Meinung | Pro und Contra Lieferdienste - Pro: Wir holen uns kostbare Zeit zurück

Essenslieferanten haben es wahrlich schwer und entsprechend groß ist die Kritik an Lieferdiensten als Arbeitgeber. Doch es darf nicht vergessen werden, wie sehr solche Unternehmen unseren Alltag auch positiv verändert haben. Von Hasan Gökkaya
Zahnpasta, Bier, Eintopf aus der Dose – sich solche Produkte nach Hause liefern zu lassen, ist keine neue Form des Berliner Hipster-Daseins oder der Reflex gestresster Helikopter-Eltern. Vielmehr ist es ein Stück Rückeroberung des Alltags, in einer Welt, die immer schneller wird und einem mehr und mehr kostbare Zeit abzwackt.
Auch ich denke mit dem Älterwerden öfter darüber nach, wie ich meine Zeit besser nutzen kann. Weniger arbeiten, weniger Termine organisieren, keine Wäsche waschen – das wäre schön, ist aber unrealistisch. Doch immerhin: Noch vor der Pandemie wurden nicht selten nach der Arbeit Treffen mit Freunden abgesagt oder der Sport verschoben, da ja auch noch Zeit für den Gang zum Supermarkt eingeplant werden musste.
Kein Entspannen im Supermarkt
Es mag sie geben: Menschen, die sich dort gerne umschauen und dabei sogar entspannen. Ich schätze zwar guten Käse von der Theke und mag die Abwechslung, insgesamt aber habe ich nie gerne Zeit im Supermarkt verbracht. Wäre Einkaufen nicht lebensnotwendig, ich würde es oft als Zeitverschwendung ansehen.
Umso sinnvoller ist das Bestellen von Lebensmitteln nach Hause geworden. In Berlin und vielen anderen Städten sparen Hungrige und Durstige regelmäßig Zeit – 30 Minuten, 60 Minuten, vielleicht noch mehr. Die technische Revolution hat nach so vielen Jahren endlich auch im Einzelhandel stattgefunden. Für die Option bin ich als Mensch, dem Zeit wichtig ist, dankbar. Dankbar sind aber auch jene Leute, die kein Auto besitzen, die abends noch spontan die Herdplatte anschmeißen oder die aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht vor die Tür können.
Lieferdienste sind keine simplen Start-ups
Lieferdienste wie Gorillas, Getir oder Flink haben unseren Alltag bereits verändert, sie haben ihn ein ganzes Stück bequemer gemacht. Vermutlich finden viele der Fahrerinnen und Fahrer es auch cooler, Essen auf dem Fahrrad zu liefern statt in einem Auto zu sitzen und Pizza durch den Stadtverkehr zu bringen.
Natürlich darf all das nicht zu einer Romantisierung der Realität führen. Ausbeutung ist in der Branche für viele Fahrerinnen und Fahrer ein Thema. Und Lieferdienste sind längst keine simplen Start-ups mehr, sondern Unternehmen mit einer Führungsstruktur und großen Geldgebern. Umso trauriger, dass in einem solchen Komplex Fahrer noch zu häufig als unwichtigstes Glied der Kette gesehen werden – dabei sind sie das wichtigste.
Die Entwicklung ist nicht mehr rückgängig zu machen
Wenn die Führungsriege von Lieferdiensten das versteht und es schafft, bessere Arbeitsbedingungen zu verwurzeln, ist die Entwicklung nicht mehr rückgängig zu machen. Das Nach-Hause-Bestellen von Lebensmitteln kann dann auch auf Dauer statt verpönt zu wirken, so normal sein wie der Gang durch die Supermarkt-Flure.
Hier lesen Sie das Contra: "Für unsere Faulheit müssen andere schuften".