge wagt das Experiment als kommunales Unternehmen mit vergleichsweise leistungsstarken Windrädern in großer Höhe. Für Privatleute mit Eigenheim stehen jedoch nur kleinere Windkraftanlagen zur Verfügung. 3.000 bis 10.000 Euro pro Kilowattleistung kosten diese - deutlich mehr als Photovoltaikanlagen trotz geringerer Leistungsfähigkeit. "Bei einer entlegenen Hütte auf einem Berg können die durchaus Sinn machen, weil sie an windstarken Standorten installiert werden müssen", sagt Joshua Jahn von der Verbraucherzentrale Brandenburg. "Aber bei Wohngebäuden sind die momentan noch nicht wirtschaftlich."
Probleme der Photovoltaik: Handwerkermangel und Lieferprobleme
Während Verbraucherschützer von Windkraft für Privatleute derzeit abraten, sieht die Lage bei Sonnenenergie anders aus. Wirtschaftlich sind Photovoltaikanlagen für viele schon. Doch hier kämpft man mit anderen Problemen: Handwerkermangel und Lieferschwierigkeiten lassen viele Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer auf ihre Anlagen warten; derzeit oft mehrere Monate. Wer die Möglichkeit hat, für den ist eine Photovoltaikanlage fürs Eigenheim dennoch sinnvoll. "Es ist immer gut, wenn man seinen eigenen Strom erzeugen kann. Durch die Einsparungen an Stromkosten hat man seine Investition nach zehn oder zwölf Jahren wieder reingeholt", so Verbraucherschützer Jahn.
Strom vom eigenen Balkon
Wer keine eigene Dachfläche, aber als Mieter einen Balkon hat, für den gibt es eine Alternative: Kleinsolarzellen mit bis zu 600 Watt. Kostenpunkt: 100 bis 1.000 Euro. Der Handwerkermangel ist hier nicht zwangsläufig ein Problem, denn die Anlagen sind bei guter Vorbereitung von Laien montierbar. Zum Stromsparen seien diese Geräte empfehlenswert - allerdings mit Einschränkungen. Denn was ihre Leistung betrifft, seien ihnen Grenzen gesetzt, gibt Elisa Förster zu Bedenken, Leiterin des Solarzentrums Berlin. "Bei den Balkonmodulen ist es so, dass die Leistung, die rauskommt, immer direkt irgendwo verbraucht werden muss. Das ist meistens weniger als die Grundlast." Mit anderen Worten: Seinen kompletten Strom selber erzeugen kann man mit diesen Geräten eher nicht. Die geerntete Energie hänge zudem ab von der Lage des Balkons und der Dauer der Sonneneinstrahlung.
Ein weiterer Wertmutstropfen: Laut Verbraucherzentrale Brandenburg gibt es bei den Kleinsolarzellen die gleichen Probleme wie bei den größeren Anlagen. Sie kämpfen mit Lieferproblemen und sind vielerorts ausverkauft.
Sendung: rbb24 Abendschau, 05.04.2022, 19:30 Uhr