Bürgermeister will Rieselfelder erhalten - Stahnsdorf wehrt sich gegen geplantes ICE-Instandhaltungswerk

Die Deutsche Bahn vergrößert ihre ICE-Flotte. Die Züge müssen gewartet, gereinigt und repariert werden. Daher will die Bahn - womöglich in Stahnsdorf - ein weiteres Instandhaltungswerk bauen. Schon jetzt regt sich Widerstand. Von Susanne Hakenjos
In Stahnsdorf (Potsdam-Mittelmark) soll offenbar ein neues ICE-Instandhaltungswerk gebaut werden - womöglich auf einer Fläche zwischen den Ortsteilen Schenkenhorst, Sputendorf, Güterfelde und Marggrafshof. Dort liegen aktuell weite Felder, Wald und vor allem die sogenannten Rieselfelder, auf denen die Natur freien Lauf hat.
Den rund 3.000 Anwohnerinnen und Anwohnern präsentierte die neugegründete Bürgerinitiative gegen ein ICE-Instandhaltungswerk jüngst eine schockierende Nachricht: Direkt vor ihrer Nase könnten künftig riesige Hallen und Gleise stehen, auf denen 400 Meter lange ICEs über Nacht gewartet, gereinigt und repariert werden. Verbunden mit jeder Menge Lärm, erklärt Martin Lohrke, Sprecher der neugegründeten Bürgerinitiative "Kein ICE Werk Stahnsdorf Rieselfelder".

Bürgerinitiative fürchtet riesige Hallen und Lärm in der Nacht
Auf ihrer Gründungsversammlung im Bürgerhaus Schenkenhorst informierte die Initiative, womit bei einem Bau des Werks zu rechnen sei: "Das sind riesige Hallen, die nachts beleuchtet werden und die Krach machen! Da werden schließlich nachts die Züge gewartet, denn tagsüber sind sie ja auf der Schiene", so Lohrke.
Zudem erläuterte er, womit im Umfeld eines ICE-Werkes zu rechnen sei: "Quietschen auf der Wendeschleife, Klima-Anlagen zur Kühlung des ICEs müssen ständig laufen, dazu Hup-Tests, die im Freien gemacht werden mit bis zu 100 Dezibel - in der Nacht!" Das Werk hätte lediglich einen Abstand von 500 Metern zu den ersten Häusern Sputendorfs, so Lohrke weiter.
Für ein ICE-Werk werde eine Fläche von vier Kilometern Länge und 400 Meter Breite benötigt. Auf den 160 Hektar zwischen den Ortschaften könnten bis zu sechs Hallen und bis zu 20 Abstellgleise gebaut werden, eine Radsatzdrehbank, Waschanlagen und Diagnosestationen, informierte die Bürgerinitiative.
Viele Anwohner erschreckt bereits das Ausmaß der benötigten Fläche und erst recht die Vorstellung nächtlicher Hup-Tests: "Vierzehnmal quasi in Düsenjet-startender-Lautstärke, ich glaub das kann sich jeder selbst ausmalen", erklärte eine Sputendorferin. Eine junge Frau zeigte sich schlicht "geschockt", ein Mann ärgerte sich: "Mein Gefühl ist, dass einfach über unsere Köpfe hinweg entschieden wird, das Werk würde 600 Meter hinter meinem Haus stehen."
Bahn prüft eigenen Angaben zufolge verschiedene Standorte
Die Deutsche Bahn bestätigte bislang gegenüber dem rbb nur, dass verschiedene Standorte in den Metropolenregionen Berlin-Brandenburg und Frankfurt am Main geprüft würden, da für die 2030er Jahre ein weiteres ICE-Werk benötigt werde. Eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen, hieß es.
Die Bürgerinitiative widerspricht, denn sie hat eigene Informanten, die Einblick in den Planungsprozess hätten, betonte Lohrke: "Ich habe Leute, die im Prinzip mehr wissen. Bekannt ist dadurch, dass letztlich vier Standorte zur Auswahl stehen: Baruth, Rangsdorf und dann auch noch ein alter Rangierbahnhof bei Seddin – und dass Sputendorf-Schenkenhorst Favoritenstandort ist, wegen der Nähe auch zum Bahnhof Berlin-Südkreuz." Die Quelle sei anonym.
Vor allem den Verlust wichtiger Natur- und Erholungsflächen, die auch von zahlreichen Berlinerinnen und Berlinern genutzt werden, wollen die Anwohner nicht hinnehmen. Das betonten auch die drei Ortsvorsteher Rolf-Denis Kupsch, Sven Püstow und Dietrich Huckshold.
Verheerend wären auch die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die touristisch ausgerichteten Betriebe, darunter zahlreiche Reiterhöfe, warnte die Bürgerinitiative. Die möglichen Flächen gehören allerdings nicht der Gemeinde Stahnsdorf, zu der die potenziell betroffenen Dörfer als Ortsteile gehören, sondern den Berliner Stadtgütern, und damit dem Land Berlin, weiß der Sputendorfer Ortsvorsteher Kupsch, der auch Mitglied im Bau-Ausschuss ist.
Die Berliner Stadtgüter haben offenbar großes Interesse am Verkauf der Flächen: "Das gestaltet sich eigentlich so, dass Berlin und Brandenburg hier wie bei Tesla zusammenlaufen wollen, wenn sie den Standort entwickeln wollen: Berlin liefert die Flächen über die Berliner Stadtgüter, und Brandenburg den Standort. Allerdings haben sie nicht mit uns gerechnet", so Kupsch.
Erstes offizielles Gespräch soll am 30. Juni stattfinden
Mögliche Investitionen der Deutschen Bahn von 400 Millionen Euro, verbunden mit 400 neuen qualifizierten Arbeitsplätzen, sind für die Bürgerinitiative und die Ortsvorsteher kein Argument. Bereits jetzt mangele es in der Region bekanntermaßen an Fachkräften. Extrem problematisch sei auch, dass die Gemeinde Stahnsdorf als "betroffener Träger öffentlicher Belange" ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger erst viel zu spät in einem Raumordungsprüfverfahren und der notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung gehört würden, kritisiert Kupsch.
Es gelte vielmehr, bereits vorher die Weichen umzustellen: So gebe es mit dem Rangierbahnhof Seddin einen Alternativstandort, der lediglich sechs Bahn-Fahrminuten entfernt liege und bereits über die notwendige Gleis-Infrastruktur verfüge, betont Lohrke: "Unser Ziel ist es letztendlich, die Treiber dieses Vorhabens nochmal zum Umdenken zu bewegen, um letztlich einen Alternativstandort zu finden, den es hier auch gibt."
Am 30. Juni wird es laut Bernd Albers, Bürgermeister von Stahnsdorf, erstmals ein Gespräch mit Vertretern der Bahn geben, dazu sollen auch die Ortsvorsteher sowie ein Vertreter der Bürgerinitiative eingeladen werden. Albers erklärte bereits, dass die Gemeinde alles unternehmen werde, um das Vorhaben zu verhindern. Es gebe mehrere Standort-Möglichkeiten - zum Beispiel auch in Hessen. Stahnsdorf sei nicht der ideale Standort, um so ein Vorhaben umzusetzen. Er werde alles tun, um die Kulturlandschaft der sogenannten Rieselfelder für die Naherholung zu erhalten, so Albers weiter.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.06.2022, 10 Uhr