Entscheidende Sitzung in Berlin - Stunde der Wahrheit für Giffeys Wohnungsbündnis

Das Wohnungsbündnis des Berliner Senats steht vor seiner entscheidenden Sitzung. Auf dem Tisch liegt ein Papier, das vorsieht, Mieterhöhungen zu beschränken. Doch noch ist offen, ob alle Bündnispartner zustimmen werden. Von Thorsten Gabriel
Für die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihren Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (beide SPD) geht es an diesem Mittwoch um viel: Ihr Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen ist das Prestigeprojekt dieser Wahlperiode. Am Erfolg dieses Bündnisses wird die Koalition und insbesondere die Regierungschefin gemessen werden: Gelingt es "miteinander statt gegeneinander" 100.000 Wohnungen in dieser Wahlperiode zu bauen und gleichzeitig die Mietanstiege im Bestand zu verlangsamen?
Am Tisch sitzen neben Senats- und Bezirksvertreterinnen und -vertretern die Verbände der Wohnungswirtschaft, große Wohnungsunternehmen wie Vonovia, aber auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Berliner Mieterverein. Damit soll auch signalisiert werden: Wohnen ist eine soziale Frage, nicht nur eine der Bauwirtschaft und der Stadtentwicklungspolitik.
Noch im Januar hatten sich alle Bündnispartner einigermaßen optimistisch gezeigt, handfeste Ergebnisse zustande zu bringen. Doch die Rahmenbedingungen haben sich seit der Gründung des Bündnisses stark verschlechtert. Das liegt weniger an der Landespolitik als vielmehr an den weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Der Krieg in der Ukraine und auch die anhaltende Corona-Pandemie mit neuen Lockdowns in China setzen der Bauwirtschaft stark zu. Zwar gibt es im Papier, über das das Bündnis nun abschließend beraten wird, konkrete Zielzahlen, aber niemand kann sagen, ob sie auch erreichbar sind, wenn es noch längere Zeit Baustoff- und Fachkräftemangel sowie exorbitant steigende Baupreise gibt.
Kappungsgrenzen bei Mieterhöhungen sollen gesenkt werden
Auch beim Thema Mieten sieht es ähnlich aus. Vonovia-Chef Rolf Buch hatte noch im Januar erklärt, sich einen Mietenstopp für die nächsten Jahre vorstellen zu können, zuletzt aber auf die steigende Inflation verwiesen und das Thema damit perspektivisch mehr oder weniger beerdigt. Trotzdem findet sich in der aktuellen Fassung des Bündnis-Beschlusstextes nun ein bemerkenswerter Passus: "Die Bündnispartner unterstützen die Planungen der Bundesregierung zur Absenkung der mietrechtlichen Kappungsgrenze in angespannten Wohnungsmärkten von derzeit 15 Prozent auf elf Prozent", heißt es in dem Papier.
Das bezieht sich auf den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP im Bund. Sie haben verabredet, dass Mieten auf Wohnungsmärkten wie dem Berliner künftig nur noch maximal um elf statt um 15 Prozent binnen drei Jahren steigen dürfen. Allerdings hat die Ampel-Koalition, wie es scheint, das Vorhaben erstmal auf die lange Bank geschoben. Berlin will das nun vorziehen. Im Beschlussentwurf des Bündnisses heißt es weiter, die großen Wohnungsunternehmen – mit 3.000 oder mehr Wohnungen in Berlin – "orientieren sich ab Unterzeichnung an dieser neuen mietsenkenden Kappungsgrenze". Es ist quasi Bundesrecht in Form von freiwilliger Selbstverpflichtung.
Auch die von Franziska Giffey selbst auf den Tisch gepackte Idee, nach der Mieten bei 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens gedeckelt werden sollten, findet sich im finalen Entwurf wieder. Allerdings soll dies nun nur für Mieterinnen und Mieter mit Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein gelten. Mieterinitiativen hatten den Vorschlag allerdings auch schon vorher kritisiert.
Bebauungspläne sollen binnen drei Jahren aufgestellt sein
Umgekehrt enthält der Textentwurf auch Zusagen des Senats in Richtung Wohnungswirtschaft. Die fordert angesichts der ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Situation, dass zumindest der Staat seine Hausaufgaben macht und bürokratische Prozesse beschleunigt. Dies hatte Bausenator Geisel am Montagabend beim Stadtforum bereits in Aussicht gestellt. Dass es in Berlin durchschnittlich acht Jahre dauere, bis ein Bebauungsplan aufgestellt ist, sei nicht akzeptabel, hatte er moniert. Im Bündnistext heißt es dazu nun: "Neue Bebauungspläne sollen innerhalb von drei Jahren abgeschlossen sein. Wenn nicht, werden die Vorhaben in den Gremien der Senatskommission behandelt." Das darf man als Drohung Richtung Bezirke verstehen. In der Senatskommission "Wohnungsbau" landen seit ein paar Monaten alle strittigen Bauvorhaben und werden von der Chefin persönlich geklärt. Das soll, wie man hört, nicht immer ein Vergnügen sein.
Ob das alles im Bündnis so beschlossen wird, ist offen. Bei der finalen Abstimmungsrunde am Mittwoch dürfte intensiv diskutiert werden. Dem Vernehmen nach sind Mieterverein, DGB und Paritätischer Wohlfahrtsverband noch unentschieden, ob sie die Bündnisvereinbarung am Ende unterschreiben werden oder nicht. Sollten ausgerechnet sie ausstiegen, wäre das für die Regierende Bürgermeisterin zweifellos nicht das Signal des "neuen Miteinanders", das sie gern aussenden würde. Gleichzeitig wäre es aber auch für die Verbände riskant, sich zurückzuziehen. Denn die Zusammenarbeit im dem Bündnis ist bis Frühjahr 2027 vorgesehen – solange könnten sie dann nur von außen zuschauen und keinen direkten Einfluss mehr nehmen.
Widerstand in der Linken gegen das Bündnis
Aber auch innerhalb der Koalition rumort es bei diesem Thema. Teile der Linken sehen das Bündnis argwöhnisch und würden es am liebsten nicht fortsetzen. Erst am Montag hatte die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg gemeinsam mit anderen einen offenen Brief an jene Parteifreundinnen und Parteifreunde geschickt, die im Bündnis mitverhandeln. Darin fordern sie eine "breite, ergebnisoffene innerparteiliche Debatte über das weitere Vorgehen", sollten bestimmte Forderungen nicht erfüllt werden. Genannt wird in dem Schreiben unter anderem ein "Mietenstopp" für die Dauer der Legislaturperiode. In anderen Teilen der Partei versucht man dagegen, dem Bündnis Positives abzugewinnen; nach dem Motto: Wir erwarten zwar nicht viel, aber wir können in dieser Situation auch nichts unversucht lassen.
Der Stadtentwicklungssenator bemühte sich beim Stadtforum am Montagabend um Verständnis für die Zweifelnden. Er wisse, dass es sich lediglich um eine freiwillige Vereinbarung handle, die man abschließen wolle. Aber das sei nun einmal der einzige Weg, der derzeit machbar sei. Mietrecht ist Bundesrecht, das steht nicht erst seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Mietendeckel fest. Und so verweist Geisel auch darauf, dass Berlin das Thema Mieten im Bündnis überhaupt adressiert – anders als etwa Hamburg, dessen Wohnungsbündnis Giffey und Geisel als leuchtendes Vorbild dient. Wenn man auf diese Weise auch nicht allen Mieterinnen und Mietern helfen könne, so doch zumindest einigen mehr als bislang.
Hamburg gilt als Vorbild fürs Wohnungsbündnis
Wie erfolgreich das Hamburger Bündnis zwischen Senat, Bezirken und Wohnungswirtschaft ist, wird unterschiedlich bewertet. Fest steht: In Hamburg hat man es vor allem frühzeitig geschmiedet. Seit 2011 gibt es dort die Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft. Zu diesem Zeitpunkt wuchs Berlin bereits seit einigen Jahren und es war absehbar, dass Wohnungen knapp würden. Doch im damaligen Wahljahr hatten die meisten Berliner Parteien das Thema noch unter ferner liefen auf dem Zettel. Dieser Rückstand kann im Grunde nicht mehr aufgeholt werden und ist bis heute auf dem Wohnungsmarkt schmerzlich spürbar.
Dass allerdings auch Kooperationen wie das Hamburger Wohnungsbündnis ihre Grenzen haben, zeigen die jüngsten Zahlen. Nicht nur in Berlin, auch in Hamburg brachen die Neubauzahlen im vergangenen Jahr ein. Statt angepeilter 10.000 Wohnungen wurden in der Hansestadt nur 7.461 fertiggestellt.
Sollten sich die Berliner Bündnispartner nun am Verhandlungstisch einig werden, erhalten sie danach noch ein wenig Bedenkzeit. Erst am Montagmittag soll die Vereinbarung feierlich unterzeichnet werden. Einerseits wird diese Zeit benötigt, um redaktionelle Feinarbeiten zu erledigen, andererseits müssen einige Unternehmen und Verbände die finale Fassung auch noch in ihren Gremien abstimmen. Die Unterschriften sind dann kein Schlusspunkt, sondern das eigentlich Startsignal für das Bündnis.
Sendung: Abendschau, 15.06.2022, 19:30 Uhr