Wirtschaft reagiert auf Gasmangel - Wie sich ein Berliner Pharmaunternehmen aus der Gas-Abhängigkeit lösen will

Sa 23.07.22 | 08:17 Uhr | Von Martin Küper
  11
Der Schriftzug "Berlin-Chemie Menarini" steht auf einer Glasscheibe, durch die man in die Produktionshalle des Berliner Pharmaunternehmen sehen kann. (Quelle: rbb)
Video: rbb24 Abendschau | 21.07.2022 | Martin Küper | Studiogast Dr. Timm Kehler | Bild: rbb

Angesichts der Lieferunsicherheiten ist der Pharmahersteller Berlin-Chemie dabei, einen Teil seiner Energieversorgung von Gas auf Öl umzustellen, damit die Produktion gesichert ist. Doch ist das nur eine schnelle Notlösung. Von Martin Küper

Die Chemie- und Pharmabranche ist ganz besonders vom Erdgas abhängig: So wurden 2020 deutschlandweit 59 Terrawattstunden (TWh) verbraucht. Zum Vergleich: In der ebenfalls energiehungrigen Metallbranche waren es mit 26 TWh weniger als die Hälfte.

Wird also das Gas knapp, tut es in dieser Branche besonders weh. Bei Berlin-Chemie zum Beispiel, einem der ältesten und größten Berliner Pharmaunternehmen, benötigt man Gas, um damit Wasserdampf zu erzeugen. Mit dem Dampf werden dann die Produktionsmaschinen gereinigt.

Technikvorstand Christian Matschke und sein Team mussten sich nun auf den Notfall einstellen, denn "wenn wir unsere Anlage nicht mehr reinigen können, stehen lebenswichtige Arzneimittel für unsere Patienten weltweit nicht mehr zur Verfügung", so der Manager. Berlin-Chemie entwickelt, produziert und verpackt an seinen zwei Standorten in der Stadt mit etwa 1.500 Mitarbeitern Medikamente vornehmlich für chronisch an Diabetes oder am Herzen erkrankte Patienten.

Schneller Umstieg

Erdgas dient bei Berlin-Chemie also nicht direkt zur Produktion, sondern zur Energiegewinnung – das gilt für gut drei Viertel des von der Wirtschaft benötigten Gas-Anteils. Die anderen 25 Prozent werden als Rohstoff eingesetzt, in der Chemiebranche zum Beispiel zur Dünger-Produktion. Hier ist ein Umstieg auf andere Stoffe und Produktionsverfahren schwieriger und nicht so schnell umzusetzen wie der Austausch eines Energieträgers.

75 Prozent des in Berlin verbrauchten Erdgases stammen aus den russischen Pipelines, die Abhängigkeit ist also höher als in anderen Regionen Deutschlands und daher der Druck da, wo es geht, schnell umzusteigen. Während Berlin-Chemie am Stammsitz in Adlershof bereits ausschließlich erneuerbare Energie einsetzt, muss die bisher hundertprozentige Gasversorgung des Produktionswerks in Britz schnell umgestellt werden, sagt Christian Matschke: "Wir gehen davon aus, in den nächsten vier bis sechs Wochen alle Anlagen auf den Betrieb von Öl umgestellt zu haben."

Abhängigkeit bleibt

Aber auch Mineralöl ist kein sicherer Hafen: Immerhin kommen 90 Prozent des von der Berliner Wirtschaft verbrauchten Öls bisher ebenfalls aus Russland. Und hier ist ein Embargo bereits in Sicht, der Umstieg auf andere Lieferanten aber schneller umsetzbar als bei Gas. Daher ist es für Matschke auch nur eine Zwischenlösung: "Wir entwickeln auch Konzepte, in Zukunft noch mehr auf erneuerbare Energien wie zum Beispiel Photovoltaik oder Windkraft zu setzen. Auch Wasserstoff ist ein Thema bei uns."

Eine klimaneutrale Energiewende stand schon lange vor dem Krieg in der Ukraine mit seinen wirtschaftlichen Folgen auf der Agenda der Industrie. CO2-Abgaben und Klimaziele sorgten für den Handlungsdruck, jetzt kommt der Krieg in der Ukraine mit seinen wirtschaftlichen Folgen dazu. Doch in dem jetzt entstandenen Szenario muss in Monaten gedacht werden, und nicht wie bisher, in Jahren. Das Problem: Für den Umstieg auf klimaneutral erzeugten Wasserstoff ist das derzeitige Angebot bei weitem nicht ausreichend. Bevor Unternehmen hier feste Zeitpläne vorlegen können, muss noch sehr viel passieren.

Schwieriger Wettbewerb

Nicht nur die Chemie- und Pharmaunternehmen fürchten die dritte Stufe des "Notfallplans Gas", wenn aufgrund einer akuten Mangellage die privaten und teilweise auch die öffentlichen Abnehmer den Vorrang erhalten vor der Wirtschaft. Ein Abschalten ganzer Produktionslinien möchte sich niemand vorstellen, und Energieeinsparpotentiale sind, wie bei Berlin-Chemie, schon in den vergangenen Jahren weitgehend ausgeschöpft worden.

Die Hoffnung richtet sich nun auf andere Gaslieferanten und Flüssiggas-Importe. Und gerade da beginnt nun die Preisspirale: Gas ist nicht nur knapp, sondern auch um ein Vielfaches teurer geworden. Da sich Unternehmen zudem auf die Folgen der Inflation, weiterer Rohstoff-Preiserhöhungen und steigender Arbeitskosten einrichten müssen, verschlechtert sich ihre Position im internationalen Wettbewerb deutlich, denn nicht überall wirken sich diese Faktoren so deutlich aus wie hierzulande. In einigen Branchen ist die Gefahr von Produktionsverlagerungen derzeit sehr real.

Bei Berlin-Chemie allerdings will man, so Christian Matschke, den Wettbewerb "sehr selbstbewusst" angehen. Ihm ist in der Hauptstadtregion "nicht bang", dass eine Transformation auch mit Hilfe der Wissenschaft gelingen kann. Es wäre nicht der erste tiefgreifende Umbruch für Berlin-Chemie, das am Adlershofer Standort schon seit mehr als 130 Jahren die verschiedensten Metamorphosen durchgemacht hat.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.07.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Martin Küper

11 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 11.

    Das hilft die Nachfrage und den Preis von Erdgas zu drosseln --- Wir brauchen noch viel, viel mehr davon --- Mit scheint dabei aber die Solar-THERMIE (nicht -Voltaik) zu kurz zu kommen --- Im Süden Europas überall anzutreffen --- Billig, autark, funktioniert angeblich auch im Winter --- Natürlich muss eine Parallel-Energie dazu her --- Aber für große Zeiträume im Jahr für die Erzeugung von Warmwasser bzw. Dampf nicht (auch für die Industrie) geeignet ?

  2. 10.

    Der Umstieg auf Öl ist wohl nur als Zwischenschritt geplant. Im Text stand auch, dass an einem anderen Standort schon auf regenerative Energien zurückgegriffen wird. Ich hoffe Sie kennen den Markt für Photovoltaik und andere regenerative Energien. Er ist zur Zeit wie leergefegt und bis die Handwerker kommen dauert es, da sie die Auftragsbücher voll haben! Zudem wie lange dauern in Berlin n Genehmigungen?

  3. 9.

    Im Moment passiert das,was die Grünen seit Jahren seit Jahren fossieren,weg vom Öl ,weg vom Gas,etc.

    Und auch nicht Gut,
    Rolle rückwärts,keine Ideen die die Lage retten, ankleben hilft nochmal wo für?
    Demonstrationen was man alles nicht will,aber Abhilfe wir gefehlt.
    Die Jugend verfällt in Panik,klebt sich fest,hilft das irgendwie? Die Politik naja will erstmal über den Winter kommen und dann wahrscheinlich über den Bürger finanzieren,die Reicheren werden natürlich geschont und die Industrie bekommt Förderung.

  4. 8.

    Nun, wie haben gerade in der Pandemie festgestellt, wie wichtig es ist, Pharmazeutika in Europa herzustellen. Wollen Sie die Produktion China überlassen? Und dann streiten Sie mal in Bezug auf Öl. Was ist Ihre Alternative? Kohle soll verstromt werden als Ersatz für Gas. Etwas realistisch herangehen bitte. Es muss jetzt eine Lösung her. Oder wollen sie die Produktion hier einstellen? Nach dem Motto, produziert eben ein anderer. Da es Teil eines italienischen Unternehmens ist, könnte man natürlich dort auf die Verlagerung des Standorts kommen. Kann ja nicht in unserem Interesse sein.

  5. 7.

    Nun es ist ein Ansatz in die richtige Richtung Erdgas zu ersetzen. Ob man jetzt grad in Berlin auf Öl setzt darüber kann man streiten. "Lebenswichtige Medikamente können dann nicht mehr hergestellt werden"... Da haut er ein bisschen auf die Pauke. Natürlich gibt es in Europa und weltweit noch andere Chemiefabriken die lebenswichtige Medikamente produzieren. Ohne Gasmangel...

  6. 6.

    Es ist erstaunlich wie gut die Sanktionen wirken. Der Russe bekommt mehr Geld, weil die Preise auf dem Weltmarkt steigen. Der Deutsche zahlt mehr Geld an andere Lieferanten und muss sich einschränken. Gut gemacht Habeck. Wir gehen erstmal rückwärts und verwenden wieder mehr Kohle und Öl. Dafür bezahlen wir dann auch noch mehr Geld und belasten das Klima zusätzlich. Schon genial, wenn Sanktionen so gut wirken. Aber moralisch haben wir dadurch die Pluspunkte…

  7. 5.

    Wirtschaftlich ist die Auslagerung der Produktion aus Deutschland. Alles andere wird zur Auslöschung energieintensiver Unternehmen führen, da sie nicht mehr konkurrenzfähig produzieren können.

  8. 4.

    Nur Öl kann auch von anderen Bezugsquellen als Russland kommen. Hier handelt ein Betriebsleiter anstatt zu warten.
    Vielleicht startet RBB24 mal einen Umfrage bei den Betrieben wie sie mit drohenden Gasengpass umgehen!

  9. 3.

    Mir gefällt an dem Leiter, dass er trotz der Schwierigkeiten nicht aufgeben will. Eine tolle Einstellung! Bleibt das so(für alles muss es doch eine Lösung geben)bin ich mir ziemlich sicher, dass die Wissenschaft und der technologische Bereich dieser Fa. zu einer Lösung kommen werden. Und was die Tabletten anbetrifft, ist es besser, gar nicht erst dorthin zu kommen. Für Herz- Kreislauf-Krankheiten kann, wenn es nicht organ./angeboren etc.bedingt ist, zumindest in anfänglichen Stadien der Erkrankung auf natürliche Mittel zurückgegriffen werden. Trotzdem wird man in speziellen Stadien immer mit chem. Mitteln arbeiten müssen. Aber es ging ja um Einsparprozesse oder Substitutlösungen. Leider bringt uns dieses P. "Machtgehabe" in eine schlimme Lage. D hat sich viel zu lange auf einem gewissen Status quo "ausgeruht". --Immer dran denken, gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen. Am besten, gar nicht erkranken. Kann man gewisser-maßen schon beeinflussen.

  10. 2.

    Tolle Lösung: man sattelt von Gas auf Öl um und damit hat es noch nicht sein Bewenden. Da sieht man, welche Auswirkungen der blinde Aktionismus einer ideologiegetriebenen Wirtschafts- und Außenpolitik hat. Der kleine Mann zahlt die Zeche.

  11. 1.

    Sowohl der erste als auch dieser Bericht zeigt doch, ob es das alles wert ist, auf russisches Gas zu verzichten! Wir können doch keinen Schritt rückwärts machen, die Belastungslage für die Bevölkerung wird immer schlimmer. Es müssen andere Lösungen her- nur da fängt das Dilemma an- die Grünen WOLLEN das nicht! Übrigens wo bleibt denn das vor der Wahl versprochene Energiegeld infolge der CO 2 BEPREISUNG???

Nächster Artikel