Elektronikmesse in der Krise - Immer mehr Aussteller wenden sich von der IFA ab
Lange galt die IFA als großer Publikumsmagnet in Berlin. Seit der Corona-Pandemie ist die Situation anders. Erst ließ das Interesse bei Besuchern nach, nun verabschieden sich auch große Hersteller. Die Messe steckt in der Krise. Von Johannes Frewel
Etwa eine Viertel Million Besucher strömten vor der Corona-Pandemie jedes Jahr auf das Berliner Messegelände zur Elektronikmesse IFA. Als hybride digitale Messevariante zog sie im Pandemie-Jahr 2020 nicht einmal mehr 80.000 Onlinebesucher an. Im Jahr darauf fiel die Weltleitmesse für Consumer- und Home Electronics schließlich ganz aus. Aussteller hatten wegen all der Unwägbarkeiten die Notbremse gezogen und abgesagt.
Auch wenn viele Beschränkungen inzwischen aufgehoben und Messen wieder möglich sind: Die Talfahrt der IFA hält auch in diesem Jahr an.
"Das Interesse ist nicht mehr so riesengroß", resümiert Ulrike Kuhlmann, Technik-Expertin beim Magazin für Computertechnik c't eine Vorabbesichtigung für Medienvertreter. Die Presse sei schon unterdurchschnittlich vertreten gewesen, beobachtete sie. Das liege eben möglicherweise auch daran, dass die Aussteller auf der IFA auch unterdurchschnittlich vertreten sein werden.
"Sony wird nur für seine Händler da sein, Philips gar nicht, Panasonic zieht in eine kleinere Halle um", zählt Kuhlmann auf, "also das sind schon Anzeichen, bei denen man denkt, oh oh, das hört sich alles nicht so gut an, wenn man die IFA als Publikumsmesse begreift".
Aussteller setzen auf eigene Hausmessen
Auch Microsoft bestätigt, dass der Branchenführer nicht nach Berlin kommt. Ebenso der deutsche Marktführer, Ex-IFA-Publikumsmagnet Telekom. "Wir konzentrieren uns in diesem Jahr ganz auf die DIGITAL X im Herzen von Köln", sagte Telekom-Sprecher Dirk Wende dem rbb. Von zwei Millionen Quadratmeter Eventfläche und zehn Bühnen erwartet die Telekom dort für sich mehr als vom einstigen IFA-Auftritt in Berlin.
Die IFA, die aus der Internationalen Funkausstellung hervorgegangen war, ist deutlich in eine tiefe Krise geschlittert. Wenn sich vom 2. bis 6. September in Berlin die Bühne für Technikneuheiten wieder öffnet, wird nur noch wenig an die letzte große IFA 2019 erinnern. Nach Angaben der Messegesellschaft bleibt ein Drittel der ehemaligen Top-Aussteller aus.
Hausgeräte Top, Unterhaltungselektronik Flop
In der Hausgerätesparte laufen die Geschäfte derweil auch wegen des Baubooms gut. Bosch, Haier, Miele oder Siemens sind mit großen Erwartungen in Berlin wieder vor Ort. Im ersten Quartal 2022 zog der Umsatz mit Elektro-Hausgeräten um knapp zehn Prozent auf 4,4 Milliarden Euro an, geht aus dem Branchenindex Hemix hervor. Bei Elektro-Großgeräten lag das Plus sogar bei 18,3 Prozent mit einem Umsatz von 2,7 Milliarden Euro.
Der klassische PC-Markt samt Zubehör ist nach dem Home-Office-Boom jedoch inzwischen stark auf Talfahrt. Um 15 Prozent schrumpfte der globale Markt für Notebooks und PC im zweiten Quartal. Der Festplattenhersteller Seagate kündigte vor allem bei Consumer-Festplatten Produktionskürzungen an, um Überkapazitäten vom Markt zu nehmen. Teils ist der Markt inzwischen gesättigt, teils fehlen Notebookherstellern aber auch Teile, um mehr auszuliefern.
Inflation bremst Interesse an Bespaßung aus
Auch der Unterhaltungselektronikmarkt, der vor allem im ersten Pandemie-Jahr zunächst stark boomte, verliert seither an Dynamik. "Wir sehen, dass sich das Wachstum stetig verringert hat", verweist Bitkom-Präsident Achim Berg auf Umsatzzahlen, "mit minus 4,3 und minus 2,6 Prozent nach dem Hoch 2020". Verbraucher reagieren wegen hoher Inflation, explodierender Energiepreise und nahezu stagnierender Löhne verunsichert. Ihre Konsumstimmung ist auf ein Tief gefallen, stärker als in der Finanzkrise.
Insgesamt wird die Elektronikbranche weiterhin von Lieferproblemen, Chipmangel und pandemiebedingten Logistikproblemen geprägt. Zahlreiche Unternehmen haben es bis heute nicht geschafft, ihre zu Jahresbeginn angekündigten Produkte am Markt verfügbar zu machen. Da ergibt es wenig Sinn, Konsumenten auf einem Messestand in Berlin Appetit auf neue Ware zu machen, die dann vor Weihnachten kaum oder nicht verfügbar sein wird.
IFA-Veranstalter suchen neues Messekonzept
Der IFA-Veranstalter, der Branchenverband gfu Consumer & Home Electronics, sucht hinter verschlossenen Türen schon länger nach einem neuen tragfähigen Konzept für die Messe. Manche sehen die IFA mit Blick auf aktuelle Entwicklungen möglicherweise auf dem Weg zu einer Fachmesse ohne Publikum. "Wenn aber eine Messe nur noch den Händlerbereich hat, dann ist sie halt für das Publikum überhaupt nicht mehr interessant", warnt Ulrike Kuhlmann, "das sollte die IFA tunlichst vermeiden, wenn sie denn weiter eine große Leitmesse bleiben will - aber das ist ja die Frage".
Kuhlmann hat in ihrem Büro in Hannover das warnende Beispiel vor Augen. 2001 brach die ehemalige IT-Weltleitmesse CeBIT mit mehr als 8.000 Ausstellern aus 60 Ländern und 830.000 Besuchern noch alle Rekorde als weltweit größte Messe. 2018 kam bei nur noch 120.000 Besuchern das Aus. Die Ausrichter hatten sich nie auf ein klares Messekonzept einigen können und so Fachbesucher wie Publikum letztlich verprellt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.08.2022, 12:50 Uhr