Meinung | Pro und Contra Lieferdienste - Contra: Für unsere Faulheit müssen andere schuften

Do 26.05.22 | 17:35 Uhr | Von Efthymis Angeloudis
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Mehrere Mitarbeiter:innen von Lieferdiensten fahren an einer Kreuzung vorbei (Bild: imago images/Sabine Gudath)
Bild: imago images/Sabine Gudath

Digitale Lieferdienste versprechen uns mehr Freizeit und Komfort. Den Preis für unsere Bequemlichkeit zahlen nicht nur die Fahrer:innen. Auch wir verlieren etwas, wenn wir unsere Einkäufe nie wieder selbst erledigen. Von Efthymis Angeloudis

Langweilig, zeitraubend, anstrengend: So würden wohl die meisten ihre Einkäufe im Supermarkt oder beim Discounter beschreiben. Man läuft bzw. fährt hin, nimmt sich einen Einkaufswagen oder Korb, irrt minutenlang in den Gängen herum, um alle Sachen vom Einkaufszettel abzuhaken und vergisst am Ende sowieso wieder das Nötigste. Die lange Schlange an der Kasse und den mühsamen Nachhauseweg muss ich an dieser Stelle wohl nicht erwähnen.

Wäre es da nicht verlockend, sich den Stress zu sparen und die Einkäufe über eine App zu erledigen? Ja, klar. Nach einem langen Tag im Home-Office oder im Büro, will man eigentlich nur noch was kochen und sich einen Film reinziehen: App auf, Artikel ausgewählt, klick. In wenigen Minuten ist irgendein armer Schlucker zu einem nach Hause geradelt, in den vierten oder fünften Stock gestiegen und steht mit dem Einkauf vor der Haustür. "Sechster Stock? Kein Problem", lautet der Spruch von Lieferdienst Flink. So ein bisschen Mitleid kann man da schon haben. Dafür gibt es dann zwei Euro Trinkgeld. Das schlechte Gewissen gibt Ruhe - alles gut gemacht.

"Demokratisierung der Faulheit" für manche

"Demokratisierung der Faulheit" nennt das Turancan Salur, General Manager des Lieferdienstes Getir in Großbritannien. Doch für unsere Faulheit muss irgendjemand schuften. Und viele der Rider(um nicht die überwältigende Mehrheit zu sagen), die für Hungerlöhne und unter der ständigen Angst einer Kündigung arbeiten müssen, haben Migrationshintergrund oder kommen aus Ländern des globalen Südens. Unsere angeblich so antirassistische Gesellschaft findet das okay.

Nach dem Start-up-Alltag, dem Think-Tank-Posten oder eben der Redakteurs-Tätigkeit darf uns der Student aus Indien oder die Architektin aus Chile den Einkauf bringen. Die jungen Professionellen gegen die jungen Prekären – ein Lebensstil mit progressiven Hashtags und Moralappellen, solange man seinen eigenen Dreck nicht selbst anschleppen muss. Beschönigen kann man das Ganze mit ein bisschen Fahrrad-Romantik: die offene Straße, das flinke Rennrad. Seltsam nur, dass nicht mehr junge Deutsche berufsbedingt den Drang nach Freiheit auf den Pedalen verspüren und lieber in gut bezahlten, angenehmen Büro-Jobs bleiben.

300 Mitarbeiter gefeuert

Mit einem Lieferdienst, der sich faire Löhne und Arbeitsverhältnisse auf die Fahne schreibt, wäre es aber auch nicht getan. Es liegt in der Natur der Sache, Start-ups, besonders solche, die an die Börse gehen wollen, auf Gewinnmaximierung und Effizienz zu trimmen. Ein Betriebsrat könnte schließlich Investoren und Kapitalspritzen abschrecken. Nicht von ungefähr entließ der Lieferdienst Gorillas diese Woche 300 Mitarbeiter in Berlin. Anfang des Jahres plante der Firmenchef Kagan Sümer noch eine Finanzierungsrunde. Doch inzwischen ist Kapital aufgrund erwarteter Zinserhöhungen der Notenbanken schwerer zu bekommen.

Aber die Fahrer*innen brauchen doch die Jobs, könnte jemand entgegnen. Sicherlich nicht, wenn der Fachkräftemangel in der deutschen Wirtschaft einen neuen Höchststand erreicht hat, würde ich argumentieren. Immerhin fehlen allein in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen rund 320.000, in der Altenpflege 120.000 und in der Erziehung 300.000 zusätzliche Fachkräfte. Tausende junge Menschen in prekären Gig-Jobs zu halten, wenn man sie dringend in besser bezahlten und stabilen Arbeitsplätzen braucht, erscheint töricht. Sie gut auszubilden und ausländische Berufsabschlüsse in Deutschland anzuerkennen, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Isolation statt Freizeit

Alles schön und gut, aber wieso sollte uns das vom Online-Shoppen abhalten? Immerhin sparen wir dadurch kostbare Zeit. Doch für was genau verwenden wir diese Zeit? Um noch mehr Zeit auf denselben Apps zu verbringen? Denn was uns als "Demokratisierung der Faulheit" verkauft wird, ist ein schleichender Prozess der Isolation – das genaue Gegenteil von Demokratie. Was übrig bleibt ist das Ich und seine Wünsche.

Eine neue Generation gewöhnt sich daran, alles, was sie will, On-Demand geliefert zu bekommen. Unterhaltung, Lebensmittel, Liebe: Netflix, Gorillas und Tinder haben Millionen Menschen geschaffen, die nur noch ihren eigenen Wunsch(artikel) vor Augen haben und dabei manches andere aus den Augen verlieren. Auch wenn es nur der Rider ist, der sich die Treppen hoch quält.

Hier lesen Sie das Pro: "Wir holen uns kostbare Zeit zurück".

Beitrag von Efthymis Angeloudis

42 Kommentare

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  1. 41.

    Ich bin 1. nicht für ihr mangelhaftes Leseverständnis zuständig und 2. wo wollen sie das herausgelesen haben?

  2. 40.

    Alles außer Essen und Trinken ist Luxus und nicht lebensnotwendig, kann ja der Autor mal anfangen und sich alles selber anbauen damit er nicht eine Dienstleistung in Anspruch nehmen muss.

  3. 39.

    Sie spielen wohl auf ALG II.- Empfänger an, und das kann man "stecken" lassen.

  4. 38.

    "Dann bitte alle Dienstleistungen und Produkte prüfen und in Deutschland nur noch Dienstleistungen und Produkte in Anspruch nehmen die noch vorschriftsmäßigen Arbeitsbedingungen und ökologischen deutschen Standards ausgeführt bzw. produziert werden."

    Da wo ich Einfluß nehmen kann und Informationen besitze tue ich das. Mit ein Grund warum ich solche "Start-ups" meide. Das "Geschäftsmodell" kann nur mit Ausbeutung der Angestellten funktionieren.

  5. 37.

    "Das ist ein typischer Bericht eines Menschen , der nicht versteht, dass es zum Leben gehört, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten."

    Solche "Kommentare" sind typisch für Menschen, die nie aus eigener Kraft für ihren Lebensunterhalt gesorgt haben, sondern immer andere Menschen für sich arbeiten ließen.

  6. 36.

    "Also genießen alle einen gewissen "LUXUS" und sichern nebenbei auch noch Arbeitsplätze. "

    Der "Witz" war gut, wie man im Artikel nachlesen kann. Sie meinen man sichert Ausbeutung, das stimmt allerdings.

  7. 35.

    Die Fahrer gehören natürlich ordnungsgemäß festangestellt und versichert. Sie müssen ja mindestens den Mindestlohn bezahlt bekommen. Und wenn der als ausbeuterisch niedrig angesehen wird, dann muss die Politik eben reagieren. Auf jeden Fall holen die Lieferdienste eine Menge Menschen von der Straße, die sonst auf dem Arbeitsmarkt nicht die geringste Chance haben.

  8. 34.

    Wenn die Wetterlage gefährlich ist, würde ich nicht Essen liefern lassen. Um anderen Zeiten geben wir gutes Trinkgeld.Sonst bin ich mit einem anderen Kommentar hier einig- ich gebe mein verdientes Geld aus, wie ich will.

  9. 33.

    Habe heute in drei Geschäften eingekauft. 1. Geschäft - super. 2. Geschäft - sehr unfreundliches und desinteressiertes Personal, der Ton in dem freundlich fragende Kunden abgekanzelt wurden, hat mich vom Fragen nach Produkten abgehalten, war eigentlich motiviert Geld auszugeben, werde vermutlich die restlichen Sachen online kaufen, da ich im 3. Geschäft zwar einiges von den Sachen im 2. Geschäft bekommen habe, aber nicht alles. Also 3. Geschäft - gut, gerne wieder. Wenn ich stationär oft deutlich mehr Geld ausgeben muss, erwarte ich zumindest einen Hauch von Höflichkeit. Ansonsten kaufe ich stressfrei online ein, mit Rückgaberecht, wenn das Produkt Mängel hat oder nicht passt.

  10. 32.

    Ja, es geht hier auch um die Haftungsfragen, wenn Sie einen , ob Ausländer oder nicht, zum Beispiel für die einfache Aufgabe eine Abwasserleitung zu verlegen, beschäftigen und es fließt dann rückwärts, kanns teuer werden.
    Aber denken Sie nicht, das hierzulande jeder Einheimische die Qualifikation hat, die er eigentlich braucht, viel zu teuer, Hilfskräfte zum Mindestlohn machen es oft auch ganz gut.

  11. 31.

    "Es wird ja immer absurder mit den Einmischungen und Vorschriften machen wollen im privaten Leben" GENAU! Wenn jemand ein schlechtes Gewissen haben muss, dann sind es die Arbeitgeber, die ihre Leute nicht ordentlich bezahlen. Die Verantwortung auf den Verbraucher abzuwälzen, halte ich für falsch: jeder kann sein Leben so einrichten, wie es ihm passt und mit MEINEM Geld, für das ICH arbeite, kann ich machen, was ich will!
    Die "Faulheit anderer" unterstütze ich -staatlich verordnet- sowieso durch Sozialabgaben.

  12. 30.

    Mit der Frage, grundsätzlich? Ob ja oder nein, lässt sich die Dienstleistung eben nicht erörtern oder bewerten. Man hat immer den Eindruck, dass es gar nicht um die Lösung des Problems/Konfliktes geht, sondern eher um das"Fass", was "aufgemacht" wird.
    Wer der Ansicht ist, doch das ist in Ordnung, was soll falsch sein? Will man stets den Erzieher spielen(wollen?Es geht darum, wie sich die Menschen ernähren wollen. Da hat jeder andere Ansichten. Da ich wissen möchte, was da im Mix, äh, Lebensmitel drin ist, stelle ich mich lieber einem Parcours, um das zu besorgen, was ich bevorzuge. Das hält einigermaßen fit und ich hoffe, dass das noch sehr lange so geht. Stress, Hektik und ständige Angespanntheit, die ganzen Erwartungen, die man im Arbeitsleben zu bewältigen hat nebst Familie und eigenen Interessen, führt offensichtlich dazu, dass Freizeit erkauft werden muss. Das ist das Problem. Auch alles selbst "erzeugen" zu wollen, sehe ich auch nicht als Lösung. Ergo: Verantwortung des Kunden.

  13. 29.

    Diese Diskussion um die Lieferdienste lediglich auf die "Fauelen" zu verengen, das finde ich unredlich, da es für Kranke, Alte, Behinderte usw. sehr hilfreich ist den Alltag zu meistern..

  14. 28.

    Der im Kommentar aufgebrachte Vorschlag ausländische Abschlüsse leichter anzuerkennen klingt immer so gut. Also warum macht man das nicht? Für viele Berufe und Anschlüsse haben wir in Deutschland konkrete Anforderungen, die von den Kammern, Innungen oder dem Gesetzgeber festgelegt werden. Das sichert einen einheitlichen qualitativen Mindeststandard. Ausländische Titel werden diesen Anforderungen nicht unbedingt gerecht. Ob sie es tun muss im Einzelfall genau geprüft werden.

  15. 27.

    Augen auf bei der Berufswahl und vor dem unterschreiben eines Arbeitsvertrages. Hinterher jammert es sich aber am besten.

  16. 26.

    Nun, auch ich musste schuften, damit Andere aus Faulheit den Strom aus der Steckdose bekamen, anstelle mit Holz zu kochen, mein Nachbar schuftete als Lkw Fahrer, damit sich Andere ihre Ware nicht zu Fuß aus Hamburg abholen mussten, wieder Andere schufteten als Müller, Bäcker, Maler, Bauarbeiter......

  17. 25.

    Die Lieferfahrer für Kleidung und andere Artikel hetzen auch für schmalen Taler von Haus zu Haus. Hier sind die Konsumenten auch angeblich zu faul um selbst einzukaufen? Was ist denn das für eine komische Argumentation? Wir gehen auch ins Restaurant weil wir nicht kochen wollen. Die Radler der grünen Pin AG hetzen ebenso (falsch über Fußwege) für Niedriglohn von Haus zu Haus. Wer zwingt Menschen zu schlechten Arbeitsbedingungen? Das Arbeitsamt? Die Coronamaßnahmen haben den Lieferservice befördert und den stationären Einzelhandel geschädigt.

  18. 24.

    Hallo Hagen,
    beide "LIEFERDIENSTE" haben doch ihren Nutzen.
    Für Sie, weil Sie keine Zeit zum Kochen haben und für andere Menschen ist ihre Freizeit wichtiger und sie lassen sich Lebensmittel liefern, wofür sie immer einen Aufpreis zu den Ladenpreisen zahlen müssen.
    Also genießen alle einen gewissen "LUXUS" und sichern nebenbei auch noch Arbeitsplätze.

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