Digitaler Marktplatz - Berlin und Brandenburg setzen auf Wasserstoff als Weg aus dem Energie-Dilemma
Klima und Krieg rücken einen Energierohstoff wieder in den Fokus: Wasserstoff. Ein digitaler Marktplatz soll in der Region nun den Ausbau unterstützen. Doch um die Energieversorgung nachhaltig umzubauen, braucht es "grünen" Wasserstoff. Von Martin Küper
Was der regionalen Wasserstoffindustrie Schwung verleihen soll, sieht wie eine weitere Online-Landkarte aus: lauter Punkte, Zahlen und Grafiken, bunt über die Region verteilt. Fakten und Adressen ploppen beim Draufklicken auf.
Seit Montag haben Berlin und Brandenburg einen digitalen Marktplatz zur Wasserstoffwirtschaft ins Leben gerufen. Hier können Interessierte ihre Vorhaben präsentieren und nach geeigneten Geschäftspartnern suchen. Das funktioniert im Grunde wie ein Kleinanzeigenportal: Der eine sucht, der andere bietet an. Der Unterschied ist, dass es hier um etwas Großes geht: die Zukunft der Energieversorgung.
Kathrin Goldammer hat die digitale Plattform mitentwickelt. Sie ist Elektroingenieurin und Geschäftsführerin des Reiner-Lemoine-Instituts, das dieses Branchen-Tool entwickelt hat: "Wir gehen jetzt in die Phase des Einsatzes von Wasserstoff. Aber was fehlt, ist eben zu wissen, wo gibt es eigentlich in der Region einen Anbieter dafür, wo gibt es Bedarfe, und genau diesen Schritt soll der Wasserstoffmarktplatz schließen."
Der komplizierte Rohstoff
Wenn Goldammer von Wasserstoff spricht, meint sie grünen Wasserstoff. Grün heißt hier: der Wasserstoff wurde mit grünem Strom produziert. Genau das nämlich ist das Problem dieser Energiequelle: Sie selbst ist zwar emissionsfrei, doch um sie im Elektrolyseverfahren herzustellen, braucht man Strom. Und nur, wenn der Co2-neutral produziert wurde, darf sich Wasserstoff grün nennen.
Noch aber wird der größte Teil der Wasserstoff-Mengen mit Erdgas-, Kohle- oder Kernenergie hergestellt. Kritiker halten ihn daher für ungeeignet, die Energieversorgung nachhaltig umzubauen. Im Kern geht es in der Wasserstoff-Diskussion daher vor allem darum, ob sich genug erneuerbare Energie produzieren lässt, um dann mit ihr wiederum das begehrte chemische Element H2 zu produzieren. Beispiele dafür gibt es schon seit Jahren: das Hybridkraftwerk in Prenzlau zum Beispiel produziert mit überschüssigen Wind- und Sonnenkilowattstunden Wasserstoff und nutzt ihn so als Speicher. Genau das ist die Lösung, glaubt Goldammer: "Also wenn wir 2030 oder 2050 dekarbonisiert sein wollen, auch in den chemischen Bereichen: Wie sollen wir das machen? Ein Weg dazu ist der grüne Wasserstoff."

Wasserstoff als Treibstoff
Seit 2015 baut die Berliner Firma H2Mobility an einem deutschlandweiten Tankstellennetz für Wasserstoff. Knapp einhundert Zapfsäulen sind bereits errichtet, und die Projektkarte ist voll mit weiteren Standorten. Fahrzeuge mit einer Wasserstoff-Brennzelle haben bessere Reichweiten als Elektroautos und auch der Tankvorgang dauert nur ein paar Minuten. Kostenpunkt für 1 Kilo Wasserstoff sind derzeit 9 Euro 50, das reicht dann für rund einhundert Kilometer. In den Tank kommt allerdings immer noch großenteils der so genannte "graue" Wasserstoff, und der wurde mit Erdgasstrom produziert. Die Aufgabe von H2-Nachhaltigkeitsmanager Eike Diercks ist es, das zu verändern: "H2 Mobility hat sich ja als Ziel gesetzt, 100 Prozent grünen Wasserstoff zu beziehen. Und das wollen wir jetzt auch schnellstmöglichst erreichen. Derzeit liegt der Anteil bei etwa 38 Prozent. Wir würden auch gern mehr machen."
Gerade einmal 2000 Wasserstoff-Pkw sind in Deutschland derzeit registriert. Es ist wie bei den E-Fahrzeugen: in den Anfangsjahren sind mit rund 60.000 Euro die Preise für ein Auto so hoch, dass sie sich nur eine kleine Minderheit leisten will. Damit sich ein Tankstellennetz überhaupt sinnvoll unterhalten lässt, setzen die Betreiber auf andere Abnehmer: vor allem Bus-Unternehmer oder Spediteure. Denn Brennstoffzellen nehmen deutlich weniger Platz ein als Batterien, daher sind sie für den Schwerlastverkehr interessant, ebenso für Flugzeuge und Schiffe.

Projekte in der Region
So liegt im Berliner Westhafen derzeit die "Elektra" fest vertäut: ein kompaktes Kanalschubboot, das im Mai mit seinen Probefahrten beginnt. Co2-freie Binnenschifffahrt war seit vielen Jahren vor allem eine Vision. Die "Elektra2 soll zeigen, dass es mit Brennstoffzellen und Wasserstoff anders geht. Projektführer für das Schiff ist die TU Berlin, die das Projekt zusammen mit der Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft Behala vorantreibt. Professor Gerd Holbach von der Fakultät Verkehrswesen ist überzeugt, dass hier trotz hoher Investitionskosten die Zukunft liegt: "Technologisch gesehen wird man in fünf Jahren ausgereifte Lösungen präsentieren können. In 10 Jahren wird sich das auf Europas Binnenschifffahrtswegen bemerkbar machen. Die Welt wird insgesamt hybrider, als wir uns das heute vorstellen können.“
In Brandenburg soll aus der Kohle-geprägten Energieregion Lausitz eine Wasserstoff-Region werden: Konkret geht es beispielsweise um ein Wasserstoff-Kraftwerk in Schwarze Pumpe, an dem Energietechniker und Universitäten gerade tüfteln. In Rüdersdorf wird die Möglichkeit geprüft, unterirdische Speicher für Wasserstoff-Reserven zu erschließen und in der Region Barnim-Uckermark sind weitere 800 Windräder in Planung, die die Produktion grünen Wasserstoffs vorantreiben sollen.
Wasserstoff-Pläne auch in Eisenhüttenstadt: Das energieverschlingende Stahlwerk braucht dringend eine nachhaltige Alternative zur bisher genutzten Kohle, schon allein, weil die Co2-Abgaben jährlich deutlich steigen. Marktplatz-Entwicklerin Kathrin Goldammer ist sich sicher, dass das richtige Weg ist: "Entweder werden fossile Energieträger teuer, Stichwort Erdgaspreise im Moment, oder wir haben hohe Preise für Co2, oder hohe Steuern auf Co2, so dass sich diese grünen Technologien durchsetzen."
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.04.2022, 12:05 Uhr