Aufzucht von Bruderhähnen - Eier ohne Kükentöten: Ein wirklicher Fortschritt im Tierschutz?

Seit Januar ist in Deutschland das Töten männlicher Küken verboten. Sie sollen entweder aufgezogen oder vor dem Schlüpfen aussortiert werden. Der Verbraucher zahlt dafür extra. Doch was passiert mit den Hähnen? Von Ute Barthel und Susett Kleine
Zwei süße kleine gelbe Küken zieren die Eierpackung: "Schützt mich!" steht daneben. Das Bild steht dafür, dass die Verbraucher:innen hier Eier kaufen, für die keine Küken gestorben sind. Über Jahrzehnte wurden in Deutschland - wie in vielen anderen Ländern heute noch - die männlichen Küken der Legehennenrassen meist sofort nach dem Schlüpfen getötet. Seit Jahresbeginn ist das verboten. Die Kunden zahlen dafür bis zu vier Cent extra. Doch was passiert mit den männlichen Küken? Ist das Gesetz ein Fortschritt für den Tierschutz? Die Redaktionen rbb24 Recherche und SUPER.Markt haben nachgefragt.
"Ohne Kükentöten" - Nur freiwillige Kontrolle
Dass Eierproduzenten sich an die Gesetze halten, kontrolliert der private Branchenverein für Kontrollierte Alternative Tierhaltungsformen e.V. (KAT), in dem viele Eierproduzenten Mitglied sind. Er vergibt das KAT-Siegel. "Der Legehennenhalter muss uns gegenüber dokumentieren, dass er Hennen einsetzt, deren Brüder nicht getötet wurden", erklärt der Geschäftsführer des KAT eV. Dietmar Tepe.
Auch ausländische Anbieter müssen sich dem unterwerfen, wenn sie für den deutschen Markt produzieren und das KAT-Siegel bekommen wollen. Ist ein Eierproduzent zertifiziert, erhält jedes Ei eine Printnummer mit der Verbraucher:innen auf der Webseite des KAT-Vereins überprüfen können, wo die Eier gelegt wurden.
Außerdem erfahren sie, ob die Hähne aufgezogen oder die Eier vor dem Schlüpfen der Küken durch eine Geschlechtsbestimmung aussortiert wurden. "Das ist die Information, für die wir als KAT auch stehen", erklärt Geschäftsführer Tepe. Doch wo und wie die sogenannten Bruderhähne aufgezogen werden, erfahren die Verbraucher nicht. Das sei gesetzlich auch nicht vorgeschrieben, so Tepe.
Verbraucherschützer kritisieren mangelnde Transparenz
Der rbb hat bei 20 Eierproduzenten und Unternehmen nachgefragt, wo die Bruderhähne aufgezogen werden. Nur fünf gaben genaue Informationen zum Ort und Betrieb der Bruderhahnaufzucht. Ein Produzent antwortete, dass als Alternative zum Kükentöten die Geschlechtsbestimmung im Ei angewendet werde. 14 Firmen konnten nach eigener Aussage dazu keine genauen Angaben machen oder wollten aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben. Die Kund:innen haben also kaum Möglichkeiten zu überprüfen, ob die höheren Kosten für Eier auch wirklich zu mehr Tierschutz führen.
"Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist die derzeitige Situation nicht befriedigend, denn es ist nicht transparent dargestellt, was mit dem Bruderhähnen passiert", kritisiert Britta Schautz von der Verbraucherzentrale Berlin und fordert: "Wenn eine Brudermast erfolgt, muss auch gekennzeichnet sein, wie und wo das passiert."

Männliche Küken leben nur drei Monate
Hanka Mittelstädt aus Hohenzollchow in der Nordwest-Uckermark hat kein Problem mit der geforderten Transparenz. Ihre Firma "Ucker-Ei" produziert seit 2015 Eier von Legehennen in Freilandhaltung. Schon vor dem Verbot des Kükentötens hat sie sich für die Bruderhahnaufzucht entschieden. "Ich arbeite sehr eng mit der Brüterei zusammen, und ich schaue mir das genau an: Wo werden meine Brüderhähne aufgezogen und wo werden sie geschlachtet", erzählt die Unternehmerin. Ihre Legehennen stammen aus einer Brüterei aus den Niederlanden. Die "Brüder" wurden im Emsland in Haren an der holländischen Grenze aufgezogen. Dort drängen sich in einer riesigen Halle 32.000 Hähne - ein Meer aus weißen Federn und roten Hahnenkämmen - auf 1.800 Quadratmetern. Pro Hahn gut 0,056 Quadratmeter - zum Vergleich: einer Legehenne stehen im Käfig 0,075 Quadratmeter zu.
Die Brüder von Hanka Mittelstädts Hennen kann man in Haren nicht mehr treffen - sie wurden schon Anfang April geschlachtet. Länger als drei Monate lohnt sich die Aufzucht nicht, erklärt Landwirt Thomas Albers, der die Mast betreibt. Hähne aus Legerassen sind für die Mast ungeeignet. Sie fressen viel und nehmen kaum zu - anders als Masthähnchen. "Diese Bruderhähne brauchen drei Kilogramm Futter, um ein Kilo Fleisch anzusetzen", berichtet Landwirt Albers. "Ein Masthähnchen hingegen braucht für ein Kilo Fleisch 1,4 Kilogramm Futter." Ein Teil dessen, was Kund:innen jetzt mehr zahlen, geht also in die eigentlich unrentable Mast.
Aufzucht ist teuer
Nach 85 Tagen werden die Tiere zum Schlachthof gebracht. Als Brathähnchen taugen sie nicht, ihr Fleisch wird für Geflügelwürstchen oder Frikassee verwendet. "Das bringt kein Geld", sagt Eddie Vroegindeweij. Er ist Geschäftsführer der niederländischen Brüterei "het anker". Von dort stammen Hanka Mittelstädts Hennen. Um die Bruderhähne kümmert sich die Firma "ab ovo", an der der Niederländer ebenfalls beteiligt ist. "Ab ovo" lagert die Mast dann wieder an Landwirte, wie Thomas Albers im Emsland aus.
"Ob wir das sinnvoll finden oder nicht, spielt keine Rolle. Wir müssen das jetzt machen, wenn wir Hennen nach Deutschland liefern wollen", sagt Eddie Vroegindeweij im rbb-Interview. Die zusätzlichen Kosten gibt er wiederum an Hanka Mittelstädt von Ucker-Ei weiter.
"Die Aufzucht pro Hahn kostet derzeit zwischen fünf und sieben Euro", rechnet Hanka Mittelstädt vor. "Das wiederum muss ich über die Eier dann wieder an Kapital in den Betrieb reinbringen." Deshalb kostet jedes Ei nun zwei bis vier Cent mehr.
Transport führt zu geringer Nachhaltigkeit
Aus ihrer Sicht ist die Aufzucht der Bruderhähne nicht nachhaltig. Denn neben den Mastkosten und dem geringen Erlös für die gemästeten Bruderhähne fallen auch noch Transportkosten an. Weil es in Deutschland nicht genügend Ställe für die Millionen Bruderküken gibt, werden sie oft ins Ausland transportiert und dann dort aufgezogen: in Polen, den Niederlanden, Österreich oder Ungarn.
Von den Mastbetrieben geht es dann zu den Schlachthöfen - ökologisch ist das nicht und für die Tiere auch mit Stress verbunden.
Annemarie Bodski vom Verein Foodwatch e.V. fügt noch ein Argument hinzu: "Man muss auch bedenken, dass in der Kette der Aufzucht der Tiere Sojafutter gegebenenfalls aus Südamerika aus abgeholzten Regenwäldern hierher verschifft wird, um Millionen Tiere hochzuziehen. Das ist in Sachen Nachhaltigkeit kein guter Weg." Außerdem müssen massenhaft neue Ställe gebaut werden.
Gesetz gilt nur für Hennen in Deutschland - im Ausland wird weiter getötet
Die Alternative zur Aufzucht ist die Geschlechtsbestimmung im Ei. Die technologischen Verfahren, die es aktuell gibt, können das Geschlecht jedoch frühestens am neunten Bruttag erkennen. Weil die Embryos zu diesem Zeitpunkt aber schon Schmerzen empfinden können, ist ab 2024 die Selektion nur noch bis zum sechsten Bruttag erlaubt. Hanka Mittelstädt hofft, dass das Verfahren bis dahin Marktreife hat - und die Bestimmung früher erfolgen kann.
Sie wünscht sich auch, dass das Verbot des Kükentötens irgendwann in der ganzen EU gilt. Denn die Konkurrenten aus dem Ausland können ihre Eier ohne die Kosten für die Bruderhähne viel günstiger anbieten. "Das ist Wettbewerbsverzerrung", meint sie und wird von Dietmar Tepe von KAT e.V. unterstützt. Das Gesetz sei nicht zu Ende gedacht, meint er: "Du darfst in Deutschland kein Küken töten. Du darfst aber Eier von Hennen aus dem Ausland, deren Bruder getötet wurden, selbstverständlich völlig legal in Deutschland verkaufen. Das Töten geht also im Ausland weiter."
Kükentöten für Nudeln und Veggie-Produkte
Eier aus dem Ausland, wo Kükentöten weiter erlaubt ist, können auch weiter in Deutschland in Produkten wie Mayonnaise, Eiernudeln oder Eierlikör landen. Auch für viele Veggie-Produkte werden sie verwendet. Verbraucherschützerin Britta Schautz findet das problematisch: "Das ist völlig unbefriedigend für Menschen, die sich ohne das Töten von Tieren ernähren wollen. Hier müssen die Hersteller sicherstellen, dass dort keine Eier drinstecken, für die Küken gestorben sind." Die Verbraucherzentrale fordert deshalb schon seit vielen Jahren eine Kennzeichnungspflicht auch bei verarbeiteten Produkten.
Aus Sicht von Foodwatch sind Tierwohl-Label wie "ohne Kükentöten" letztlich aber nur eine Marketing-Maßnahme. "Die Verbraucher:innen denken, sie können etwas für den Tierschutz tun. Aber was wirklich dahintersteckt, ist nicht transparent", kritisiert Annemarie Bodski von Foodwatch. Sie fordert, dass mehr in die Zucht einer "Zweinutzungsrasse" investiert wird, bei der die Hennen Eier legen und die Hähne genügend Fleisch für die Mast ansetzen. Am System der Massenproduktion von Eiern ändert die derzeitige Regelung nichts - es gibt nur noch mehr Massentierhaltung.
Sendung: SUPER.Markt, 20.06.22, 20:15 Uhr