Fragwürdige Auftragsvergabe - Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Charité-Tochter

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Charité-Tochterfirma CFM. Es geht um mögliche Verstöße gegen das Vergaberecht und Aufträge im Wert von mehr als 1,5 Millionen Euro. Von René Althammer
Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt seit Juni dieses Jahres gegen Mitarbeiter der Charité Facility Management GmbH (CFM) wegen des Verdachts der Untreue und des Verstoßes gegen Vergaberichtlinien. Das bestätigt ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage von rbb24 Recherche. Über Details und eine mögliche Schadenssumme wollte er wegen der laufenden Ermittlungen keine Auskünfte erteilen.
Alle Angebote im Dezember
In einem Fall geht es um eine Firma, die ihren Sitz im südbrandenburgischen Calau hat - im weiteren Firma A genannt*. Zu den Kunden gehört auch die Charité-Tochter CFM. 23 Angebote hat der Firmeninhaber der CFM gemacht, die in zwölf Monaten abgearbeitet werden sollten. Gesamtvolumen: etwas über 330.000 Euro.
Es geht dabei um spezielle Softwareanwendungen in der Logistik und im Umgang mit Sterilgütern, wie sie in jedem Krankenhaus benötigt werden. Anscheinend hat hier ein erfolgreicher Kleinunternehmer, der zwar keine eigene Website hat und auch sonst in keiner der üblichen Wirtschaftsdatenbanken auftaucht, ein gutes Geschäft gemacht.
Alle Angebote betreffen das Jahr 2020. Schaut man sich die Ausdrucke der Angebote an, so scheint alles in Ordnung: Im Januar gibt es Angebote für den Februar und weitere Monate, alles ordentlich datiert. Schaut man sich jedoch die Metadaten an, aus denen hervorgeht, wann eine Datei erstellt wurde, so sieht man: Alle Angebote wurden offenbar im Dezember 2020 erstellt und für das laufende Jahr rückdatiert - ebenso die Rechnungen. Doch das scheint bislang niemanden interessiert zu haben.
Die Charité weist darauf hin, dass es für das Jahr 2020 einen Rahmenvertrag mit der Firma gegeben habe, der im Januar desselben Jahres abgeschlossen worden sein soll. "Die Rechnungsstellung des Dienstleisters erfolgte im Dezember 2020", heißt es weiter. Warum aber auch die Angebote - wenn die Metadaten stimmen - erst zu diesem Zeitpunkt erstellt wurden, erklärt das nicht. Mögliche Rückdatierungen bestreitet die Charité.
Keine Ausschreibung
Der rbb hat einen Vergaberechtsexperten gebeten, die vorliegenden Unterlagen zu prüfen. Sein Urteil: Der Auftrag hätte ausgeschrieben werden müssen. Ausnahmeregelungen, wie das Alleinstellungsmerkmal des Auftragnehmers, seien nicht erkennbar. Doch die CFM verzichtete auf eine Ausschreibung, wie die Charité erklärt. Begründung: Die benötigten Leistungen konnten "aus technischen Gründen nur von (Firma A - Anm.d.Red.) … erbracht werden".
Außerdem sei nach einer "Markterkundung" deutlich geworden, dass nur die Firma A kurzfristig Kapazitäten zur Verfügung stellen konnte - was das Unternehmen wohl auch tat. Mehr als 360 Arbeitstage wurden abgerechnet. Der erfolgreiche Unternehmer selbst war, folgt man seinen Social-Media-Einträgen, während dieser Zeit bei einer Medizintechnikfirma angestellt. Über wie viele Mitarbeiter er verfügte, darüber konnte die Charité keine Auskunft erteilen - er selbst hat auf Anfragen des rbb nicht reagiert.
Weitere ungeklärte Geschäfte
Neben diesem gibt es noch sieben weitere Fälle, um die es jetzt bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft geht, alle aus den Jahren 2019 und 2020. Erstmals bekannt wurden die Vorwürfe im Sommer 2021 über ein internes "Hinweisgebersystem" der Charité. Anschließend beauftragte Deutschlands größtes Universitätsklinikum eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, möglichen Verstößen gegen das Vergaberecht und Compliance-Vorschriften nachzugehen. Das Ergebnis der Wirtschaftsprüfer wurde der Staatsanwaltschaft übermittelt, die damals jedoch keinen Anfangsverdacht erkannte und im Dezember das zuvor eingeleitete Ermittlungsverfahren "mangels Tatverdacht" wieder einstellte.
Der rbb hat über mehrere Monate Daten und Informationen ausgewertet und sich im Mai dieses Jahres mit den Recherchen an die Staatsanwaltschaft gewendet. Kurze Zeit später wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft lagen bei der Einstellungsentscheidung im Dezember möglicherweise "nicht alle Unterlagen, alle Informationen" vor.
Zu den vom rbb recherchierten Fällen gehört auch eine Firma, die ihren Sitz in Norddeutschland hat - im folgenden Text Firma B genannt*. Die Inhaberin ist unbestritten eine Expertin auf dem Gebiet der Organisation des Umgangs mit Sterilgut in Krankenhäusern - und sie war 2019 und 2020 fest angestellt bei der CFM - im Bereich der Zentralsterilisation. Im Netz findet man die Präsentation eines Projekts, an dem sie zwischen 2017 und 2019 beteiligt war. Es ging um die Reorganisation der Abläufe im "Sterilgutbereich" an mehreren Berliner Charité-Standorten
Projekt vorher nicht ausgeschrieben
Auch ihre eigene Firma B wurde 2019 und 2020 ohne Ausschreibung beauftragt - für Leistungen, die sie zuvor laut Präsentation wohl auch als Angestellte erbracht hatte: Gesamtvolumen von mehr als 200.000 Euro mit insgesamt mehr als 200 Leistungstagen - obwohl sie gleichzeitig fest angestellt war. Mit welchen und mit wie vielen Mitarbeitern die Firma B die Leistungen erbracht hat, dazu machte die Charité keine Angaben. Auch im Internet oder in Wirtschaftsdatenbanken ist nichts über die Firma in Erfahrung zu bringen. Dabei, so die Charité gegenüber dem rbb, kam das Unternehmen aufgrund langjähriger "Erfahrung mit der Siebreorganisation als einziger Auftragnehmer in Betracht".
Der einzig mögliche Auftragnehmer? In der Projektpräsentation für 2017/19 liest sich das ein wenig anders. Dort heißt es, dass die "Reorganisation" in "Eigenregie" durch CFM-Mitarbeiter und externe Berater durchgeführt wurde. Und es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die externe Beraterleistung zuvor ausgeschrieben wurde.
Doch irgendwann 2019 gab es wohl ein Personalproblem, heißt es seitens der Charité: "Der entstandene Umfang der notwendigen Leistungen konnte aus Kapazitätsgründen nicht mehr durch die vorhandenen CFM-Mitarbeiter bewältigt werden." Firma B gab ihre Angebote ab, das vorher in "Eigenregie" durchgeführte Projekt lag nun zum großen Teil in ihren Händen. Ausgeschrieben wurde nichts.
In Berlin liegt der so genannte Schwellenwert bei 10.000 Euro – ab da muss ausgeschrieben werden. Es sei denn, es gibt keine anderen Anbieter auf dem Markt. Ob dies zutrifft, wird nun die Staatsanwaltschaft prüfen müssen. Die Inhaberin der Firma B hat sich trotz Nachfragen nicht geäußert. Die Charité erklärt, die Aufträge seien nicht ausschreibepflichtig gewesen.
Die Linke und Verdi fordern Aufklärung
Tobias Schulze (Die Linke) ist nicht nur stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied im Gesundheits- und Wissenschaftsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Schon im März fragte er im Abgeordnetenhaus, ob es bei der CFM Verstöße gegen das Vergaberecht und Compliance-Regeln gegeben habe. Die zuständige Senatsverwaltung bestätigte die Vorgänge und bezog sich auf Aussagen von Charité und CFM, dass die Überprüfung keinen Anfangsverdacht "von strafrechtlich relevanten Handlungen" ergeben habe. Schulze wollte sich damit nicht zufriedengeben und beantragte Akteneinsicht, die ihm bislang mit Verweis auf das laufende Verfahren verwehrt wurde.
Nach seiner Einschätzung gab es Probleme, als die zuvor privatisierte CFM 2019 wieder ins Eigentum der Charité überging. "Da sind natürlich diverse Möglichkeiten geschaffen worden oder entstanden in der Übergangsphase, um möglicherweise Dinge zu tun, die nicht sauber ausgeschrieben und abgerechnet waren", sagt Schulze dem rbb. Er erwartet eine vollständige Aufarbeitung der Vorwürfe. "Das größte Uniklinikum Europas hat natürlich ein ziemlich beeindruckendes Auftragsvolumen zu vergeben. Das muss einfach sauber zugehen."
Kalle Kunkel, Verdi-Vertreter im Aufsichtsrat der CFM, sieht die Vorgänge wesentlich kritischer. Der CFM-Aufsichtsrat sei zwar über die Vorfälle informiert worden, aber: "Uns werden sowohl die Compliance-Meldungen als auch die Einschätzung des Vertrauensanwalts der Charité und der in Auftrag gegebene Untersuchungsbericht vorenthalten. Unserer Aufsichtsfunktion können wir so nicht nachkommen."
Nachträglich Konkurrenzangebote eingeholt
Kunkel fordert eine strengere Kontrolle und Vertreter des Senats im Aufsichtsrat - und die Aufklärung der bekannt gewordenen Fälle. Dazu dürfte auch der Fall der Firma C gehören*. Das Unternehmen unterstützt die CFM in Personalfragen. Am 4. Januar 2020 wurde der entsprechende Vertrag geschlossen - wieder ohne Ausschreibung. Dass das ein Problem werden könnte, muss irgendwann auch einem Verantwortlichen in der CFM aufgefallen sein.
Im Mai 2020 wurde es dann zumindest "für die Akten" gelöst. Bei der CFM gingen gut fünf Monate nach Vertragsabschluss zwei Konkurrenzangebote ein - die beide über dem Angebot der Firma C lagen. Nach Aussage der Charité gab es im Rahmen eines Pilotprojektes schon 2019 Kontakte zur Firma C. "Mit Beginn des Jahres 2020 wurde sodann ein Vertrag über die zu erbringende Leistung abgeschlossen. Der Prozess für die Auswahl des zukünftigen Dienstleisters wurde durch den Bereich Personalentwicklung durchgeführt. Der Auswahlprozess führte zu dem Ergebnis, dass die (Firma C - Anm.d.Red.) aus Kostengründen als Bestbieter hervorging." Im Nachgang seien dann, obwohl es ja einen "Prozess für die Auswahl" gegeben hatte, zusätzliche Angebote eingeholt worden, "um sicherzustellen, dass der mit der Firma (C - Anm.d.R.) … vereinbarte Preis weiterhin der Bestpreis ist."
Eines der Angebote kommt von einer Firma, deren Inhaber laut der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im Aufsichtsrat der Firma C sitzt. Kommentar der Charité: "Die CFM hat keine konkreten Kenntnisse über geschäftliche Beziehungen von Firmen, die Vergleichsangebote abgegeben haben." Auch die Geschäftsführung der Firma C hat auf Anfragen nicht reagiert.
Auffällig ist, dass mehrere der vom rbb recherchierten Fälle über dieselben Mitarbeiter in der CFM abgewickelt worden sein sollen. Die offenen Fragen wird die Staatsanwaltschaft nun beantworten.
* Hinweis: Dem rbb sind die Namen der betroffenen Firmen bekannt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.07.2022, 07:25 Uhr