Kein russisches Gas für mindestens zehn Tage - Gas-Pipeline Nord Stream 1 wird für Wartung abgeschaltet

Mo 11.07.22 | 06:04 Uhr
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Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 (Bild: dpa/Jens Büttner)
Audio: rbb24 Inforadio | 11. Juli 2022 | Christina Fee Moebius | Bild: dpa/Jens Büttner

Nun wird es spannend: Am Montag werden russische Gaslieferungen für zehn Tage eingestellt: Die Pipeline "Nord Stream 1" wird planmäßig gewartet. Ob danach wieder Gas geliefert wird, ist offen.

Die zuletzt wichtigste Verbindung für russisches Erdgas nach Deutschland wird am Montagmorgen abgeschaltet. Grund sind jährlich wiederkehrende Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline "Nord Stream 1", die der Betreiber bereits vor längerer Zeit angekündigt hatte.

Unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat akute Bedenken geäußert, dass Russland den Gashahn auch nach Abschluss der Wartung nicht mehr aufdrehen könnte. Wie die Betreibergesellschaft Nord Stream AG mitteilte, sollen die Arbeiten bis zum 21. Juli dauern. In dieser Zeit werde kein Gas nach Deutschland befördert.

Es könne sein, dass anschließend mehr Gas fließe, aber auch "dass gar nichts mehr ankommt", erklärte Habeck im Deutschlandfunk. Im schlimmsten Fall müsse der Staat dann als Ultima Ratio entscheiden, "wo die Versorgungssicherheit gewährleistet werden muss und wo nicht". Er bezeichnete eine mögliche staatliche Zuweisung von Energie als "politisches Albtraumszenario". "Das wird Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten."

Industrie wäre von Lieferstopp wohl als Erstes betroffen

Derzeit ist die Gas-Versorgung in Deutschland noch stabil. Selbst eine dauerhafte Abschaltung von Nord Stream 1 hätte wohl keine unmittelbaren Konsequenzen. Bei einer Mangellage wäre die Industrie aber als Erste von Abschaltungen betroffen. Als geschützt gelten hingegen private Haushalte, öffentliche Einrichtungen sowie die Gesundheitsbranche, etwa mit Krankenhäusern.

Vor allem in der energiehungrigen Chemie- und Pharmaindustrie sind die Sorgen vor einem Gasmangel groß. Die Branche ist laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) mit einem Anteil von 15 Prozent größter deutscher Gasverbraucher. Sie braucht Gas als Energiequelle und als Rohstoff zur Weiterverarbeitung in Produkten - etwa in Kunststoffen, Arzneien oder Düngemitteln. Die Preise für Gas seien "atemberaubend" hoch, sagte VCI-Präsident Christian Kullmann. Um lieferfähig zu bleiben, stocke die Branche Lager auf, um Kunden im Krisenfall trotzdem weiter versorgen zu können.

"Wir bereiten uns für eine Drosselung oder sogar Einstellung der Gasimporte vor", sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Die Unternehmen im Süden und Südosten Deutschlands würden wegen des Pipeline-Systems als Erstes leiden. Im Norden und Westen ist die Versorgung über Häfen hingegen einfacher.

Auch in anderen Unternehmen laufen längst Vorbereitungen für den Ernstfall. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag befürchtet bei einem Totalausfall russischer Gaslieferungen allerdings trotzdem eine tiefe Rezession in Deutschland. Präsident Peter Adrian sagte der Deutschen Presse-Agentur, der DIHK schließe nicht aus, dass die Wirtschaftsleistung in einem solchen Fall in den Wintermonaten sogar um einen zweistelligen Prozentwert abstürzen könne.

Auslastung war schon vor der Wartung deutlich gedrosselt

Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni bereits die Liefermenge durch die mehr als 1.200 Kilometer lange Pipeline von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern deutlich gedrosselt - und das auch mit dem Fehlen einer Turbine von Siemens Energy begründet, die wegen der Sanktionen nach abgeschlossener Wartung nicht mehr aus Montréal nach Russland geliefert werden konnte. Derzeit wird die Leitung laut Bundesnetzagentur nur zu etwa 40 Prozent ausgelastet.

Kanada hat inzwischen aber angekündigt, die Lieferung der gewarteten Turbine aus Montréal trotz der Sanktionen gegen Russland zu ermöglichen [tagesschau.de]. Dazu werde Kanada "eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Erlaubnis" an Siemens Canada geben, sagte der für Bodenschätze zuständige Minister Jonathan Wilkinson am Samstag. Die Turbine soll aus Kanada erst nach Deutschland und anschließend nach Russland geliefert werden.

Wartung beinhaltet Stromversorgung, Brandschutz und Software-Updates

Angesetzt wurde die Dauer der Abschaltung von Nord Stream 1 vom Betreiber auf zehn Tage. Die Rede ist von einer Überprüfung und gegebenenfalls Instandsetzung oder Kalibrierung etwa der Stromversorgung, des Brand- und Gasschutzes sowie bestimmter Ventile. Auch Software-Updates würden vorgenommen.

Laut Bundesnetzagentur finden die Arbeiten nicht direkt an der Leitung, sondern an den Verdichterstationen statt, etwa in Lubmin. In Modellrechnungen geht die Behörde von bis zu 14 Tagen aus, hat dabei allerdings schon einen zeitlichen Puffer eingerechnet. Die Arbeiten sollten unter normalen Umständen aber im geplanten Zeitraum fertiggestellt werden können.

Sendung: Tagesschau, 11.07.22, 20:15 Uhr

 

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49 Kommentare

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  1. 49.

    "was hat deutschland " 2 dicke Direktleitungen nach Rußland vorbei an Polen und anderen Transitländern. ;-)

  2. 48.

    deutschland kann aus polen gas kaufen ,wir haben 97 %
    wir haben 2 LNG TERMINAL
    BALTICK LEITUNG NACH NORWEGEN
    gas leitung nach litau zu LNG TERMINAL

    was hat deutschland

  3. 47.

    Sollte es im Winter zum Schlimmsten kommen dann werde ich mein Herz durch ein Hochzeitbild von Lindner erwärmen.

  4. 46.

    Warum sollte Deutschland kein Gas mehr aus Russland bekommen? Wenn die Summe der Rechnung in Rubel in Russland eingeht wird das Gas, nach der Revision der Leitung, auch wieder strömen. Die Länder denen der Gashan zugedreht wurde wollten diese Rechnung nicht in Rubel begleichen. Und nach dem Gesetz des Marktes müssen die Gaspreise bei der gleichen Durchflussmenge wie vor der Ukraine kriese sich auch wieder in diesem Preisniveau einpendeln. Machen Sie aber mit Sicherheit nicht. Woran es wohl liegt

  5. 45.

    Ich finde es jetzt schon lustig, wenn jeder Haushalt mind. 2000-3000 W Dauerlast fürs E-Heizen rund um die Uhr anstehen hat, um Gaspreise zu vermeiden, dafür ist das Berlin-Netz gar nicht ausgelegt. Das wird dann Ratz fatz auslösen. Gut dass wir am Rand wohnen.

  6. 43.

    Spätestens im Dezember, wenn die Speicher leer sind, wird Nord Stream 2 ans Netz gehen und die gleichen Leute, die noch im Frühjahr für die Ukraine frieren wollten, werden darüber jubeln. Nicht schön, aber alternativlos, wenn Europa wenigstens noch paar Jahre Bedeutung im Weltgeschehen haben will..

  7. 42.

    "Mir ist nicht bekannt, dass die USA gerade einen anderen Staat überfallen haben..." Gerade nicht, aber oft genug.

  8. 41.

    Wenn die Wessis aller couleur den Russen nicht trauen können sie ja ihr Westdeutschland samt Westberlin wie vor Mauerzeiten versorgen, Ruhrgas AG (heute e-on) etc.
    Die Russen haben immer geliefert. Der Westen nur rumgehetzt.
    Und nun herumjaulen... und wegen Wartung im Hochsommer. Kriegt euch mal wieder ein. Und die Drosselung ist auch bald Geschichte, wenn Siemens aus dem A* kommt.

  9. 38.

    Sie schreiben die Antwort selber: Wir tauschen den einen Diktator (Großlieferant Russland) gegen mehrere andere Zulieferer aus. Dadurch wird das Risiko der Abhängigkeit deutlich kleiner. Es wird auf mehrere Lieferanten verteilt. Im Zuge der Energiewende soll der Gasbedarf in Deutschland in den kommenden Jahren sowieso sinken. Der Ausbau von erneuerbare Energien bringt uns Frieden und Unabhängigkeit. Mit Nord Stream 2 war ja mal angedacht, dass wir um die 70 Prozent unseres Gases aus Russland beziehen. Was für ein Wahnsinn. Man kann nur froh sein, dass es nicht soweit gekommen ist. Sonst wären die Probleme ja sogar doppelt so groß wie jetzt.

  10. 37.

    "Die Russen sind die zuverlässigsten Handelspartner"
    Das sagt die Ukraine, Polen, Tschechien, Österreich, Ungarn, Italien, Deutschland und jeder der noch weiter westlich abhängig ist.
    Ganz bestimmt.

  11. 36.

    Äh… nee. Wir verzichten auf preiswerteres Erdgas und kaufen Flüssiggas, das aber eigentlich nicht so auf Halde lag. Also steigen die Preise. Das ist nicht der Händler, sondern der Gaseigentümer, der sich die Kunden aussuchen kann.

  12. 35.

    "Nicht umsonst ist Journalist kein anerkannter Beruf. "
    FALSCH!
    Vielleicht nochmal nachlesen.

  13. 34.

    Mein Kommentar bezog sich auf die Zeit des Kalten Krieges. Warten wir doch mal die weitere Entwicklung ab. Geld stinkt ja bekanntlich nicht.

  14. 33.

    Was Russland damit zu tun hat? Das Land führt Krieg in Europa, gegen die Ukraine. Menschen sterben, Städte werden verwüstet. Deshalb die Sanktionen. Sieht so etwa ein seriöser Geschäftspartner aus? Russland lehnt unsere Lebensart ab und hat mit dem Gas eine Möglichkeit, unsere Gesellschaft schwer zu schädigen. Soll Putin damit durchkommen? Das mit der Turbine ist doch nur eine Ausrede. Wenn er das Gas abstellen will, dann macht er es. Irgendeine fadenscheinige Begründung wird sich schon finden, garantiert. Daran können wir gar nichts machen. Es ist reine Willkür. Genauso, wie er es mit den Gaslieferungen an andere Länder auch schon getan hat.

  15. 32.

    Vielleicht hilft Ihnen ein Zitat von Egon Bahr als Urgestein der dt. Politik beim Nachdenken weiter (so es nicht wieder der Zensur zum Opfer fällt):
    "Meine Erfahrung ist: bitte keine Politik des Exports von Demokratie und unseren anderen Werten. Ich habe dankbar registriert, dass kein Kommunist je versucht hat, mich zu bekehren. Ich habe das auch unterlassen. (...) Die Hoffnung auf eine friedliche Welt verlangt neben dem Stolz auf den eigenen Weg die Demut gegenüber allen, die eine andere politische Struktur und einen anderen Weg gehen wollen." Bahr in seinem 2012 erschienen Buch "Ostwärts und nichts vergessen!"

  16. 30.

    Das war eine Replik auf die Anmerkung zum IStG des Kommentators.
    "Es geht hier um die Zuverlässigkeit bzw. Unzuverlässigkeit von Russland als Gaslieferant" Die Sowjetunion und auch Rußland sind einer der zuverlässigsten und preiswertesten Lieferanten für Deutschland durch eine lange Geschichte gewesen - schon aus eigenem Interesse. Überlegen Sie doch mal, worauf diese Art Gegen-Embargo eine Antwort sein könnte.
    "Mir ist nicht bekannt, dass die USA gerade einen anderen Staat überfallen haben" Würden mir einige einfallen allein aus den letzen gut 20 Jahren (auch immer wieder gern mal ohne UNO-Mandat).

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