Fragen und Antworten - Was ein Öl-Embargo für PCK Schwedt und die Region bedeutet

Das Embargo gegen Russland wird kommen, doch sind die Auswirkungen auf die Raffinerie Schwedt bis noch unklar. Welche Alternativen gibt es zur Druschba-Pipeline? Worüber wird gestritten? Wir geben Antworten auf häufige Fragen.
Wann tritt das Öl-Embargo gegen Russland in Kraft?
Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, kommt das Öl-Embargo noch dieses Jahr. Die EU hat sich bereits auf eine erste Sanktion verständigt. Künftig sollen russische Öl-Lieferungen über den Seeweg unterbunden werden. Für die PCK-Raffinerie in Schwedt (Uckermark) hat dies zunächst keine Konsequenzen, da Transporte über Pipelines wie die über die Druschba aus Russland nicht betroffen sind.
Die EU lässt Spielraum zu. Zwar sollen Einfuhren aus Russland bis Ende 2022 fast gänzlich gekappt werden, doch Ausnahmen soll es für die Versorgung über Pipelines geben. Deutschland hingegen will von dieser Regelung keinen Gebrauch machen und strebt die vollständige Loslösung von Moskau an. Spätestens ab Januar 2023 soll in der Schwedter Raffinerie kein russisches Öl mehr fließen.
Wie kommt dieses Vorhaben in der Region an?
Zum Teil sehr schlecht. Während Abgeordnete im Bundestag und die Bundesregierung ein Öl-Embargo vorantreiben, fürchten Politiker und Einwohner aus der Region die wirtschaftlichen Folgen. Um langfristig einen klimaneutralen Umbau der Raffinerie zu sichern, seien ein bis zwei Milliarden Euro vom Bund notwendig, sagte der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) forderte zuletzt eine schriftliche Zusage vom Bund, dass der wirtschaftliche Betrieb der PCK-Raffinerie sichergestellt wird.
Im Landtag stehen die SPD und CDU generell hinter einem Embargo, doch wegen der sehr unklaren Vorstellungen der Bundesregierung fordern sie Garantien, um das PCK Schwedt am Laufen zu halten und den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern. Die AfD fordert, nicht aus dem Pipeline-Betrieb auszusteigen, solange die Ölversorgung nicht gesichert sei. Solche Sorgen teilen besonders die Menschen in der Uckermark, da viele in der Raffinerie arbeiten oder Menschen kennen, die dies tun. Die Brandenburger Linksfraktion mahnte eine Ausnahme vom Öl-Embargo "ohne Wenn und Aber" an.
Immer wieder kritisch zeigt sich auch die Schwedter Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD). Sie forderte zuletzt Habeck dazu auf, sich bei seinem nächsten Besuch in Schwedt konkreter zur PCK-Zukunft zu äußern. Bisher habe Habeck nur "offene Versprechungen" gemacht. Seitdem sei "nicht wirklich viel erreicht worden", sagte sie. Hoppe stößt mit solchen Aussagen auf Zuspruch in der Bevölkerung: Einwohner und Beschäftigte der PCK-Raffinerie planen am Mittwochabend eine Kundgebung des "Zukunftsbündnisses Schwedt". Mehr als 2.000 Teilnehmer werden im Stadtzentrum erwartet. Zu der Veranstaltung sollen auch Bundeswirtschaftsminister Habeck und Ministerpräsident Woidke kommen.
Wie wichtig ist das PCK Schwedt für die Region?
Die Raffinerie in Schwedt, ehemals VEB Petrolchemisches Kombinat, ist eine riesige Anlage, die seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle für die Region Berlin-Brandenburg spielt. Neben 1.200 direkten Arbeitsplätzen sowie wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Zulieferern steht auch die Versorgung durch Kraft- und Brennstoffe auf dem Spiel. Das Volumen ist enorm: Neun von zehn Autos in der Region fahren mit Kraftstoff aus Schwedt. Auch das Kerosin für den Flughafen BER wird vor allem aus Schwedt bezogen. Nach eigenen Angaben von PCK stellt die Raffinerie 90 Prozent der Versorgung in Berlin und Brandenburg sicher.
Die Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände formuliert es so: "Ein Öl-Embargo gegen Russland hätte schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für den Großraum Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und insbesondere die Uckermark sowie Westpolen mit der Stadt Stettin. Ein starker Stellenabbau in Industrie, Land- und Forstwirtschaft, Handel und Gewerbe wird die Folge sein. Eine allgemeine Versorgungsknappheit, verbunden mit momentan unüberschaubaren Preiserhöhungen, wären vorprogrammiert. Die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen wären in der strukturschwachen Uckermark besonders ausgeprägt."
Was entsteht in der Raffinerie?
Über die 5.000 Kilometer lange Druschba-Pipeline kommt Rohöl nach Schwedt. In der Raffinerie wird der Rohstoff durch petrochemische Verfahren behandelt. Als Endprodukte entstehen unter anderem Benzin, Diesel, Kerosin, Heizöl sowie wichtige chemische Grundstoffe, die industriell verarbeitet werden können. Während dieser Verfahren wirft die Raffinierie aber noch etwas ab: Strom und Fernwärme. Etwa 90 Prozent der Schwedter Haushalte beziehen ihre Fernwärme über das PCK Schwedt.
Worum dreht sich der Streit konkret?
Spätestens wenn kein Öl mehr durch die Pipeline Druschba fließt, muss es alternative Quellen geben, um eine Energiesicherheit für die Region sowie Beschäftigungsperspektiven für Betroffene zu garantieren. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat einen Fahrplan präsentiert, doch dieser ist vielen noch zu vage und unsicher.
Habecks Vorstellung umfasst drei Elemente, die zusammenkommen müssten, um ohne russisches Öl über die Druschba den Betrieb in Schwedt aufrechtzuhalten.
1.) Öl soll aus anderen Ländern importiert werden. Es soll vor allem mit Schiffen zum Hafen von Rostock kommen und über eine innerdeutsche Pipeline, die es bereits gibt, nach Schwedt gelangen. Auch stehen nationale Ölreserven aus anderen Bundesländern sowie Transporte aus Polen auf dem Plan, um den Betrieb der Raffinerie zu sichern.
2.) Verhandelt werden soll mit dem russischen Betreiber der Raffinerie, dem Staatskonzern Rosneft. Gäbe dieser den Weg für das alternative Öl in der PCK nicht frei, soll die Bundesregierung über eine Treuhandstruktur eingreifen können. Schließlich gehe es hier um eine kritische Infrastruktur. Das Energiesicherungsgesetz wurde bereits entsprechend reformiert.
3.) Der Bund soll für mögliche Mehrkosten aufgrund der Umstellung aufkommen.
Immerhin: Das brandenburgische Energieunternehmen Enertrag SE zeigte zuletzt Interesse an einem Einstieg bei der Raffinerie. Einen entsprechenden Bericht des "Handelsblatt" bestätigte ein Unternehmenssprecher dem rbb. Es werde die Möglichkeit geprüft, PCK auf einen "grünen Betrieb" auf Basis von Wasserstoff umzustellen, hieß es. Enertrag sei darüber in Gesprächen mit dem Bund und dem Land Brandenburg. Das Unternehmen aus der Uckermark erzeugt Strom und Wärme ausschließlich aus erneuerbaren Quellen.
Kann der Hafen Rostock den Bezug über die Druschba-Pipeline ersetzen?
Am Hafen von Rostock können wegen des beschränkten Tiefgangs Schiffe mit bis zu maximal 80.000 Tonnen entladen werden [rostock-port.de]. Zur Lagerung stehen Öl-Tanks mit einem Fassungsvermögen von 700.000 Tonnen zur Verfügung. Und: Es gibt von Rostock eine Pipeline nach Schwedt. Am Innendurchmesser dieser Pipeline orientiert ist theoretisch der Transport von sechs Millionen Tonnen jährlich möglich.
Zusammen mit der möglichen Ölmenge über Danzig ist eine Verfügbarkeit von bis zu 7,5 Millionen Tonnen pro Jahr für die PCK Schwedt denkbar. Im Vergleich zu heute entspricht das einer Auslastung von rund 60 bis 65 Prozent. Der PCK-Geschäftsführer Ralf Schairer bezifferte die Auslastung durch Öl über Rostock zuletzt auf 50 Prozent.
Grundsätzlich ist es also möglich, große Mengen Öl über Rostock nach Schwedt zu bringen, um es in der Raffinerie zu verarbeiten. Jedoch kann der Weg über Rostock allein nicht zu einer Vollauslastung in Schwedt führen, der Betrieb im PCK wäre somit nicht oder weniger rentabel. Es müssen also weitere Zulieferungen ins Spiel kommen, etwa aus nationalen Ölreserven. Eine konkrete Ausarbeitung hierfür gibt es bisher nicht.
Wer befasst sich nun konkret mit der Rettung Schwedts?
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat eine Taskforce zum Erhalt der PCK-Raffinerie in Schwedt gegründet. Die Arbeitsgruppe soll Lösungen erarbeiten, wie der Betrieb aufrechterhalten werden kann. Darin werden die Ministerien für Wirtschaft, Finanzen, Verkehr, Arbeit, Umwelt, das Kanzleramt sowie die Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern beteiligt sein. Am 4. Juli tagt die Taskforce das zweite Mal.
Zwar gibt es keinen offenen Streit zwischen der Brandenburger Landesregierung und der Bundesregierung. Doch die Unsicherheit in der Uckermark hat den Brandenburgern Anlass gegeben, auch die Führung der Taskforce zu hinterfragen. Die Leitung hat Habecks Parlamentarischer Staatssekretär Michael Kellner (Grüne), der seinen Wahlkreis in der Uckermark hat. Kellner sagte in einem Interview mit der Bild, dass es in Deutschland eine Überkapazität von Benzin und Diesel gebe, ganz Ostdeutschland könne abgedeckt werden. Zudem sprach Habeck auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum davon, dass der Bedarf an Raffinerien in Deutschland zurückgehe. Die Brandenburger Regierungsfraktionen SPD und CDU kritisierten die Aussagen, da sie sie als Infragestellung der PCK interpretieren.
Um die erhitzten Gemüter zu beruhigen, preschte die Bundesregierung Mitte Juni vor und sprach eine Produktionsgarantie in der PCK für die nächsten Jahre aus. "Hier wird auch ab 1. Januar 2023 weiter Rohöl verarbeitet", sagte Staatssekretär Kellner. Er nannte konkret die Jahre 2023 und 2024.
Kann Brandenburg ein Veto gegen das Öl-Embargo einlegen?
Nein. Denn einen direkten Einfluss habe das Land Brandenburg nicht, das stellte Wirtschaftsminister Steinbach im Gespärch mit rbb24 Inforadio klar. "Wir können nur laut sein. Die Entscheidung fällt tatsächlich in Brüssel, dort stimmt auch die Bundesregierung ab, wir selber sitzen aber nicht mit am Tisch."
Welche Rolle spielt Venezuela?
Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge haben die USA Öllieferungen aus Venezuela in die EU nach mehreren Jahren wieder erlaubt. Washington hatte zuvor Wirtschaftssanktionen gegen das Öl reiche Land aufgrund von Machthaber Nicolás Maduro verhängt. Laut einem Bericht des "Handelsblatts" bemüht sich die Bundesregierung nun über ihre diplomatischen Kanäle herauszufinden, ob es sich um einzelne Ausnahmen handelt oder ob die USA Ölexporte aus Venezuela generell erleichtern wollen.
Sollte letzteres der Fall sein, wäre Öl aus dem lateinamerikanischen Land für die Verarbeitung in Schwedt denkbar, berichtet die Zeitung. Außerdem verfüge das venezolanische Öl über ähnliche chemische Eigenschaften wie das russische Öl, was die Verarbeitung in der PCK-Raffinierie unkompolizierter mache.
Welche Rolle spielen Transportwege auf dem Land?
Ist die Druschba-Pipeline trocken gelegt, werden Tankwagen auf Straßen und Kesselwagen auf Schienen vermutlich eine größere Rolle spielen als bisher. Beim Einsatz von mehr Kesselwagen wird die Deutsche Bahn involviert sein. Hier werden sich Fragen ergeben, ob es genügend Kesselwagen und Bahnhöfe gibt, um diese abzufertigen.
Moderne Kesselwagen haben ein Fassungsvermögen von etwa 80.000 Liter, Tankwagen bis zu 30.000 Liter. In welchem erweiterten Umfang Transporte auf dem Land genutzt werden könnten, um einen Lieferstopp durch die Druschba-Pipeline zu kompensieren, ist derzeit aber noch unklar.
Ist der Flugverkehr gefährdet?
Offenbar ist der Flugverkehr nicht gefährdet. Obwohl das PCK Schwedt von großer Bedeutung für den BER ist, gibt es derzeit keine Bedenken bei den Betreibern. "Die Betankung der Flugzeuge erfolgt im Auftrag der jeweiligen Airline. Der BER ist per Schiene gut angebunden", erklärt eine Sprecherin auf rbb-Anfrage. Das Kerosin zur Betankung der Flugzeuge komme mit Kesselwagen zum BER. "Damit kann der Flughafen jederzeit aus allen Richtungen mit Kerosin versorgt werden." Bereits jetzt erreichten Lieferungen aus verschiedenen Raffinerien den BER.
Auch die Lufthansa macht sich nach eigenen Angaben wegen des kommenden Öl-Embargos keine Sorgen. "Die Lufthansa Group ist in der Lage, ihren Treibstoffbedarf ohne Kerosin aus russischem Rohöl zu decken. Der Großteil des Kerosins, den wir nutzen, stammt aus anderen Quellen", sagte eine Sprecherin dem rbb.
Sendung: Antenne Brandenburg, 15.6.2022, 5 Uhr