Gärtner als Selbstversorger - Das Glück des eigenen Mini-Ackers

Mo 01.08.22 | 08:52 Uhr | Von Marcel Trocoli Castro
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Hinter Kartoffelpflanzen jätet ein Kleingärtner (Quelle: dpa/Matthias Bein)
Video: Abendschau/rbb|24 | 29.07.2022 | Marcel Trocoli Castro | Bild: dpa/Matthias Bein

Die Inflation ist hoch, Preise für Lebensmittel in den Supermärkten steigen. Das macht vielen Berliner Haushalten zu schaffen. Glück hingegen haben die, die einen der begehrten Kleingärten ergattert haben und sich selbst versorgen können. Von Marcel Trocoli Castro

Helmut Witt öffnet den Stall und legt ein ängstliches Kaninchen in seinen Arm. Ein großes und schönes Tier - dessen Schicksal schon besiegelt ist: "Der kriegt einen Schlag hinter die Ohren. Dann wird er abgestochen. Das tut nicht weh. Das merkt der gar nicht. Und dann wird er abgezogen", erklärt der Rentner. "Das ist das beste Fleisch, was es gibt.” Als das Tier auf seinem Arm kotet, legt er es zurück in den Stall.

Ein Kleingärtner hält in einer Berliner Kolonie ein Kaninchen im Arm (Quelle: rbb/Marcel Troccoli Castro)
Soll irgendwann als Lebensmittel enden: Kaninchen auf dem Arm von Kleingärtner Witt | Bild: rbb/Marcel Troccoli Castro

Der Kaninchenzüchter und Kleingärtner bezeichnet sich als Selbsterzeuger. Seit 43 Jahren bewirtschaftet der 73-Jährige eine Parzelle in der Kleingartenkolonie "Freies Land e.V." in Berlin-Weißensee: "Hier hinten sind die Stangenbohnen. Hier vorne die Tomaten. Da Basilikum, Paprika, Kartoffeln, Porree. Hier Rote Bete", erzählt Witt, während der Kleingärtner durch seine Parzelle führt. Plötzlich entdeckt er eine reife Zucchini, die er gleich erntet. Wie eine Trophäe hält er den Sommerkürbis in der Hand: "Billiger und besser als in der Kaufhalle!", sagt er und strahlt.

Ein bisschen DDR-Feeling

Zuhause in seiner Mietwohnung habe er gleich drei Tiefkühlschränke stehen - immer randvoll mit seinen Erzeugnissen, sagt Witt. Was nicht mehr reinpasst oder von ihm und seiner Frau gegessen werden kann, verteile er unter den Nachbarn. Schon zu DDR-Zeiten sei das Haus so immer gut versorgt gewesen, während es vieles nicht immer zu kaufen gab.

In Zeiten von Inflation und steigenden Preisen, fühlt er sich wieder klar im Vorteil, sagt Witt: "Ich spare ja viel Geld. Mit diesem Geld kann ich mir etwas anderes leisten. Eine Urlaubsreise oder solche Sachen.”

Und auf diesen Trichter kommen auch andere. "Man merkt, dass bei unseren Kleingärtnerinnen und Kleingärtnern jetzt viel selbst angebaut wird", bestätigt Peter Molnár, Vorsitzender der Kleingartenanlage "Freies Land". "Das haben wir bei unserer letzten Gartenbegehung gesehen, dass das alles richtig genutzt wird, dass Kartoffeln, Tomaten, Zucchini zu sehen sind." Das Bundeskleingartengesetz schreibt vor, dass etwa ein Drittel eines Kleingartens mit Gemüse und Obst bestellt werden muss - aber natürlich geht mehr.

Wegen der hohen Preise in den Supermärkten würden inzwischen vor allem auch mehr Familien mit Kindern mehr Zeit in den Anbau von Obst und Gemüse stecken, berichtet Molnár. Auch er selbst habe den Gemüseanbau gesteigert: "Meine Auslastung ist 100 Prozent." Was nicht sofort verzehrt werden könne, werde eingeweckt oder weitergegeben.

Selbstversorger im Berliner Kliengarten (Quelle: rbb)
Annette Wacker in ihrem Garten | Bild: rbb

"Ich glaube, dass einiges noch auf uns zukommt"

In einer anderen Parzelle der Kolonie stehen Annette Wacker und Rainer Voigt in brütender Hitze in ihrem neuen Gewächshaus und pflanzen Kohlrabi. Die beiden Freunde habe den Garten erst vor einem Jahr von einer Rentnerin übernommen. Viel Erfahrung im Gärtnern und Anbauen haben sie noch nicht: “Wir probieren uns einfach aus, aber das klappt ganz gut”, sagt Annette Wacker und wendet sich zu Voigt, der gerade die Setzlinge in die Erde drückt: "So, jetzt gehst du ungefähr zwei Handbreiten nach rechts und setzt den nächsten”, erklärt sie ihm.

Rainer Voigt ist vor einem Jahr erblindet und musste seinen Job als Anästhesist aufgeben. Annette Wacker ist Frührentnerin. Jetzt haben beide die Zeit, um so viel wie möglich selbst anzubauen - denn Rainer Voigt befürchtet, dass die Lebensmittelpreise noch weiter anziehen werden. “Wir stehen noch am Anfang, und ich glaube, dass einiges noch auf uns zukommt. Und deshalb bin ich einfach froh, dass wir diese Reserve hier haben.”

Drei bis vier Stunden täglich verbringen beide mit der Gartenarbeit, erzählt die Frührentnerin. “Man muss jeden Abend gießen im Hochsommer. Es gibt auch viele Familien, die weit fahren, um in den Garten zu kommen und berufstätig sind. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie sie das schaffen.” Auch sie selbst schaffe es nicht, alles für ihren Bedarf im Garten zu ziehen. Manches an Gemüse werde immer noch dazugekauft, räumt sie ein. “Aber natürlich passe ich mich an, also wenn jetzt die Bohnen reif sind, dann werde ich natürlich eher ein Bohnengericht essen. Oder die Zucchinis. Dann ist in jeder Gemüsepfanne Zucchini mit drin."

Tausende Bewerber warten auf einen Garten

Nach getaner Arbeit sitzen beide auf der Veranda vor ihrer Laube. Zum Abendbrot gibt es frisch geerntetes Gemüse. “Also man kann das überhaupt nicht mit Supermarktware vergleichen. Das ist vom Geschmack viel, viel intensiver. Einfach so lecker”, schwärmt Annette Wacker, während sie ihre eigenen Cocktailtomaten isst.

Doch in den Genuss von leckerem und überdies kostengünstigem Gemüse kommen nicht viele Berliner: Wer sich einen Kleingarten zulegen will, muss warten - teils mehrere Jahre. Seit Corona ist die ohnehin schon große Nachfrage explodiert. Auf der Warteliste für Kleingärten nur im Bezirk Pankow stehen laut Vorstand Molnár aktuell 2.000 Menschen.

Sendung: Abendschau, 26.07.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Marcel Trocoli Castro

23 Kommentare

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  1. 23.

    Die Überschrift betrachte ich als einen Euphemismus:
    Wer einen eigenen Garten erworben hat, der dürfte sich in den meisten Fällen zuvor darum BEMÜHT haben.
    Und wer keinen hat, der leidet in vielen Fällen unter den Folgen der Politik.
    Und eine falsche Politik ist kein PECH, sondern ein VERSCHULDEN.
    Pech ist es allenfalls für jene, welche die Regierungsparteien nicht gewählt haben.
    (Und ich bin zugegebenermaßen einer davon.)

  2. 22.

    Außer Obst und Gemüse baue ich im Garten viele Kräuter an, die ich trockne oder einfriere, das erspart mir den Kauf.
    Ansonsten ist das mit dem Garten nicht gerade billig. Vor allem Wasser, Strom, Dünger, Pflanzen, mechanische Gartengeräte und Baumaterial (z.B. Holzstangen, Töpfe usw.) werden immer teurer. Konnte ich 2018 noch eine Holzlatte für 79 Cent erwerben so kostet dieselbe heute beinahe 2 Euro. Also der Bau eines Hochbeetes ist auch recht teuer geworden.
    Und an alle die mir erklären wollen es geht auch ohne Dünger. Ja sicher doch es geht auch ohne aber ohne wächst nun mal kaum etwas und alles nur mit Kompost wachsen lassen zu wollen das funktioniert nicht bei jeder Pflanze. Ich selber nutze selbstverständlich auch Kompost und diverse Jauchen jedoch nicht nur diese allein.
    Jetzt noch wie beschrieben Kohlrabi anzupflanzen..? Nun ja, der Glaube stirbt bekanntlich zuletzt.
    Eines jedoch ist Fakt, Gärtner in einer Pachtanlage sind wirklich sozial mit und untereinander.

  3. 21.

    Die Antwort auf Ihre Frage ist: Ja. Auch wenn Sie es für eine rhetorische Frage halten.

  4. 20.

    Das stimmt nicht. Ich bin auch berufstätig. Meine Frau kann derweil den Garten bewirtschaften. Also das ist definitiv etwas für normale Haushalte.

  5. 19.

    Nichts ist so sozial wie ein Kleingarten. Denn auch hier haben Menschen mit kleinem Einkommen die Möglichkeit die Natur zu genießen. Das wird immer wichtiger in einer sich aufheizenden Großstadt. Oder dürfen nur vermögende Menschen mit großen Grundstücken ein Recht auf Abkühlung und Natur haben?

  6. 17.

    Ich weiß nicht, ob einer vorhanden ist, aber an einem Sichtschutz lässt sich Spalierobst ziehen. Zu den Beeren würden noch Jostabeeren passen. Ein leider fast vergessenes "Superfood" aus dem Garten. Irgendwo noch eine Euro-Palette rumzustehen? Bisschen aufhübschen und als vertikales "Kräuterregal" verwenden. Schön gemacht auch ein Blickfang.
    Garten und keine Lust dazu geht doch nicht - Appetit kommt ja auch beim Essen.

  7. 16.

    Wir haben Blaubeeren , Stachelbeeren, Himbeeren und 3 Tomaten in einem großen Garten , zu mehr fehlt die Lust .

  8. 15.

    Also alles 50 zu 50,wenn man das so liest. Soll doch jeder nach seiner Fasson glücklich werden. Soll der eine einkaufen für viel Geld, der andere selbst anbauen.
    Aber trotz Arbeit kann auch der Garten gut bewältigt werden bei guter Zeitplanung. Machen wir seit über 30 Jahren und man hat Spaß und Freude daran und das sogar ohne Kosten. Vereinsfeste gibt es sogar obendrauf. Und nebenbei - manchmal ist der Neid der Besitzlosen groß.

  9. 14.

    Ja meinen sie denn, das Rind, das für Ihren Burger durch den Wolf geht, ist an Altersschwäche gestorben. Der Fisch für die Fischstäbchen wird auch nicht angeschwemmt (obwohl, vom Geschmack her ....) und Geflügel wächst nicht auf Bäumen. Willkommen im echten Leben.

  10. 13.

    Uiuiui - dünnes Eis. Der Spaß ist doch, dass ich neben Job und Hobby (Fluglehrer) auch Zeit für die Hochbeete in meinem Garten habe. Mit etwas Selbstmanagement und -Disziplin hat man sogar Spaß daran, kann auch gelegentlich mit Kumpels n Bierchen trinken und sogar die EM der Damen bewundern :-D
    Noch Fragen?

  11. 12.

    Ein Kleingarten nützt für die tägliche Ernährung nur wenig, ist aber eine interessante Freizeitbeschäftigung. Nur die Gärten müssen nicht das Bauen von sozialen Einrichtungen behindern.

  12. 11.

    Na, als Berufstätiger nicht abends vor der Glotze oder in der Kneipe sitzen, sondern in den eigenen Kleingarten fahren geht schon. Und wenn man dann auch noch Kinder hat, ist jeder mal an einem-zwei Tag/en dran! "Geht nicht", sollte bei Ihnen eher für "will nicht" stehen. Wo ein Wille ist...

  13. 10.

    Man muss erst unheimlich viel reinstecken, damit aus dem märkischen Boden was gescheites rauskommt, und viel isses auch nicht - und wenn man dann noch DREI Tiefkühltruhen laufen hat, spart man garantiert nix! Zu DDR-Zeiten gabs ja öfter mal was nicht, wenn man es gerade brauchte - das ist jetzt anders, es ist halt teurer. Insofern haut die Rechnung nicht wirklich hin. Man zahlt die Parzelle, den Weg dorthin, Strom, Wasser, Dünger, Saatgut, Gefriertruhe.

  14. 9.

    Als Rentner ist ein Teil als Selbstversorgung möglich,als Werktätiger kann das kaum klappen. Und man muss ja auch das bewässern und die Fahrtkosten zum Kleingarten einplanen,wenn man nicht in unmittelbarer Nähe wohnt.
    Zucker,Salz und andere gewürze kann er selbst kaum erzeugen,Getzränke außer Wasser muss er auch kaufen.Vielleicht etwas Obstsaft von den geernteten Äpfeln, aber das macht auch Arbeit und kostet Energie.Als Rentner, der (lt. Kleingartengesetz nicht dort wohnen darf),der weiter keine Hobbys und Interessen hat, kann man etwas sparen,aber lohnt sich der Aufwand?

  15. 8.

    Ja, endlich wieder mehr Selbstversorger, aber bitte mit Regenwasser nicht mit dem wertvollen Trinkwasser.

  16. 7.

    Die Kirche im Dorf lassen... Ich habe auch einen Garten und alles mögliche im Garten. Es ist mein Hobby, meine Freizeit. Ich krauche teilweise mit Stirnlampe durch die Beete, da ich tagsüber arbeiten bin. Das muss man mögen. Der Geschmack der Saisonware im Supermarkt ist such gut. Tomaten & Co schmecken jetzt auch aus dem lidl sehr gut. Und ob mein Gemüse an der befahrenen Straße so viel besser ist...
    Das große Geld lässt sich bei Gemüse nicht sparen. Bei Beeren sieht die Welt anders aus.
    Aber es ist definitiv ein nettes Hobby.

  17. 6.

    Ich sehe den Zusammenhang des Artikels mit steigenden Lebensmittelpreisen ehrlich gesagt gar nicht.
    Olivenöl, Zucker, Salz, Milch...bekomme ich das über meinen Kleingarten?
    Und das mit dem Kaninchen möchte ich einfach nicht lesen....sorry

  18. 5.

    tja, Michael- wünsche Herrn Witt noch lange Gesundheit
    meine janze Verwandtschft wohnte in der DDR- ich weiss Bescheid
    zu den Bananen : schon laaaaaange keine mehr gekauft wegen Umwelt etc.
    sind ja auch nicht notwendig- es gibt viele heimische Obstsorten (z.B.Äpfel)

  19. 4.

    Ich wünsche ihm, dass er es noch lange leisten kann, ganz ohne „ha, ha, ha“! Wichtig ist der Hinweis, dass schon zu DDR Zeiten abgegeben wurde. Außerdem kann ich mich nicht erinnern, dass es manchmal nichts gab, jahreszeitlich waren wir doch gut versorgt. Dass es keine Bananen gab, war natürlich für die arme DDR verhängnisvoll.

  20. 3.

    Für Berufstätige scheiden solche Möglichkeiten meistens aus!

  21. 2.

    na gut, Gemüse und Obst- und Kaninchen
    ABER weitere Lebensmittel- Salz, Zucker, Mehl, Öl etc.- DA gehts zum Supermarkt
    Ergo : Bericht ziemlich einseitig , finde ich

  22. 1.

    hahaha-- Aber NUR, solange Herr Witt DAS kann
    ich mit meinen 85 kann DAS nicht mehr !!

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