Initiative "Berlin werbefrei" - Was für und was gegen ein Werbeverbot in der Großstadt spricht
Während sich einige Berliner:innen von Werbung im öffentlichen Raum gestört fühlen, ist Außenwerbung für das Land Berlin eine Einnahmequelle. Was für und was gegen Werbung spricht, der man nicht aus dem Weg gehen kann. Von Naomi Donath
Rosa López wohnt seit mehr als zehn Jahren in ihrer Wohnung in der Warschauer Straße in Berlin-Friedrichshain. Eigentlich eine helle Wohnung im vierten Stock - doch seit einem halben Jahr, seit die Balkons neu gemacht werden, steht ein Gerüst vorm Haus. Und an dem Gerüst hängt eine 200 Quadratmeter große Werbeplane - in der Außenwerbebranche auch Riesenposter genannt.
"Die Werbeplane wird immer wieder ausgetauscht, das ist jetzt die dritte", erzählt Rosa López. Im Herbst 2021 hing für vier Wochen eine Plane mit Werbung für die Sängerin Adele. Dann, von Anfang bis Ende März 2022, hing eine Werbung für einen Lieferdienst. Seit Anfang Mai hängt am Haus nun Werbung für einen Rasierer.

Tagsüber dunkel, nachts hell
Für Rosa López ist die Werbung belastend, sagt sie: "Was richtig schlimm ist: Tagsüber ist es dunkel wegen der Werbung, da kommt wenig Licht rein. Und abends werden die Lichter angemacht, da kommt ganz viel Licht rein." Die Werbeplane werde die ganze Nacht beleuchtet, sagt Rosa López.

Eine Werbeanlage an einem Baugerüst ist laut Berliner Bauordnung legal. Maximal sechs Monate im Jahr darf so ein Riesenposter hängen. "Diese Werbeanlagen sind so massiv, dass wir genötigt sind, die Werbung zu sehen - ob wir wollen oder nicht", kritisiert Rechtsanwalt Fadi El-Ghazi. Er nennt den öffentlichen Raum eine "Dauerwerbesendung ohne Fernbedienung".
Initiative möchte Riesenposter verbieten
El-Ghazi hat die Initiative "Berlin werbefrei" gegründet. Die Initiative möchte solche Riesenposter verbieten - und grundsätzlich Werbung im öffentlichen Raum reduzieren. Für 2024 streben sie einen Volksentscheid in Berlin an, ihr Werbe-Regulierungs-Gesetz würde dann 2027 in Kraft treten. Derzeit werde ihr überarbeiteter Gesetzentwurf beim Senat geprüft, sagt El-Ghazi. Den ersten Gesetzentwurf hatte der Senat als "materiell-rechtlich unzulässig" abgelehnt.

Vor der Marienkirche in Berlin-Mitte schildert El-Ghazi, was ihn stört: "Diese digitale Werbeanlage verdeckt den Ausblick auf die Marienkirche." Bewege man sich von der Karl-Liebknecht-Straße in Richtung Marienkirche, stehe die Werbung für mehrere Minuten in der Sichtachse. "Man kann faktisch unsere touristischen Attraktionen nicht wahrnehmen", sagt El-Ghazi.
Solche digitalen Werbeanlagen möchte die Initiative verbieten. Ein Werbeboard mit LED-Technologie und neun Quadratmetern Werbefläche verbrauche viel Strom, nach konservativen Kalkulationen 45.000 Kilowattstunden im Jahr, sagt El-Ghazi: "Das entspricht dem Durchschnittsverbrauch von 30 Ein-Personen-Haushalten. Plastisch ausgedrückt müssen wir uns vorstellen, hier stehen 300 Kühl-Gefrier-Kombinationen, die durchgängig laufen." Außerdem kritisiert die Initiative, digitale Werbung lenke Autofahrer:innen ab und sorge nachts für Lichtverschmutzung.
Land Berlin verdient an Werbung
Eine Reduzierung von Werbeanlagen und ein Verbot digitaler Werbeboards, wie es die Initiative fordert, würde nicht nur Werbeunternehmen finanziell treffen. Das Land Berlin selbst verdient an der Werbung. Es besitzt die Werberechte für das öffentliche Straßenland - und verpachtet ein festes Kontigent an Werbeflächen in Berlin.

Wie die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz auf Anfrage von rbb|24 mitteilt, hat das Land Berlin in den Jahren 2019, 2020 und 2021 insgesamt um die 40 Millionen Euro mit der Verpachtung von Werberechten verdient - etwa die Hälfte davon mit digitaler und hinterleuchteter Werbung. Denn Werbeunternehmen zahlen Sondernutzungsgebühren, um Werbeanlagen errichten und betreiben zu dürfen.
Das Land Berlin wiederum ist prozentual am Umsatz der Werbeunternehmen beteiligt. Zudem erhält das Land Berlin für den Vertrag über Dauerwerbung an Uhren eine fixe Summe. Die Verträge laufen über zehn bis 15 Jahre. "Bei einem vorzeitigen Auflösen der Verträge müsste das Land Berlin Schadensersatz an die betroffenen Unternehmen zahlen", so die Senatsverwaltung gegenüber rbb|24. "Diese Summe dürfte ein Vielfaches der Einnahmen betragen, welche das Land Berlin aus den Verträgen aktuell erhält."

Außenwerbung in Berlin erfunden
Doch die Initiative will nicht alle Werbung verbieten. Litfaßsäulen dürften bleiben, weil sie sich ins Stadtbild einfügten. Außerdem sind sie ein Berliner Original. Außenwerbung wurde in Berlin erfunden, sagt Kai-Marcus Thäsler vom Fachverband Aussenwerbung: "Ernst Litfaß hat vor 200 Jahren die Litfaßsäule erfunden. Damit wurde Berlin ordentlicher und sauberer, denn bis dahin wurde einfach wild plakatiert."
Auch Werbung an Haltestellen dürfte bleiben. Von dieser Werbung profitiere das Land Berlin zusätzlich, erklärt Thäsler: "Derjenige, der den Zuschlag bekommen hat für die Werbung an den Bushäuschen, der finanziert auch die Bushäuschen. Ein Teil der regionalen und kommunalen Infrastruktur wird durch Außenwerbung refinanziert."
Außenwerbung kann auch für Vermieter:innen oder Eigentümer:innen nützlich sein. Mit einem Riesenposter am Baugerüst können sie Einnahmen generieren - und so beispielsweise Mietminderungen ausgleichen. Denn wenn eine Werbeplane die Wohnung verdunkelt, empfiehlt der Berliner Mieterverein, die Miete zu mindern.

Keine weitere Werbung mehr?
Gute Nachricht für Rosa López und ihre Nachbar:innen: Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg teilt rbb|24 auf Anfrage mit, dass die aktuelle Werbung am Haus, in dem Rosa wohnt, die letzte ist, die am Baugerüst hängen darf. Weitere Werbung dort würde für 2022 nicht mehr genehmigt werden, so das Bezirksamt. Denn im Bereich Warschauer Straße gebe es so viel Werbung, dass solche Riesenposter am Baugerüst nur für zwei Monate im Jahr zulässig seien.

Sendung: rbb|24 explainer | 01.06.2022