Kein russisches Gas für mindestens zehn Tage - Gas-Pipeline Nord Stream 1 wird für Wartung abgeschaltet

Nun wird es spannend: Am Montag werden russische Gaslieferungen für zehn Tage eingestellt: Die Pipeline "Nord Stream 1" wird planmäßig gewartet. Ob danach wieder Gas geliefert wird, ist offen.
Die zuletzt wichtigste Verbindung für russisches Erdgas nach Deutschland wird am Montagmorgen abgeschaltet. Grund sind jährlich wiederkehrende Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline "Nord Stream 1", die der Betreiber bereits vor längerer Zeit angekündigt hatte.
Unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat akute Bedenken geäußert, dass Russland den Gashahn auch nach Abschluss der Wartung nicht mehr aufdrehen könnte. Wie die Betreibergesellschaft Nord Stream AG mitteilte, sollen die Arbeiten bis zum 21. Juli dauern. In dieser Zeit werde kein Gas nach Deutschland befördert.
Es könne sein, dass anschließend mehr Gas fließe, aber auch "dass gar nichts mehr ankommt", erklärte Habeck im Deutschlandfunk. Im schlimmsten Fall müsse der Staat dann als Ultima Ratio entscheiden, "wo die Versorgungssicherheit gewährleistet werden muss und wo nicht". Er bezeichnete eine mögliche staatliche Zuweisung von Energie als "politisches Albtraumszenario". "Das wird Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten."
Industrie wäre von Lieferstopp wohl als Erstes betroffen
Derzeit ist die Gas-Versorgung in Deutschland noch stabil. Selbst eine dauerhafte Abschaltung von Nord Stream 1 hätte wohl keine unmittelbaren Konsequenzen. Bei einer Mangellage wäre die Industrie aber als Erste von Abschaltungen betroffen. Als geschützt gelten hingegen private Haushalte, öffentliche Einrichtungen sowie die Gesundheitsbranche, etwa mit Krankenhäusern.
Vor allem in der energiehungrigen Chemie- und Pharmaindustrie sind die Sorgen vor einem Gasmangel groß. Die Branche ist laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) mit einem Anteil von 15 Prozent größter deutscher Gasverbraucher. Sie braucht Gas als Energiequelle und als Rohstoff zur Weiterverarbeitung in Produkten - etwa in Kunststoffen, Arzneien oder Düngemitteln. Die Preise für Gas seien "atemberaubend" hoch, sagte VCI-Präsident Christian Kullmann. Um lieferfähig zu bleiben, stocke die Branche Lager auf, um Kunden im Krisenfall trotzdem weiter versorgen zu können.
"Wir bereiten uns für eine Drosselung oder sogar Einstellung der Gasimporte vor", sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Die Unternehmen im Süden und Südosten Deutschlands würden wegen des Pipeline-Systems als Erstes leiden. Im Norden und Westen ist die Versorgung über Häfen hingegen einfacher.
Auch in anderen Unternehmen laufen längst Vorbereitungen für den Ernstfall. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag befürchtet bei einem Totalausfall russischer Gaslieferungen allerdings trotzdem eine tiefe Rezession in Deutschland. Präsident Peter Adrian sagte der Deutschen Presse-Agentur, der DIHK schließe nicht aus, dass die Wirtschaftsleistung in einem solchen Fall in den Wintermonaten sogar um einen zweistelligen Prozentwert abstürzen könne.
Auslastung war schon vor der Wartung deutlich gedrosselt
Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni bereits die Liefermenge durch die mehr als 1.200 Kilometer lange Pipeline von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern deutlich gedrosselt - und das auch mit dem Fehlen einer Turbine von Siemens Energy begründet, die wegen der Sanktionen nach abgeschlossener Wartung nicht mehr aus Montréal nach Russland geliefert werden konnte. Derzeit wird die Leitung laut Bundesnetzagentur nur zu etwa 40 Prozent ausgelastet.
Kanada hat inzwischen aber angekündigt, die Lieferung der gewarteten Turbine aus Montréal trotz der Sanktionen gegen Russland zu ermöglichen [tagesschau.de]. Dazu werde Kanada "eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Erlaubnis" an Siemens Canada geben, sagte der für Bodenschätze zuständige Minister Jonathan Wilkinson am Samstag. Die Turbine soll aus Kanada erst nach Deutschland und anschließend nach Russland geliefert werden.
Wartung beinhaltet Stromversorgung, Brandschutz und Software-Updates
Angesetzt wurde die Dauer der Abschaltung von Nord Stream 1 vom Betreiber auf zehn Tage. Die Rede ist von einer Überprüfung und gegebenenfalls Instandsetzung oder Kalibrierung etwa der Stromversorgung, des Brand- und Gasschutzes sowie bestimmter Ventile. Auch Software-Updates würden vorgenommen.
Laut Bundesnetzagentur finden die Arbeiten nicht direkt an der Leitung, sondern an den Verdichterstationen statt, etwa in Lubmin. In Modellrechnungen geht die Behörde von bis zu 14 Tagen aus, hat dabei allerdings schon einen zeitlichen Puffer eingerechnet. Die Arbeiten sollten unter normalen Umständen aber im geplanten Zeitraum fertiggestellt werden können.
Sendung: Tagesschau, 11.07.22, 20:15 Uhr
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