Azubi-Mangel - Warum es bei Betrieben und Auszubildenden nicht funkt
Seit Jahren klagen Betriebe darüber, dass sie keine Auszubildenden finden. Besonders düster sieht es im Handwerk aus, aber auch in der Industrie gibt es Probleme. Doch um die Lücken zu füllen, gibt es auch Lösungsideen. Von Mara Nolte
"Momentan haben wir noch gar keine Bewerbung" sagt Anita Krause. Sie ist Ausbildungsverantwortliche bei der Firma KST in Berlin. Das Unternehmen stellt Kraftwerksteile her. Dafür suchen sie unter anderem Zerspanungsmechaniker. Dass sich Anfang Mai noch keine Bewerber:innen gemeldet hätten, sei nicht normal. "Vor fünf Jahren waren es so bis zu 40, 50 Bewerbung. Davon haben wir ungefähr zehn Leute eingeladen. Und letztendlich konnten wir immer unsere zwei, drei Stellen besetzen. Aktuell wären wir froh, wenn sich überhaupt einer bewirbt", sagt Krause.

Dass es so schlecht aussieht, hänge sicherlich auch mit der Corona-Pandemie zusammen, meint die Ausbildungsverantwortliche. Denn Besuche in Schulen und auf Ausbildungsmessen waren ausgefallen.
Doch generell sieht sie auch ein Problem bei der Berufsvorbereitung in den Schulen: "Die jungen Leute wissen heutzutage noch nicht wohin, wenn sie aus der Schule kommen, sie wollen abgeholt werden", sagt Krause. Gegensteuern könne man zum Beispiel durch mehr Praktika. "Das eine lange Schülerpraktikum mit drei Wochen ist viel zu wenig. Dann würde ich lieber sagen macht man mehrere Praktika. Aber dann nur eine Woche." Meistens könne man dann schon selbst einschätzen "das ist etwas für mich oder nicht".
"Wer eine Ausbildung macht, ist nichts wert"
Caio de Nobile wusste schon, dass der Job als Zerspanungsmechaniker etwas für ihn sein würde. Er hat vor kurzem seine Ausbildung bei KST beendet. "Ich habe 2017 Abi gemacht, aber ein Studium kam für mich nie in Frage. Schule hat noch nie Spaß gemacht, ich habe lieber etwas, wo ich jeden Tag hingehen kann, wo ich jeden Tag irgendetwas mit meinen Händen mache", sagt De Nobile. Auf seinem Gymnasium sei dieser Wunsch aber nicht unterstützt worden. "Leider wurde eine Ausbildung immer als etwas Negatives so dargestellt", erzählt er: "Wer eine Ausbildung macht, ist nichts wert."

Dass eine Ausbildung häufig kein gutes Image hat, sagt auch Fleischermeister Marcus Benser. "Oft wird es so dargestellt, streng dich an in der Schule, du musst dein Abitur machen, damit du studieren kannst und wenn du das dann nicht schaffst, dann musst du so wie der Stefan morgens um sechs aufstehen und tote Tiere zerkloppen, das ist einfach negativ besetzt." In den letzten acht Jahren hat Benser nur sechs Bewerbungen erhalten, auf vier offene Stellen. Wie viele Handwerksbetriebe sieht er für die Zukunft schwarz: "In zehn Jahren machen wir hier das Licht aus, wenn es so weitergeht." Der Verkauf von Fleischwaren und die Fleisch-Verarbeitung hat laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft die größten Probleme ihre Lehrstellen zu besetzen. 60,4 Prozent blieben 2021 frei. Auch Klempner, die Gastronomie und Beton- und Stahlbauer, stehen schlecht da.

Mehr Studienberechtigte drängen auf Ausbildungsmarkt
Als ein wichtiger Grund für den Azubi-Mangel wird oft die zunehmende Akademisierung genannt. Deutschlandweit hat seit 2010 etwa jede/r zweite Schulabsolvent:in eine Studienberechtigung.
Seit ungefähr sechs Jahren suchen sogar mehr Studienberechtigte nach einem Ausbildungsplatz als Hauptschüler:innen. Die Nachfrage passt aber nicht zum Ausbildungsmarkt. Denn es gibt nicht genug auf Studienberechtigte ausgelegte Lehrstellen, wenn man lediglich den gewünschten Mindestabschluss berücksichtigt.
Lehrstellen, für die man mindestens einen Hauptschulabschluss braucht, gibt es dagegen genug. Mehr als doppelt so viele, wie Bewerber:innen. Um dem Azubi-Mangel entgegen zu wirken, sieht das Bundesinstitut für Berufsbildung es deshalb als zentrale Aufgabe, die Attraktivität und soziale Anerkennung "in den sogenannten Hauptschülerberufen (...) auch für Personen mit mittleren Abschlüssen und Studienberechtigung zu steigern".
Für drei Euro die Stunde auf dem Bau
Weniger attraktiv ist in vielen Ausbildungsberufen sicherlich die Bezahlung. Obwohl De Nobile zufrieden war, sieht auch er darin ein Problem. "Ich habe extrem gut in meiner Ausbildung verdient. Also wenn ich ins Handwerk gucke, mein Bruder hat nicht mal die Hälfte von mir verdient. Und ich weiß nicht, ob du für drei Euro die Stunde auf dem Bau arbeiten würdest".
Tatsächlich haben Azubis 2021 im Handwerk im Schnitt am schlechtesten verdient. Nach Tarif waren es 882 Euro. Allerdings hängt der Verdienst auch von den jeweiligen Jobs ab. So lag der tarifliche Ausbildungslohn für Zimmerer und Zimmerinnen im vergangenen Jahr mit 1.251 Euro über dem Durchschnittslohn von Azubis im öffentlichen Dienst (1.095 Euro), die im Vergleich eigentlich am besten verdienen. Tischler:innen (786 Euro), Bäcker:innen (744 Euro) und Friseur:innen (650 Euro) wurden hingegen am schlechtesten bezahlt.

Workshop-Day statt Vorstellungsgespräch
Genau hinzuschauen, empfiehlt auch Georg Elfinger, Ausbildungsbegleiter bei der Handwerkskammer Berlin. Der Anlagenmechaniker, gemeinhin unter dem Begriff "Klempner" bekannt, habe zum Beispiel immer noch den Ruf, derjenige zu sein, der nur Bäder austausche. Dabei sei es ein Beruf für die Zukunft. "Wir reden hier von Klimatechnik, zum Beispiel Gebäude zu sanieren, das ist hochanspruchsvoll".
Seiner Meinung nach sollten sich Schüler:innen mehr damit auseinandersetzen, was die Berufe genau bedeuten und wie sie sich verändert haben. Man solle sich überlegen: "Was ist mir wichtiger? Möchte ich kreativ sein? Möchte ich sicher eine Familie gründen und einen Job haben, der mir Sicherheit gibt? Dann kann ich sagen: werde Anlagenmechaniker und die nächsten zehn Jahre wirst du der gefragteste Mann in diesem Land sein."

Doch mehr Offenheit wünscht sich Elfinger auch auf Seiten der Betriebe. Ein Malerbetrieb habe beispielsweise alle Bewerber:innen zu einem Workshop-Day eingeladen, bei dem diese Lieferwagen einräumen oder Pinsel auswählen mussten. Erst hinterher habe man sich die Bewerbungsmappen angeschaut. Das Ergebnis war: die drei Favoriten hätte der Betrieb nach den Bewerbungen niemals eingeladen. "Man sieht: Wir müssen ein bisschen mehr aus unseren Strukturen ausbrechen und neu denken, wenn wir die Lücken auf dem Ausbildungsmarkt ein bisschen kleiner machen wollen." Elfinger sieht dafür auf allen Seiten noch "ganz viel Potenzial".
Der ganze rbb|24 explainer zum Azubi-Mangel auf Youtube:
Sendung: rbb|24 explainer, 18.05.2022